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Entscheidung in der Wüste

Vor 70 Jahren: Die zweite Schlacht von El Alamein beginnt

Von Martin Seckendorf *

Am 23. Oktober 1942 um 21.30 Uhr eröffneten britische Truppen in Ägypten bei der Bahnstation El Alamein, etwa 90 Kilometer westlich von Alexandria, eine Großoffensive gegen die deutsch-italienische Panzerarmee Afrika unter Generalfeldmarschall Erwin Rommel. Die Offensive sollte sich als Entscheidungsschlacht auf dem Kriegsschauplatz in Nordafrika erweisen. Für die Wehrmacht kam der Angriff überraschend. Noch zwei Tage vor seinem Beginn meldete die Spionageabteilung des Heeres, in Nordafrika sei »in allernächster Zeit nicht mit größeren feindlichen Angriffsoperationen zu rechnen«.

Über tausend Geschütze trieben, unterstützt von pausenlosen Angriffen der Royal Air Force, eine Feuerwalze über die stark befestigten, tief gestaffelten und durch großflächige Minenfelder gesicherten faschistischen Stellungen. Am 4. November gelang der britischen 8. Nil-Armee unter Bernard Montgomery der Durchbruch. Binnen weniger Wochen drängte sie die deutsch-italienischen Truppen 3000 Kilometer westwärts bis nach Tunesien, wo sie am 13. März 1943 kapitulierten.

»Schwarzer Sommer«

Dabei waren die Aussichten der Briten nach zwei Jahren Wüstenkrieg nicht vielversprechend. Im September 1940 hatte Italien auf Druck aus Berlin von seiner Kolonie Libyen aus eine Aggression gegen das unter britischer Kontrolle stehende Ägypten begonnen. Eine britische Gegenoffensive warf die Italiener weit zurück. Es bestand die Möglichkeit, daß die Briten die gesamte Südküste des Mittelmeeres unter ihre Kontrolle bringen und Italien direkt ins Visier nehmen konnten. Zudem waren in Nordafrika starke britische Truppen gebunden. Deutschland entsandte ab Februar 1941 Panzer und motorisierte Verbände, die zum Deutschen Afrikakorps zusammengefaßt wurden. Ziel der deutschen Truppen war die Wiedereroberung der Cyrenaika.

Am 28. Juni 1941 aber erhielt Rommel den Befehl, die Eroberung Ägyptens vorzubereiten. Diese Operation sollte der südliche Arm einer riesigen Zangenbewegung werden. Zeitgleich sollte die Wehrmacht durch Bulgarien und den zu erobernden Kaukasus nach Süden vorstoßen und sich etwa bei ¬Haifa mit den Rommel-Truppen vereinen. Der Weg in den ölreichen Nahen und Mittleren Osten sowie nach Indien, dem »Kronjuwel« britischer Kolonialpolitik, wäre geöffnet. Nach wechselvollen Kämpfen begann im Frühjahr 1942 die Offensive der deutsch-italienischen Truppen, die erst in Ägypten bei El Alamein zum Stehen kam. Von besonderem Gewicht für die Briten war der Verlust der Festung Tobruk am 21. Juni 1942. Den Deutschen fielen rund 5000 Tonnen Versorgungsgüter und 10000 Tonnen Treibstoff in die Hände.

Während die Naziregierung jubelte und Rommel zum Generalfeldmarschall ernannte, empfanden die Briten die Niederlage als Schmach. Die nach Meinung des britischen Premiers Winston Churchill unehrenhafte Kapitulation von Tobruk galt als Tiefpunkt in einer Kette schwerer Niederlagen Britanniens. Die Westalliierten erlitten demütigende Niederlagen auch im Pazifik. In der Sowjetunion schien der Vorstoß der Wehrmacht gegen den Kaukasus und die untere Wolga kaum mehr zu stoppen. Das Wort vom »schwarzen Sommer« für die Alliierten ging um. Auch die Eroberung Ägyptens schien nicht mehr abzuwenden. In London wurde Churchill für die Niederlage verantwortlich gemacht und seine Stellung als Premier untergraben. Auch außenpolitisch waren die Folgen gravierend. Churchill überredete die Amerikaner, die als Eröffnung der zweiten Front geplante Invasion Nordfrankreichs zu verschieben und statt dessen eine Landung »im Rücken Rommels« zu versuchen. Die Operation unter der Deckbezeichnung »Torch« begann am 7. November 1942 mit Großlandungen anglo-amerikanischer Truppen in Nordwestafrika.

Die Lage schien für die Briten auch dadurch besonders bedrohlich, da die deutsche Panzerarmee Afrika zur Erleichterung eines Vormarsches zum Suezkanal die ägyptische Zivilbevölkerung zum Aufstand gegen die Briten aufrief. Armeeoberbefehlshaber Rommel forderte die Propaganda- und Diversionszentralen in Deutschland auf, ebenfalls in diesem Sinne auf die Ägypter einzuwirken.

