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Liebe, liebe Sonne ...

Braunkohlefreunde wissen es ganz genau: Es gibt keinen von Menschen zu verantwortenden Klimawandel. REW-Manager Vahrenholt hat das in einem Buch aufgeschrieben

Von Wolfgang Pomrehn *

Mit viel publizistischem Aufwand stellt der RWE-Manager Fritz Vahrenholt dieser Tage sein neues Buch »Die kalte Sonne: Warum die Klimakatastrophe nicht stattfindet« vor. Mit seinem Koautor Sebastian Lüning – ebenfalls ein RWE-Angestellter – versucht der gelernte Chemiker den Nachweis zu erbringen, daß es gar keinen von Menschen verursachten Klimawandel gebe. Vielmehr sei die Sonne für den Temperaturanstieg verantwortlich. Die These ist nicht unbedingt neu und bereits vielfach von diversen Klimaforschern widerlegt, aber das scheint die beiden nicht weiter zu interessieren.

Das Interessante an dem Vorgang ist der Hintergrund und die begleitende Kampagne in der Springer-Presse, namentlich in Bild. Das Boulevard-Blatt hatte noch vor vier Jahren in reißerischen Übertreibungen vor den Folgen des Klimawandels gewarnt. Eine regelrechte Kampagne hatte man seinerzeit nach der Veröffentlichung der letzten Berichte des IPCC gestartet, jenes von UN-Nebenorganisationen eingesetzten, mehr als 3000 Köpfe zählenden Wissenschaftlerrates, der alle paar Jahre den Kenntnisstand in Sachen Klimaforschung zusammenfaßt. Nun verfällt Bild in das andere Extrem und läßt in einer Serie zweifelhafte Experten zu Wort kommen, die den Klimawandel leugnen und zugleich Werbung für Vahrenholts Buch machen. Offensichtlich soll eine Aura von Skandal und Sensation erzeugt werden, indem alle paar Jahre jeweils das Gegenteil von dem verbreitet wird, was zuvor als richtig galt. Das Hamburger Magazin Der Spiegel hat seit den 1980er Jahren schon mehrfach ähnliche Schwenks vollzogen. Eine beliebte Zutat dieses Infotainment-Breis ist es, die eigenen Übertreibungen jeweils den Wissenschaftlern unterzuschieben und diese dann der Lüge oder der Panikmache zu bezichtigen.

Den Anfang der Bild-Serie machte vergangene Woche Werner Weber, der an der Technischen Universität Dortmund an Supraleitern arbeitet. Während seine Kollegen eine umfangreiche Palette von Themen angeben, an denen sie forschen, heißt es über ihn auf der Internetseite des Instituts nur, daß er sich mit »elementaren Festkörperanregungen« beschäftigt. Einen Hinweis über irgendwelche Qualifikationen im Bereich Klimaforschung gibt es nicht.

Professor Weber läßt sich zum Auftakt der Werbekampagne über die »CO2-Lüge« aus und behauptet, Variationen der Sonnenaktivitäten seien für die Hälfte der beobachteten Erwärmung verantwortlich. Ein zentrales Argument des Vahrenholt-Buches. Die Sache hat nur einen Haken. Seit 2006 ist die Sonnenstrahlung auf dem niedrigsten Niveau seit Beginn der Satellitenmessungen, doch die Temperatur steigt weiter.

An dieser Stelle kommt das nächste, ebenfalls schon unzählige Male widerlegte Argument. Die Temperatur würde seit 1998 nicht mehr zunehmen. Dazu muß man wissen, daß die global über den ganzen Planeten und das ganze Jahr gemittelte Temperatur nie gleichbleibend ist. Sie nimmt auch nicht einfach linear zu, das heißt, es wird nicht regelmäßig um einen bestimmten Betrag wärmer. Vielmehr gibt es Variationen von Jahr zu Jahr und auch über etwas längere Zeiträume. Um eine Aussage über einen Trend machen zu können, müssen die Klimaforscher über viele Jahre mitteln. Für gewöhnlich wird eine Periode von 30 Jahren genommen. Bildet man ein Mittel über die zurückliegenden 30 Jahren kommt ein Anstieg von 0,16 bis 0,18 Grad Celsius pro Jahrzehnt heraus. Ein Blick auf einzelne Jahre zeigt, 2005 und 2010 waren die beiden wärmsten bisher gemessenen, danach kommt 1998. 2011 fiel zwar etwas hinter 2010 zurück, war aber immer noch wärmer als jedes im letzten Jahrhundert gemessene Jahr mit Ausnahme von 1998. Wenn ein Mittel über die Jahre 1999 bis 2010 gebildet wird, so der Paläoklimatologe Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Institut für Klimaforschung in einer Entgegnung auf Vahrenholts Behauptungen, die er schon im vergangenen Jahr im Springer-Blatt Welt verbreitet hatte, dann ergibt sich immer noch ein Erwärmungstrend von 0,16 Grad Celsius pro Jahrzehnt. Nur wenn das Mittel auch das herausragende Jahr 1998 mit einbezieht, flacht der Trend deutlich ab, bleibt aber mit 0,08 Grad Celsius pro Jahrzehnt immer noch positiv.

