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Jahrhundertstürme häufen sich auch bei uns

Klimastudie der Versicherungswirtschaft warnt vor Zunahme von Extremwetter-Ereignissen

Von Steffen Schmidt *

Der Klimawandel verursacht längst auch in Deutschland wirtschaftliche Schäden. Und die werden sich in den nächsten Jahrzehnten noch deutlich vergrößern. Das ist das Ergebnis einer Studie, die Wissenschaftler aus Potsdam, Berlin und Köln gemeinsam mit dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) am Dienstag (24. Mai) in Berlin vorstellten.

Bei Folgen der Klimaerwärmung redete man bislang meist von fernen Ländern – von den Eisbären ohne Eis, von Hochwasser in Bangladesch oder Buschbränden in Australien. Doch die Auswirkungen haben Europa bereits erreicht, erklärte GDV-Präsident Rolf-Peter Hoenen bei der Vorstellung der Klimastudie. So sei 2010 weltweit das heißeste Jahr seit 500 Jahren gewesen, und im vergangenen Jahrzehnt kam es zu zwei der teuersten Naturereignissen in Deutschland: Das Elbe-Hochwasser 2002 kostete die Versicherungen in Deutschland 1,8 Milliarden Euro und das Sturmtief »Kyrill« 2007 sogar 2,4 Milliarden. Angesichts dieser Entwicklung haben die Versicherer vor drei Jahren führende Klimaforscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), der Freien Universität Berlin und der Universität Köln ins Boot geholt, um durch Verknüpfung der Schadensdaten der Versicherungen mit Klimamodellen zu einer realistischen Prognose künftiger Belastungen zu kommen.

PIK-Forscher Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe fasste die Ergebnisse der Studie zusammen: Künftig treten Hochwasser, wie sie Deutschland bisher im Durchschnitt alle 50 Jahre erlebt, alle 25 Jahre ein. Sturmschäden nehmen bis zum Jahr 2100 um mehr als 50 Prozent zu. Besonders heftige Orkane, die heute nur alle 50 Jahre über Deutschland ziehen, können künftig alle 10 Jahre eintreten. Insgesamt würden einzelne, extreme Unwetter in Zukunft öfter auftreten und deutlich größere Schäden verursachen als heute. Für die Versicherer bedeutet das, dass sie bis zum Ende des 21. Jahrhunderts allein für Extremstürme alle 10 Jahre 7 bis 8 Milliarden Euro zahlen müssen, erläuterte Thomas Vorholt vom GDV, drei Mal so viel, wie bei heutigen extremen Sturmereignissen.

Klimaforscher Gerstengarbe zeigte auf, dass die Schäden deutliche regionale Schwerpunkte haben werden. Die größten Hochwasserrisiken liegen naturgemäß an den Ufern der großen Flüsse. Auch wenn die verschiedenen verwendeten Klimamodelle große Schwankungen bis zum Jahre 2100 aufweisen, ergibt sich für den Durchschnitt aller Berechnungen inflationsbereinigt eine Verdopplung der Schadenssumme durch Flussüberschwemmungen und Sturzfluten bis Ende des Jahrhunderts auf mehr als das Doppelte der heutigen Schäden, auch eine Verdreifachung sei möglich.

Bei den Winterstürmen habe sich die Schadenssumme auf Grund der vorherrschenden Nordwest-Windrichtung vor allem in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Teilen von Niedersachsen von 1961 bis 2000 bereits verfünffacht, bis zum Jahr 2100 erwartet die Studie in diesen Regionen sowie im Südosten Bayerns nochmals eine Verdopplung.

Dass die Veränderungen der Häufigkeit und Stärke von Extremwetter in den letzten Jahrzehnten auf menschliches Zutun zurückgeht, belegt für Peter Höppe vom Rückversicherer Munich Re ein Vergleich der Schadensentwicklung durch Erdbeben und Tsunamis einerseits sowie durch Stürme, Dürren und Überflutungen andererseits. Letztere seien weit schneller angestiegen als erstere. Und bei Erdbeben sei der menschliche Einfluss eher unbedeutend.

Es gibt aber auch – so Vorholt – eine gute Nachricht: Elementarschäden seien auch in Zukunft in den meisten Teilen Deutschlands noch versicherbar. Bei so manchem Haus in Überflutungsgebieten sei dies aber nicht der Fall. Auch deshalb gebühre der Vorbeugung von Schäden Priorität.

Zu den Forderungen der Versicherungswirtschaft gehört deshalb eine Ausweisung von Risikogebieten in Flächennutzungsplänen, eine Anpassung von Bauten an künftige Stürme und extreme Regenfälle und eine Auslegung der Entwässerungssysteme der Städte für Starkregen.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Mai 2011


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