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Klimawendepunkt in sibirischen Höhlen

500 000 Jahre alte Tropfsteine zeigen: Permafrost taut schon bei 1,5 Grad Erwärmung

Von Andreas Knudsen *

Rund ein Viertel der Landmassen der nördlichen Halbkugel sind seit gut einer halben Million Jahre Permafrostboden. Weil die gefrorene Erde Unmengen des Klimagases Methan festhält, interessieren sich Klimaforscher dafür, wie viel Erwärmung der Permafrost verträgt.

Bis zu 17 000 Gigatonnen Kohlendioxid und Methan schlummern in der gefrorenen Erde der Permafrostgebiete im Norden Eurasiens und Amerikas. Eine Gruppe Forscher aus Großbritannien, Russland, der Mongolei sowie der Schweiz untersuchte eine Reihe sibirischer Höhlen in Permafrostgebieten, um die dortige Klimaentwicklung in der Vergangenheit zu verstehen. Das wechselnde Wachstum von Tropfsteinen in den Höhlen liefert dort Klimadaten, die bis zu 500 000 Jahre zurückgehen. Da Tropfsteine nur wachsen, wenn Tauwasser vorhanden ist und in die Höhlen einsickert, ist es mit Hilfe radiometrischer Untersuchungsmethoden möglich festzustellen, wann es zu Tauwetter kam. Und man kann ableiten, welche durchschnittliche Temperatursteigerung notwendig ist, um das Auftauen des Permafrostbodens in Gang zu setzen.

Die Tropfsteine zeigen, dass es mehrere Perioden in der letzten halben Million Jahre gab, in denen die Temperaturen um ein halbes bis ganzes Grad stiegen, ohne dass die Steine wuchsen – also ohne anhaltendes Tauwetter. Deshalb, so erklärte der Leiter der Gruppe, Anton Vaks von der Universität Oxford, gehe man davon aus, dass der Wendepunkt, an dem der Abtauprozess beginnt, bei 1,5 Grad liegt. Die Ablagerungen in den Tropfsteinen in der Lenskaja-Ledjanaja-Höhle in der Nähe der jakutischen Stadt Lensk zeigen deutlich diesen Zusammenhang. Die Stadt liegt nahe dem 60. Breitengrad im Permafrostgebiet. In der Höhle wuchsen die Tropfsteine lediglich in einer Periode vor etwa 400 000 Jahren.

Das Abschmelzen des Permafrostbodens und die Freisetzung von Kohlendioxid und Methan werden großen Einfluss auf das globale Klima haben. Dadurch wird sich nicht nur die Klimaerwärmung weiter beschleunigen und damit auch die Freisetzung weiterer Treibhausgase. Überdies nimmt die gesamte Infrastruktur in den betroffenen Gebieten Schaden. Heute sind Hausfundamente, Straßen, Pipelines, Eisenbahnverbindungen und die Öl- und Gasförderanlagen darauf ausgerichtet, einen festen natürlichen Grund unter sich zu haben. Beim Auftauen stehen sie plötzlich mitten im Sumpf. Wenn die Infrastruktur in weiten Teilen Sibiriens, Kanadas, Alaskas sowie in den Höhenlagen Chinas und Indiens nicht versinken soll, müsste man gewaltige Summen in einen Umbau investieren.

* Aus: neues deutschland, Montag, 8. Juli 2013


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