Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Dürftiger Kompromiß

2015 soll ein neuer Klimaschutzvertrag her. Doch beim Gipfel in Warschau konnte weder über Modalitäten, noch Quoten oder gar das Geld Einigung erzielt werden

Von Wolfgang Pomrehn *

Mit einer Rekordüberziehung ist am letzten Wochenende in Warschau die diesjährige UN-Klimakonferenz zu Ende gegangen. Mehr als 24 Stunden wurde verlängert, ein Beleg dafür, wie heftig die Positionen der Industriestaaten und die der Entwicklungsländer aufeinandergeprallt waren. Ausgehandelt wurde schließlich in letzter Minute ein dürftiger Kompromiß. Themen, die den Ländern des Südens wichtig waren, blieben meist auf der Strecke.

Pro forma wurde das ursprüngliche Ziel aufrechterhalten, bis 2015 einen neuen Vertrag zu unterzeichnen. Ende des übernächsten Jahres werden sich die 195 Mitglieder der Klimaschutzrahmenkonvention in Paris treffen. Aber ein erster Vertragsentwurf wird erst im November 2014 vorgelegt. Die Zeit, diesen für die Mehrheit der Staaten und vor allem die Mehrheit der Klimasünder – was ein großer Unterschied ist – zustimmungsfähig zu machen, ist äußerst knapp bemessen.

Vor allem die entscheidende Frage, wer seine Treibhausgasemissionen bis wann und in welchem Umfang reduziert, ist noch völlig offen. Nach dem verabredeten Verfahren sollen die Regierungen Vorschläge einreichen und angeben, welche Verpflichtungen beziehungsweise freiwilligen Beiträge sie übernehmen könnten. Allerdings muß das erst bis Ende März 2015 geschehen. Es werden also nur wenige Monate verbleiben, um daraus ein zustimmungsfähiges Paket zu schnüren. Deshalb scheint es kaum noch wahrscheinlich, bis 2015 einen vernünftigen neuen Klimaschutzvertrag für die Zeit nach 2020 zustande zu bringen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung machte deshalb schon einmal Stimmung für einen Abschied vom sogenannten Zwei-Grad-Ziel, also vom Anspruch, den Klimawandel noch halbwegs im verträglichen Rahmen zu halten.

An dem Textabschnitt, in dem es um die Vorschläge der Regierungen geht, läßt sich exemplarisch erklären, um welche Konflikte es in Warschau einmal mehr ging. Mehrere Stunden wurde darüber gestritten, ob die Regierungen Vorschläge für »Verpflichtungen« oder für »Beiträge« einreichen sollen. Auf ersterem beharrten unter anderem die Vertreter Washingtons vehement, letzteres konnte schließlich von chinesischen und indischen Diplomaten durchgesetzt werden. Der Hintergrund: Die USA und die EU wollen mit aller Macht die Unterscheidung zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern aufheben und auch letztere auf verbindliche Treibhausgasreduktionen oder zumindest Beschränkungen verpflichten. Insbesondere China und Indien, die durchaus inzwischen erhebliche Anstrengungen zur Eindämmung ihrer Emissionen unternehmen, lehnen dies nach wie vor ab. Sie verweisen auf die besondere Verantwortung der Industrieländer.

Die ergibt sich aus der Sicht der meisten Regierungen und auch der sozialen Bewegungen in den Entwicklungsländern zum einen daraus, daß die Pro-Kopf-Emissionen in den meisten Industriestaaten noch immer die vieler Entwicklungsländer weit übersteigen. Ausnahmen bilden allerdings die Erdölexporteure, die auch meist, obwohl zum Teil inzwischen sehr wohlhabend, formal zu den Entwicklungsländern gezählt werden. Zum anderen tragen die Industrieländer Verantwortung wegen der früheren Emissionen, die die Konzentration des wichtigsten Treibhausgases in der Atmosphäre, des Kohlendioxids, seit der Industrialisierung um rund 45 Prozent erhöht haben.

Entsprechend wollen die Entwicklungsländer auch gerne über Schadensersatz reden. Immerhin ist der Klimawandel ja inzwischen im vollen Gange, und es mehren sich die Stu­dien, mit denen es gelingt, den Zusammenhang zwischen diesem Phänomen und einzelnen besonders schweren Unwettern herzustellen. Unter dem Titel »Loss and Damage« (Verlust und Schaden) haben solche Gespräche in Warschau nun zum zweiten Mal stattgefunden. Heraus kam wenig. Ein Expertengremium, das Vorschläge erarbeiten soll, wurde gebildet. In drei Jahren will man dann erneut prüfen, wie ein entsprechender Mechanismus aussehen könnte.

Große Enttäuschung gab es auch in der Finanzfrage. Vor einigen Jahren war den Entwicklungsländern die Einrichtung eines ab 2020 mit jährlich 100 Milliarden US-Dollar bestückten Fonds versprochen worden. Aus diesem sollen in den ärmsten Staaten Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel finanziert werden, zudem soll ihnen mit dem Geld bei der Einführung erneuerbarer Energieträger und energiesparender Technik geholfen werden. Einzahlungen soll es ab sofort geben, doch gehen diese eher zurück, statt sich auch nur entfernt in Richtung 100 Milliarden zu bewegen. In Polens Hauptstadt sollte ein Zeitplan für die künftigen Zahlungen erarbeitet werden. Heraus kam nur ein lauer Appell.

Die Bundesregierung hätte in Warschau ohne weiteres die Möglichkeit gehabt, an dieser verfahrenen Situation etwas zu ändern. Zum Beispiel, wenn sie sich nicht so knauserig bei den Finanzzusagen gezeigt hätte. Sie hätte verkünden können, daß Deutschland im bisherigen Tempo den Ausbau der erneuerbaren Energieträger vorantreibt. Dann würden hierzulande nämlich schon in rund zwei Jahrzehnten Kohlekraftwerke überflüssig werden. Doch der (nach jW-Redaktionsschluß) verabschiedete Koalitionsvertrag deutet in eine andere Richtung, nämlich auf ein Ausbremsen der »Energiewende«. Entsprechend begnügte sich Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) mit einer Stippvisite in Warschau und beließ es bei ein paar Allgemeinplätzen.

* Aus: junge welt, Mittwoch, 27. November 2013


Zurück zur Klima-Seite

Zurück zur Homepage