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Vahrenholts Korrekturen

Tippfehlers Hebelwirkung: Wie ein RWE-Manager mit einer großen Kampagne den Klimawandel widerlegt

Von Wolfgang Pomrehn *

Der RWE-Manager Fritz Vahrenholt hat ein Buch geschrieben, über die Sonne und den Klimawandel. Vermutlich weiß bereits die halbe Republik davon. Die Springer-Presse machte eine Riesenkampagne, Ex-Spiegel-Chef Stefan Aust stellte das Buch der Presse vor, in der Zeit wurde es verrissen, in der FAZ vornehm dezent mit einem sachlichen Artikel über die reale Wissenschaft gekontert, der die Dinge ein wenig ins rechte Licht rückte. Die Bourgeoisie ist halt nicht so blöd, die eigene Propaganda zu lesen. Die ist für die Bild-Leser.

Über dieses Bohei hat jW am 15. Februar berichtet. Es folgt ein tieferer Blick in das Machwerk des Klima-Sarrazins, der in seinem früheren Leben mal Umweltsenator auf dem SPD-­Ticket in Hamburg war. Danach hat er unter anderem bei Shell angeheuert, und zwar nachdem der britisch-niederländische Konzern wegen seiner engen Zusammenarbeit mit der nigerianischen Militärdiktatur ins Gerede gekommen war. Unter anderem hatten die Militärs 1995 den Schriftsteller und Journalisten Ken Saro-Wiwa hingerichtet, der sich gegen die von Shell verursachte Zerstörung der Lebensgrundlagen der Bauern und Fischer in der Ölregion im Nigerdelta wehrte. Für den Sozialdemokraten Vahrenholt, wie gesagt, kein Hinderungsgrund, sich dem Unternehmen 1998 als Manager anzudienen.

2003 wechselte er zum schleswig-holsteinischen Windkraftanlagen-Hersteller Repower, wo er sich als Sanierer betätigte, also das Lohnniveau senkte und auch sonst die Arbeitsbedingungen verschlechterte. Derlei Tätigkeiten qualifizierten ihn offensichtlich für den »Rat für Nachhaltige Entwicklung«, in den ihn Parteifreund Gerhard Schröder als damaliger Bundeskanzler berief. Noch später wurde Vahrenholt von RWE engagiert, wo er noch bis zum Sommer die Windenergiesparte RWE Innogy GmbH leitet.

Nun will er uns also das Klima erklären. Auf gut 400 Seiten breitet er die steile These aus, der Klimawandel verlaufe viel langsamer als die überwältigende Mehrheit der Wissenschaftler annimmt. Zudem sei der Wandel bisher vor allem ein Ergebnis gesteigerter Sonnenaktivitäten. Ein Klimawissenschaftler sei er zwar nicht, schreibt Vahrenholt, um dem Leser dann zu erklären, wie er zum Thema gekommen sei. In einem Bericht des UN-Ausschusses für den Klimawandel, IPCC, habe er zahlreiche Fehler gefunden. 293, um genau zu sein. »Das ist ja ein dickes Ei«, wird der Leser sagen – nachvollziehbar, daß dem Autor darüber Zweifel an der Klimawissenschaft gekommen sind.

Locker auf 293

Doch was hat es mit diesen Fehlern auf sich? Es geht um den 2011 erschienenen IPCC-Sonderbericht zu den Potenzialen erneuerbarer Energieträger, genauer: um dessen Entwurf. Der RWE-Manager verschweigt an dieser Stelle, daß er als Gutachter um seine Meinung gefragt worden war. Er hat nicht den fertigen Bericht, sondern ein Vorprodukt gelesen. Weil vier Augen mehr sehen als zwei, werden Texte vor der Veröffentlichung korrekturgelesen. Bei den IPCC-Berichten, die den jeweiligen weltweiten Wissensstand zusammenfassen sollen, entsteht der Text vor tausend oder mehr Augen, und einige tausend schauen noch einmal drüber. In diesem Fall gehörten zwei davon Vahrenholt, der ganz viele Fehler gefunden haben will, 293. Nun, es war seine Aufgabe, Fehler aufzuzeigen, könnte man einwenden, dafür sind Gutachter schließlich da, aber schauen wir uns Vahrenholts Korrekturen doch einmal an.

