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"Großraumwehrwirtschaft"

Geschichte. Wie die Nazis den Krieg gewinnen wollten. Die strategischen Planungen von Hitler, Wehrmacht und Großindustrie

Von Dietrich Eichholtz *

Die kapitalistische Welt wird durch ihr Hätschelkind, den Faschismus, zum Kriege gezwungen werden.« Das vertraute Thomas Mann am 29. März 1939, 14 Tage nach dem deutschen Einmarsch in Prag, im nordamerikanischen Exil seinem Tagebuch an; voller Verzweiflung über den anscheinend unaufhaltsamen Expansionszug Hitlerdeutschlands durch Europa. Der brutale Coup von Prag zwang allerdings die Regierungen in Großbritannien und Frankreich, die den »Führer« wenige Monate zuvor in München gerade die Tschechoslowakei hatten zerreißen lassen und ihm die tschechischen Grenzgebiete zum Raub vorgeworfen hatten, zu wortreichen Protesten und wenig überzeugenden »Garantien« für die Existenz Polens (31. März). Präsident Roosevelt schickte am 14. April öffentlich eine warnende Botschaft an die deutschen Machthaber, sich für die nächsten 25 Jahre aller Aggressionen gegen andere Länder zu enthalten.

Höhnisch wies Hitler in seinen Drohreden vom 1. und 28. April solche Warnungen ab und unterschrieb bereits am 11. April die eilig vorbereitete militärische Weisung für den Überfall auf Polen (»Fall Weiß«).

Seit der Münchener Krise war kaum ein halbes Jahr vergangen, und die maßgeblichen Kreise in Wehrmacht und Wirtschaft hatten sich in die Kriegsfront eingereiht, voran die hinter Hermann Göring versammelte Gruppierung um den Vierjahresplan und das Reichsamt für Wirtschaftsausbau (bis 5. Dezember 1939 noch: Reichsstelle...) und in OKW und OKH die führenden Militärs, auch solche, die wie Generalstabschef Franz Halder und »Wehrwirtschafts«-General Georg Thomas oft noch heute als eine Art Widerstandskämpfer gehandelt werden.

Halder begeisterte sich an »der hervorragenden, ich möchte sagen, instinktsicheren Politik des Führers«, die die Lage in Mitteleuropa gründlich gewandelt habe. In der zweiten Aprilhälfte schärfte er es seinen Generalen und Stabsoffizieren ein, daß es nun endlich möglich sei, Polen, diesen nicht ernst zunehmenden Gegner, »auf dem schnellsten Wege« nicht nur zu schlagen, sondern zu »liquidieren«, zu »zermalmen«. »Wir müssen in spätestens drei Wochen mit Polen fertig sein, ja, möglichst schon in vierzehn Tagen. Dann wird es von den Russen abhängen, ob die Ostfront zum europäischen Schicksal wird oder nicht. In jedem Fall wird dann eine siegreiche Armee, erfüllt mit dem Geist gewonnener Riesenschlachten, bereitstehen, um entweder dem Bolschewismus entgegenzutreten oder – nach dem Westen geworfen (zu) werden.«

Zwei Denkschriften

Die enorme Verschärfung der politischen Atmosphäre durch Nazideutschland beunruhigte die Welt aufs Äußerste. Zeichen des wachsenden deutschen Größenwahns gab es reichlich, nicht zuletzt die martialische Show, die in Berlin an Hitlers 50. Geburtstag am 20. April aufgezogen wurde. Aber niemand außer den Kreisen der Eingeweihten wußte, wie weit wirklich der Kriegsblock der Spitzen der deutschen Führung – Politik, Militär, Wirtschaft – schon zusammengewachsen war. Zum Kern der kriegstreibenden Kräfte gehörte der industriell-militärische Komplex. Und hier entstanden in diesen Vorkriegsmonaten umfangreiche, geheime Denkschriften, von denen die wichtigsten bis heute erstaunlich wenig bekannt sind.

Von höchstem Interesse sind zwei Manuskripte, die im Frühjahr und Sommer 1939 in Zusammenarbeit von Militärführung und Großwirtschaft entstanden, gerade also in der Zeit, in der sich die Wehrmacht auf »Fall Weiß« und damit auf das unmittelbar bevorstehende Risiko eines Krieges vorbereitete. Im April lag im OKW/Wehrwirtschaftsstab die (mit Anlagen) etwa 50 Manuskriptseiten starke Ausarbeitung über »Die Mineralölversorgung Deutschlands im Kriege« vor, die sich mit einem entscheidenden kriegsnotwendigen Rohstoff beschäftigte, dessen Beschaffung in einem längeren Krieg ein alarmierendes Versorgungsproblem darstellen mußte.

