Dumme, aber gefährliche Kampfschrift
RWE-Manager Fritz Vahrenholt will die Klimadebatte (konter)revolutionieren
Von Marcus Meier *
RWE-Manager Fritz Vahrenholt hat
eine paranoide politische Kampfschrift
vorgelegt. Muss die Klimadebatte
tatsächlich neu geführt werden,
wie behauptet?
Mit den als »naturwissenschaftlich
« dargeboten Argumenten des
Buchs »Die Kalte Sonne« von Fritz
Vahrenholt muss man sich nicht
lange aufhalten: »Entgegen den
Prognosen ist die Erderwärmung
seit über zehn Jahren zum Stillstand
gekommen«, schreit es dem
Leser bereits vom Buchdeckel entgegen.
Das widerspricht schlicht
den realen Messwerten. Die zweite
These des in dieser Woche auf den
Markt geworfenen Druckwerks
lautet: Nicht der Ausstoß von Kohlendioxid,
sondern Aktivitäten der
Sonne würden die Entwicklung des
Klimas zuvörderst beeinflussen.
Dazu vom »Spiegel« befragt, räumt
Co-Autor Fritz Vahrenholt ein, er
wisse nicht »ganz präzise«, wie
stark der Einfluss der Sonne sei.
Seine politische Kampfschrift
ist zwar dumm, aber auch gefährlich.
»Die Klimadebatte muss neu
geführt werden«, fordern der Chemiker
Vahrenholt, einst Verfasser
des Öko-Sachbuchklassikers »Seveso
ist überall«, dann SPD-Umweltsenator
in Hamburg, seit 2008
Manager des Energieriesen RWE,
und sein Mitschreiber Sebastian
Lüning, ein Geologe, der seit 2007
von der Öl- und Gas-Tochter von
RWE, Dea, beschäftigt wird.
Der Weltklimarat IPCC, in der
Tat maßgeblich im rationalen Teil
der Klimadebatte, »verzerrt wissenschaftliche
Daten«, behaupten
die beiden Autoren. Klimaforscher
würden mithin versuchen, »die
Gesellschaft zu verändern«. »Hat
der Weltklimarat noch alles im
Griff?«, fragen Vahrenholt und
Lüning, die reale Macht der Forscher
überschätzend. Schon das
wirkt paranoid, die Nähe zu Verschwörungstheorien
ist manifest.
Die beiden Herren sehen uns
darüber hinaus am Rande einer
Klimadiktatur: »Jede energiepolitische
Maßnahme steht mittlerweile
unter dem Leitmotiv des Klimaschutzes
«, beklagen die Angestellten
der Energie-Industrie. Die
»Wirtschaftlichkeit« bleibe auf der
Strecke. Der scheidende RWE-Chef
Jürgen Großmann soll das Buch
verschlungen haben. Man kann
seine kalte Wonne gut verstehen.
Auch in der Bevölkerung dürfte
manches Argument auf fruchtbaren
Boden stoßen. Schließlich attackiert
nicht nur Vahrenholt die
unpopuläre Forderung, zum
Schutz des Klimas ein bisschen
Maß zu halten bei Fleischkonsum
und Flugreisen. Längst greife die
Politik im Namen des Klimaschutzes
ȟber Gesetze und Verordnungen
direkt in das Leben der
Bürger« ein. Und das auf verfälschter
wissenschaftlicher
Grundlage ...
* Aus: junge Welt, 10. Februar 2012
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