Aber offensichtlich interessieren Vahrenholt Sachargumente nicht wirklich. Der Verdacht liegt nahe, daß das mit seinem Beruf zu tun haben muß. Auch sein Noch-Chef, der RWE-Vorstandsvorsitzende Jürgen Großmann, stänkert ja hin und wieder ganz gerne gegen die Klimaforschung. RWE ist nämlich dank seiner großen Braunkohlekraftwerke im Rheinland EU-weit einer der größten Verursacher des Treibhausgases Kohlendioxid. Kein anderer fossiler Brennstoff verursacht pro Einheit gewonnener Energie eine so große Menge des Treibhausgases wie die Braunkohle, die der Konzern in großen Tagebauen in Nordrhein-Westfalen aus der Erde holt. Sollte hierzulande tatsächlich mal mit Klimaschutz ernst gemacht werden, dann müßten diese Anlagen nach und nach stillgelegt werden.

* Aus: junge Welt, 15. Februar 2012


Hintergrund: Angst vor der sauberen Konkurrenz

Wie kommt ein RWE-Manager dazu, ein dickes Buch zu schreiben, das versucht, mal eben 30 Jahre wissenschaftlicher Forschung einiger zehntausend Menschen in aller Welt über den Haufen zu werfen. Litt Fritz Vahrenholt als Chef der RWE-Windenergiesparte unter Langeweile. Angesichts des geringen inländischen Aktivitätsgrades dieses Unternehmenszweiges klingt das fast nach einer plausiblen Erklärung. Doch über das Motiv muß nicht spekuliert werden, der Autor spricht es freimütig aus. Die Energiewende soll ausgebremst werden; das Buch soll die Öffentlichkeit überzeugen, daß wir alle Zeit der Welt haben. Den Klimawandel gebe es gar nicht, und wenn es doch ein bißchen wärmer geworden sein sollte, dann lag das nur an der Sonne, im übrigen wird es demnächst sogar wieder ein wenig kühler. Alles Unsinn und lange widerlegt, aber darum geht es dem Autor nicht. Unliebsame Konkurrenz soll kleingehalten und nebenbei auch RWE ein wenig reingewaschen werden. Der gehört mit seinen Braunkohlekraftwerken zu den größten Klimasündern Europas.

Diese Kraftwerke haben ein ähnliches Problem wie die AKW: Sie sind schlecht regelbar. Aus technischen wie ökonomischen Gründen müssen sie möglichst rund um die Uhr laufen, und zwar, wenn es irgend geht, mit Volllast. Zudem sind sie sehr schwerfällig. Einmal abgeschaltet brauchen sie viele Stunden, bevor sie wieder mit voller Last laufen. All das verträgt sich schlecht mit Windkraft- und Solaranlagen, wenn sie ihren Strom jederzeit ins Netz einspeisen dürfen. Der fällt nämlich nicht sehr gleichmäßig an. Sonnenstrom natürlich nur tagsüber, aber auch nicht immer, und Windstrom variiert von Tag zu Tag oft erheblich. Immerhin sind die beiden in gewisser Weise komplementär, das heißt, wenn die Sonne nicht scheint, weht es oft mehr, und umgekehrt.

Das Problem für die Betreiber der schwerfälligen Großkraftwerke besteht inzwischen in der Menge des Sonnenstroms. In diesem Sommer könnte es zum ersten Mal passieren, daß sie an besonders sonnenreichen Tagen ihren Strom nicht mehr los werden, weil die Solaranlagen fast 50 Prozent des Bedarfs abdecken. Dann müssen sie ihre Anlagen aufwändig herunterfahren oder ihren Strom im benachbarten Ausland an Großabnehmer verschleudern. Mit Verlust, versteht sich. Daher derzeit das verbissene Gerangel in der CDU/CSU-FDP-Koalition zwischen Wirtschaftsflügel und Umweltpolitikern um den weiteren Ausbau der Solarenergie und daher die Medienkampagne um Vahrenholts Buch. Mit dem Klima hat das alles eigentlich herzlich wenig zu tun.
(wop)

(junge Welt, 15. Februar 2012)


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