Das Datum des Juli/August 1939 trug dann die 70 Seiten starke Schrift »Möglichkeiten einer Großraumwehrwirtschaft unter deutscher Führung«, erarbeitet in der Reichsstelle für Wirtschaftsausbau. Hierin war eine programmatische Erörterung der kriegswirtschaftlichen Grundfragen vorgenommen worden – nachweisbar in enger Fühlungnahme mit dem Wehrwirtschaftsstab.

Öl-Kriegsplan: Von Rumänien ...

Diese Elaborate sind, wie wir sehen werden, so interessant und in vieler Beziehung einzigartig, weil in ihnen von maßgeblichen und bestinformierten Kreisen des Regimes nicht nur der strategische Charakter und der Umfang des kommenden Krieges als Großkrieg, ja als über Europa hinausreichend durchaus vorhergesehen war; viel mehr noch, weil hier die Voraussetzungen und materiellen Erfordernisse eines solchen Krieges in nüchterner, aber höchst eindringlicher und bestimmter Weise vorgetragen wurden. Dies trifft ganz besonders auf die Denkschrift der Reichsstelle für Wirtschaftsausbau zu. Sie war spätestens seit dem Datum des großen Vortrags ihres maßgeblichen Leiters, des IG-Farben-Vorstandsmitglieds Carl Krauch, vor dem »Generalrat des Vierjahresplans« (20./21. April 1939) im Entstehen begriffen, und Krauch kündigte sie selbst der rechten Hand Görings, Staatssekretär Paul Körner, Mitte Mai als eine »Untersuchung der Rohstoffabhängigkeit und Lösungsmöglichkeiten im Großwirtschaftsraum« an.

Wie Krauch in dem erwähnten Vortrag in Übereinstimmung mit Thomas’ April-Denkschrift konstatierte, »ist unser Wirtschaftsraum in Großdeutschland zu klein für eine volle Befriedigung der wehrwirtschaftlichen Mineralölansprüche«. Er verwies recht optimistisch auf die Wirtschaftsverhandlungen der letzten Monate und den deutsch-rumänischen Staatsvertrag vom 23. März 1939: Der »neue, so erfolgreich eingeschlagene Weg nach Südosteuropa zeigt uns die einzige und hoffnungsfreudige Möglichkeit, durch Einbeziehung eines wehrmachtsmäßig zu sichernden Raumes die Mineralölwirtschaft auf lange Jahre hinaus völlig zu sichern«.

Die April-Denkschrift des Wehrwirtschaftsstabes enthielt als Anlage bereits eine grobe Skizze der von Krauch erwähnten Ölpipeline von Rumänien nach Regensburg, sogar fortgeführt bis nach Minden/Hannover (siehe Abbildung). Hier war der Ton entschlossen-militärisch; im Blickfeld war expressis verbis die Planung eines bevorstehenden Angriffskrieges. Die Planer sahen »die Dauer eines längeren Krieges« vor, obwohl sie auch die Möglichkeit eines »Blitzkrieges« für denkbar hielten. Sie setzten aber, einigermaßen realistisch, von vornherein »die Feindschaft der Weststaaten und Sowjetrußlands und feindlich eingestellte Neutralität Belgiens, Hollands, Dänemarks, Norwegens und Polens« voraus. »Die Haltung Rumäniens soll als indifferent gelten.«

Bei einer Eigenerzeugung (1938) von 2,6 Millionen Tonnen Mineralöl, hauptsächlich an Synthesetreibstoff, fehlten an dem mit 8,1 Millionen Tonnen – lächerlich niedrig – angesetzten »Mob-Bedarf« fast 70 Prozent, die bisher durch im Krieg nicht zu sichernden Import (zu 98 Prozent aus Übersee) zu decken waren. Jene 98 Prozent würden mit »Unabänderlichkeit« ausfallen. »Vordringlichstes Kriegsziel muß deshalb unabdingbar die Beherrschung der Deutschland nächstgelegenen und feindlichen Einwirkungen tunlichst entrückten Erdölgebiete sein.« Die Lösung des Problems liege in Rumänien. Rumänien mit seinen zu nahezu 90 Prozent noch unerschlossenen Ölrevieren sei »schlechthin die einzige Möglichkeit einer Lösung«; so ergebe sich »als notwendige Erkenntnis: Die Beherrschung der rumänischen Ölfelder und somit des gesamten Donauraums als Vorbedingung für eine ausreichende Mineralölversorgung Deutschlands in einem Krieg von längerer Dauer.«

