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Falsche Weichenstellung

Protestaktion in Berlin: Vertreter der Solarenergiebranche, von Gewerkschaften, Umweltverbänden und Opposition demonstrieren gegen Kahlschlag bei der Förderung

Von Wolfgang Pomrehn *

Ein knappes Jahr ist es gerade her, daß die Bundesregierung eine 180-Grad-Wende in der Energiepolitik hinlegte, doch nun zieht sie schon wieder die Bremse. So soll die Einspeisevergütung für Solaranlagen vorzeitig und drastisch gesenkt werden (jW berichtete). In der vergangenen Woche hat die Bundesregierung eine Gesetzesnovelle verabschiedet – oder besser – eine »Formulierungshilfe« dafür. Denn der Entwurf soll nicht vom Kabinett, sondern den Regierungsfraktionen ins Parlament eingebracht werden. Das beschleunigt die Sache, denn Bundeskanzlerin Angela Merkel möchte die Änderungen nämlich wieder einmal im Schweinsgalopp durch den Bundestag jagen. Bei wichtigen strategischen Entscheidungen vermeidet die Regierungschefin ja, wo immer es geht, die ausführliche öffentliche Debatte.

Das dürfte in diesem Falle allerdings schwer sein. Die Solarbranche läuft Sturm gegen die Koalitionspläne. Am Montag (5. März) demonstrierten nach Angaben der Veranstalter 11000 Menschen während der Mittagszeit im Berliner Regierungsviertel. Auch Gewerkschaften und Oppositionsparteien hatten zu den Protesten aufgerufen. »Anstatt die Solarförderung weiter zusammenzustreichen, sollte die Bundesregierung lieber die Milliardensubventionen für die energieintensive Industrie kürzen«, kritisiert die umweltpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Eva Bulling-Schröter. Damit spielte sie auf die Tatsache an, daß zahlreiche Unternehmen den Strom zu vergünstigten Konditionen bekommen, und das auf Kosten der übrigen Abnehmer. So müssen sie nur einen symbolischen Beitrag zu der Umlage leisten, mit der die erneuerbaren Energieträger finanziert werden. Auch für die Nutzung der Stromnetze werden sie seit neuesten kaum noch herangezogen. »Zehn Milliarden Euro wird diese Privilegierung der Stromfresser auf Kosten der Umwelt und Verbraucher allein in diesem Jahr kosten – Tendenz steigend«, so Bulling-Schröter, die sich auf eine jüngst von der Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlichte Studie zum Thema beruft.

Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) und sein für Wirtschaft zuständiger Kabinettskollege Philipp Rösler (FDP) hatten sich wie berichtet nach mehrmonatigem Gerangel auf einen gemeinsamen Vorschlag geeinigt, wonach die Einspeisevergütung für neue Solaranlagen schon ab dem 9. März um 20 bis 30 Prozent gekürzt werden soll. Regulär stünde nach der derzeit geltenden Fassung des Erneuerbaren Energiegesetzes (EEG) eine Minderung um 15 Prozent zum 1. Juli an. Erst zum 1. Januar hatte es eine Kürzung in gleicher Höhe gegeben, denn entgegen dem oftmals von den Gegnern der Förderung erweckten Eindruck wird die Einspeisevergütung in längerfristig im EEG fixierten Schritten abgesenkt.

In den vergangenen Jahren sind die Sätze bereits drastisch reduziert worden, was durch die erhebliche Verbilligung der Anlagen möglich war. 2010 wurde je nach Anlagengröße noch 22,76 bis 39,14 Cent pro Kilowattstunde gezahlt, seit dem 1. Januar sind es nur noch 17,94 bis 24,43. Nach der noch geltenden Regelung würden sie zum 1. Juli auf 15,2 bis 20,8 Ct./kWh abgesenkt. Die Angaben beziehen sich stets auf den Zeitpunkt der Inbetriebnahme der Anlage. Von da an sind deren Betreibern die Vergütungssätze für 20 Jahre garantiert. Im Vergleich zu den bisher schon installierten Solaranlagen, die den Strom für den privaten Verbraucher um etwas mehr als zwei Ct./kWh verteuern, fallen neue Anlagen indes kaum noch ins Gewicht. Das Argument mit der Kostenexplosion ist nicht stichhaltig.

Es scheint eher so, als sollte der weitere Ausbau der Solarenergienutzung ausgebremst werden. Dafür spricht schon die Hast, mit der die Bundesregierung vorgeht. Die Maßnahme ist allerdings in der Bevölkerung ziemlich unpopulär, wie Meinungsumfragen zeigen, die der Bundesverband Solarenergie in Auftrag gegeben hat. Demnach hat Emnid ermittelt, daß 65 Prozent der Befragten es falsch finden, den jährlichen Ausbau der Solarstromerzeugung gegenüber den vergangenen beiden Jahren mehr als zu halbieren.

Doch die Bundesregierung hält an ihrem Vorhaben fest. Das scheint vor allem dem Einfluß der großen Stromkonzerne geschuldet, denn denen schwimmen allmählich die Felle davon. Im vergangenen Jahr lieferten die erneuerbaren Energieträger bereits 20,1 Prozent des Bruttostrombedarfs. Das war gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um drei Prozent. Allein der Anteil der Solarenergie stieg von 1,9 Prozent (2010) auf drei Prozent – und das obwohl der überwiegende Teil der vielen Neuanlagen, die 2011 hinzukamen, erst im vierten Quartal installiert wurde.

Geht es in diesem Tempo weiter, sind 2020 nicht nur alle verbleibenden AKW überflüssig, sondern auch zahlreiche Kohlekraftwerke. Alle, die jetzt noch gebaut werden, würden sich – zum Segen für das Klima, aber zum Schaden für die Stromkonzerne – als teure Investitionsruinen erweisen. Während die Bundesregierung den Neubau von Kohlekraftwerken sogar noch subventionieren will, steht die Republik tatsächlich vor einer weiteren Richtungsentscheidung: Entweder, den Umbau weiter vorantreiben und die bestehende Dynamik erhalten, um so einen großen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Oder aber die Entwicklung ausbremsen, neue Kohlekraftwerke bauen und vor allem auf die Entwicklung von Offshore-Windparks setzen. Deren Strom wird zwar teurer als der aus den neuesten Solaranlagen sein, aber sie wären wegen der erforderlichen großen Investitionssummen eine neue Spielwiese für das alte Oligopol der Stromkonzerne.

* Aus: junge Welt, 6. März 2012


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