Zum Glück ist der IPCC im Gegensatz zu einem beliebigen Konzernvorstand oder kommunalen Privatisierungsvertrag eine ziemlich transparente Angelegenheit, und so sind im Internet alle Einwände gegen die IPCC-Entwürfe sowie die Antworten der Autoren einsehbar. Siehe da: Unser Autor hat tatsächlich fleißig kommentiert. In den ersten beiden von zehn Kapiteln hat er 38 »Fehler« gefunden, darunter drei kleinere inhaltliche, sechs Tippfehler oder Anregungen zu Stil- und Darstellungsfragen und 29 Anmerkungen, in zweien davon möchte er die positive Rolle großer Konzerne besser gewürdigt haben. So kommt man locker auf 293. Im übrigen hat dieser angeblich fehlerhafte Bericht nichts mit Klimaforschung zu tun. Für Vahrenholt läßt er indirekt dennoch auf die Qualität anderer Berichte über Klimawissenschaften schließen.

Derartige Unredlichkeit zieht sich durch das ganze Buch, nach dessen zentraler These die Sonne an allem schuld ist. Es gibt diese These seit mehr als 30 Jahren. Die Handvoll Physiker und Meteorologen, die sie vertreten, sind unter den Klimawissenschaftlern isoliert. Vahrenholt und seine Gast- und Koautoren übersehen souverän die umfangreiche Literatur, mit der ihre These in den letzten Jahrzehnten widerlegt wurde. Liest man ihr Buch, drängt sich der Eindruck auf, die Wissenschaft habe sich mit den Fragen bisher nicht beschäftigt.

Ausbleiben der Flecken

Worum geht es? Auf der Sonnenoberfläche gibt es dunkle Flecken. Ihre Zahl schwankt in Perioden, die wichtigste davon ist der elfjährige Zyklus. Bei den Flecken handelt es sich um intensive Aufwallungen in den oberen Schichten. Am Rand der Flecken dringt besonders heißes Material aus tieferen Schichten nach oben, das intensiver strahlt. Deshalb bedeuten viele dunkle Sonnenflecken, anders, als man meinen könnte, einen Anstieg der Sonnenstrahlung.

Die Schwankungen der Sonnenintensität spielen sich im Bereich von einigen Hundertstel Prozent ab, was sich nach sehr wenig anhört, doch Auswirkungen auf das Klima sind dennoch möglich. Denkbar wären zum Beispiel nichtlineare Effekte, zum Beispiel ein Einfluß hochenergetischer, während der Sonnenfleckenmaxima ausgestoßener Partikel auf die Wolkenbildung, wie ihn Westberliner Meteorologen in den 1980ern postuliert haben. Bisher ist es nicht gelungen, einen Zusammenhang statistisch nachzuweisen.

Zum Einfluß der Fluktuationen der Sonnenintensität wurden auch Klimasimulationen durchführt. Georg Feulner und Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung haben durchgerechnet, was passiert, wenn die Sonnenflecken für den Rest des Jahrhunderts ausbleiben. Einige Astrophysiker aus den USA, auf die sich auch Vahrenholt beruft, prognostizieren das für die Zeit nach 2020. Das Ergebnis der Potsdamer: Bis zum Ende des Jahrhunderts würde eine »kalte Sonne« die Erwärmung um gerade 0,3 Grad Celsius dämpfen.

Werden jedoch weiter ungehemmt Treibhausgase wie Kohlendioxid und Methan ausgestoßen, wird die Erwärmung vermutlich vier Grad Celsius oder mehr betragen. Ein Ausbleiben der Sonnenflecken kann also, anders als von Vahrenholt und seinen Mitautoren behauptet, den Effekt der menschlichen Eingriffe in das Klimasystem nicht überdecken.

Fritz Vahrenholt, Sebastian Lünning: Die kalte Sonne – Warum die Klimakatastrophe nicht stattfindet. Hoffmannn und Campe 2012, 445 Seiten, 24,99 Euro

* Aus: junge Welt, 1. März 2012


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