Wirtschaftliche und außenpolitische Mittel würden, wie im Ersten Weltkrieg, nicht ausreichen. Der Wirtschaftsvertrag vom 23. März 1939 »sieht keinerlei Verpflichtungen Rumäniens gegen Deutschland in einem Kriegsfalle vor.« Er sei auch bisher nicht ratifiziert worden. Die bisherigen Wirtschaftsverhandlungen hätten also »ein deutsches Erdölmonopol in Rumänien nicht erbracht«. Voraussetzungen für ein verpflichtendes deutsch-rumänisches Bündnis seien »ohne Aussicht auf Erfolg«. Im Gegenteil, die Rumänen sollen sich, hieß es, »bereits an England und Frankreich gewendet habe(n), um mit diesen Staaten gleichartige Verträge abzuschließen«. Wie im Ersten Weltkrieg werde »deshalb auch weiterhin das militärische Mittel das einzige sein, das die Beherrschung der rumänischen Erdölgebiete im Kriegsfall gewährleistet«. Es bilde daher den »dominierenden Faktor der deutschen Erdölpolitik«. Der Gefahr einer womöglich noch gründlicheren Zerstörung der Anlagen als 1916 müsse dabei vorgebeugt werden. Sonst »brächen die angestellten Berechnungen in sich zusammen, und Rumänien würde für längere Zeit als Erdöllieferant ausfallen«.

… nach »Kaukasien«

»Erwägungen« der Militärs richteten sich »auch auf den erweiterten Ostraum, das Gebiet des Kaukasus und des Orients«: »Das militärische Mittel ist auch das einzige, das die von der deutschen Wirtschafts- und Außenpolitik bisher unberührten ehemaligen ostgalizischen Erdölreviere des heutigen Polens gegebenenfalls heranzuziehen vermöchte. Schließlich ist es auch das einzige Mittel, das größte und lohnendste Ziel ins Auge zu fassen: Die Beherrschung des gewaltigsten Erdölgebietes Europas, Kaukasien.«

Bekannter als dieser noch nirgends veröffentlichte Öl-Kriegsplan des Wehrwirtschaftsstabes, aber ebenso bei weitem nicht in ihrer zentralen Bedeutung erfaßt, ist die sensationelle Ausarbeitung der Reichsstelle für Wirtschaftsausbau, die mehr oder weniger mit der Dienststelle des Generalbevollmächtigten für Sonderfragen der chemischen Erzeugung (GB Chemie) verschmolzen war – beide unter dem Kommando von Krauch und seinem Stab. Wenn man bedenkt, daß diese Schrift in Kenntnis und mit Billigung, wenn nicht sogar im Auftrag von Göring und Körner, also der dem »Führer« verantwortlichen Spitze der Vierjahresplan-Organisation entstand, so muß sie mit Fug und Recht als die maßgebliche, wichtigste wirtschaftspolitische Stellungnahme zur Kriegsvorbereitung und zur Kriegszielplanung gelten.

Ihr grundsätzlicher, einleitender Teil beschäftigte sich mit der »wehrwirtschaftlichen Lage eines unter deutscher Führung stehenden Großwirtschaftsraums (...) in einem in den nächsten Jahren eintretenden Kriegsfall«. Im 60seitigen Anlagenteil wurden die Aussichten zur Beschaffung von 30 Produkten untersucht, von Steinkohle bis Cyanit, sämtlich »industrielle Rohstoffe, soweit sie von entscheidender wehrwirtschaftlicher Bedeutung sind«. Als »kriegsentscheidend« wurde in diesem Teil die deutsche Steinkohlenförderung, ferner die »Schlüsselstellung« der Eisen- und Stahlversorgung hervorgehoben.

Es ist nicht leicht abzuwägen, ob in diesem damals hochgeheimen Dokument der Größenwahn der revanche- und expansionswütigen Kräfte des deutschen Imperialismus oder ihre Unsicherheit wegen des ungeheuren Risikos stärker wogen, das sie einzugehen entschlossen waren. Die Verfasser ließen keinen Zweifel an der Schwierigkeit der Aufgabe, »Blockadesicherheit« für den zu erwartenden größeren Krieg von langer Dauer zu schaffen. Aber sie bereiteten sich erfolgssicher darauf vor, zu diesem Zweck einen umfänglichen europäischen und sogar außereuropäischen Raum »unter deutsche Führung« und politische, militärische und organisatorische Abhängigkeit zu bringen. Dieser Bereich höchstmöglicher wirtschaftlicher Ausbeutung sollte umfassen: Slowakei, Italien, Spanien, Ungarn, Jugoslawien, Rumänien und Bulgarien, ferner Schweden, Norwegen, Finnland, die baltischen Staaten und möglicherweise auch Polen, Ukraine, Türkei, Griechenland, Portugal und Französisch-Westafrika. Diese Länder wären von einer »Zentralstelle« aus – unter maßgeblicher Beteiligung deutscher und verbündeter Industrieller – »soweit irgend möglich« friedlich zu durchdringen und planmäßig in »produktionstechnische« und »lieferungsmäßige« Abhängigkeit zu bringen.