Rommels Niederlage

Wie ernst die Briten die Lage beurteilten, ist daran zu erkennen, daß Churchill im August 1942 mit Sondergenehmigung des Kriegskabinetts in London zweimal die gefährliche Flugreise nach Ägypten unternahm. Dort organisierte er die Verteidigung des Nil-Deltas sowie Alexandrias und Kairos. Er reorganisierte die Befehlsstruktur im Nahen und Mittleren Osten und verfügte, eine Großoffensive vorzubereiten. Dazu sollte die Nil-Armee derart verstärkt werden, daß sie eine deutliche Überlegenheit über die deutsch-italienischen Truppen erreichte. Hunderte fabrikneue amerikanische Panzer vom Typ A3 trafen in Ägypten ein. Der US-Panzer erlebte in Nordafrika seinen ersten Kriegseinsatz. Die bedeutendste Entscheidung war die Berufung von Bernard Montgomery zum Oberbefehlshaber der Nil-Armee. Damit setzte Churchill dem gewieften Taktiker und Haudegen Rommel einen strategisch denkenden, systematisch arbeitenden Militär entgegen.

Die Auswirkungen der neuen strategischen Orientierung wurden im September sichtbar. Rommel versuchte, die britische Stellung bei El Alamein südlich zu umfahren und nach Alexandria vorzudringen. Die deutschen Panzer blieben aber schon nach kurzer Zeit in dem systematischen Abwehrfeuer der Briten liegen. Als die Hauptschlacht begann, waren die Briten den Achsenmächten numerisch weit überlegen. Rommel verfügte über 150000 Soldaten und 550 Panzer, Montgomery über 230000 Soldaten und 1000 Panzer. Den 345 Flugzeugen der Achsenmächte standen 1000 britische Maschinen gegenüber.

Die faschistischen Truppen litten permanent unter Nachschubmangel. 80 Prozent der Transporte gingen durch Jugoslawien und Griechenland. In beiden okkupierten Ländern attackierten Partisanen die Nachschubwege. Was in den Verladehäfen ankam, war dann auf See häufig Beute der überlegenen britischen Luft- und Seestreitkräfte. Den bedeutenden britischen Marine- und Luftwaffenstützpunkt Malta konnten die Faschisten nicht ausschalten. Die Nachschubfrage hing auch mit der unterschiedlichen Einschätzung des Kriegsschauplatzes durch die Verantwortlichen in Berlin und London zusammen. Faschistische Truppen in Ägypten bedeuteten eine ernste Bedrohung britischer Positionen im Mittelmeergebiet und im Mittleren Osten. Für die Deutschen war Nordafrika ein Nebenkriegsschauplatz. Nach Auffassung der Naziführung falle die Kriegsentscheidung nicht in Nordafrika, sondern in der Sowjetunion. Die Ostfront aber verlangte den deutschen Faschisten immer größeren materiellen und personellen Aufwand ab.

Die Niederlage Rommels verschärfte auch die deutsch-italienischen Beziehungen. Den italienischen Soldaten wurde die Schuld für das Debakel zugeschoben. Beim Rückzug benutzte die Wehrmacht die Soldaten des Bundesgenossen als Schutzschild und beschlagnahmte deren Fahrzeuge.

Montgomerys Sieg war der erste große Erfolg der Briten zu Lande im Zweiten Weltkrieg. Churchill faßte überhöhend zusammen: »Vor Alamein errangen wir nie einen Sieg. Nach Alamein erlitten wir keine Niederlage (mehr).«

Quellentext: Hitlers Lieblingsgeneral

Erwin Rommel sollte als Oberbefehlshaber der deutschen und italienischen Truppen in Nord¬afrika Ägypten erobern und sich mit von Norden vordringenden deutschen Truppen bei Haifa treffen. Von Ende September bis 25. Oktober 1942 war Rommel auf einem Genesungsurlaub in Deutschland. Die Tagebücher des Propagandaministers Josef Goebbels zeigen, wie die Naziführung ihn als Idealfigur eines faschistischen Heerführers aufbaute. Erst 1944, nachdem er auf Grund der Kriegslage Kritik an der obersten Führung übte, fiel Rommel in Ungnade. Wegen angeblicher Verbindungen zu den Attentätern des 20. Juli 1944 zwang ihn Hitler zum Selbstmord. Die Bundeswehr benannte Kasernen und einen Lenkwaffenzerstörer nach Rommel.

Goebbels schreibt über Rommel in seinen Tagebüchern:

»1.10.1942: Rommel hat (…) vom Führer den Marschallstab erhalten und strahlt vor Glückseligkeit (…). (Er) ist ein nationalsozialistischer Heerführer, so wie wir ihn uns nur wünschen können.

3.10.1942: Abends sitzen wir mit Rommel (…) zusammen. (...) Er steht ja der nationalsozialistischen Propaganda von allen Führern des Heeres am allernächsten.

4.10.1942: Mit Rommel kann man propagandistisch alles machen. (…) Ausgiebig spreche ich mit dem Führer (…) Rommel hat auf ihn wiederum einen sehr tiefen Eindruck gemacht. Er ist weltanschaulich gefestigt, steht uns Nationalsozialisten nicht nur nahe, sondern ist ein Nationalsozialist. (…) Rommel ist der kommende Oberbefehlshaber des Heeres.«



* Aus: junge Welt, Samstag, 20. Oktober 2012


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