Die seitenlangen Berechnungen zur Deckung der »Fehlbeträge« des »Mob-Fall«-Bedarfs (angenommen 1942) hatten in den meisten Positionen den seriösen Anstrich volkswirtschaftlicher Untersuchungen; sie trugen aber schon deswegen einen hoffnungslos illusionären Charakter, weil Reaktionen und Widerstand der zahlreichen betroffenen Länder und Völker, ganz zu schweigen von den mutmaßlichen Kriegsgegnern, vollständig unberücksichtigt blieben. Ein frappierendes Beispiel boten die Berechnungen bei Mineralöl. Für den Großraum müßten im »Mob-Fall« 23,85 Millionen Tonnen zur Verfügung stehen – eine vergleichsweise großzügige Schätzung, besonders begründet mit den »steigenden Forderungen der deutschen und den hohen Anforderungen der italienischen Kriegsmarine«. Die deutsche Erzeugung – auf synthetischer Basis – würde, wie planmäßig »eingeleitet«, auf das Zweieinhalbfache gesteigert werden müssen. Vor allem aber müsse Rumänien seine Gesamtförderung auf das Doppelte (!) bringen, sein gesamter Ölexport müsse mittels einzurichtender Pipeline-, Schiffs- und Eisenbahntransporte ausschließlich nach Deutschland fließen. Trotzdem müßten »zur Überbrückung von einem Mobjahr« acht Millionen Tonnen Treibstoff rechtzeitig eingelagert werden, was allein 385 Millionen RM erfordere – von rund 900 Millionen für alle zu bevorratenden Rohstoffe im ersten Jahr. Unter solchen Rohstoffen waren in erster Linie außer Öl Eisenerz, Rohphosphat und Kupfer genannt. Andere im »Großraum« ohne Bevorratung nicht lösbare Probleme waren zahlreich: Chrom, Wolfram, Molybdän, Titan, Nickel, Kobalt, Zinn, Antimon, Wismut, Bor, Asbest, Cyanit, Glimmer, Jod, Phosphate.

»Freundschaft« oder Giftgas

In seinem April-Bericht vor dem Generalrat des Vierjahresplans hatte Krauch noch kühn den Iran, also einen in britischer Abhängigkeit stehenden führenden Ölförderstaat, erwähnt, der unter deutschen Einfluß gebracht werden müsse. Statt dessen wurde in der August-Denkschrift außer dem »unentbehrlichen« Anschluß des »Nordraums« (Eisenerz; Nickel) der Zugriff auf die sowjetischen Rohstoffe gefordert: »Restlose Sicherung (des »Gesamtbedarfs« – D. E.) ist nur mit den Rohstoffen Rußlands (uns freundschaftlich) möglich.« Mit diesem »friedlichen« Ziel kontrastierten deutlich Passagen über eine möglicherweise unvermeidliche »militärische Auseinandersetzung mit Rußland bzw. Polen«, wo Öl in Galizien zu holen sei. In einem solchen Fall, besonders bei Ausfall des »Nordraums«, empfehle sich »eine dem Maß des Lieferausfalls entsprechende Verlagerung des Schwerpunkts der Kriegführung auf den chemischen Krieg, besonders aus der Luft«. Gerade auch für Italien dränge sich »die chemische Kriegführung als das billigste und unbegrenzt zur Verfügung stehende Kriegsmittel« auf.

»Freundschaft« oder Giftgas – beide Optionen sind in der August-Schrift ausgesprochen. Wirtschaftliche Beziehungen zur Sowjetunion und dementsprechende Verhandlungen spielten im Sommer 1939 eine zunehmende und von der politischen Führung geförderte Rolle. Das Zustandekommen eines Nichtangriffsvertrags lag zwar zuerst außerhalb der Vorstellungen beider Seiten; aber es gab noch bis 1940/41 eine nicht unbedeutende Gruppe deutscher politischer und militärischer, besonders auch diplomatischer Kreise, die bei der anstehenden Auseinandersetzung mit den Westmächten mit wirtschaftlichem Rückhalt und politisch-militärisch immerhin mit einem Stillhalten der Sowjet­union rechneten.

Hitler hat fraglos vom Inhalt, von den Forderungen und Problemen der untersuchten Denkschriften erfahren. Er hat dennoch den »Fall Weiß« strikt verfolgt und im August/September 1939 den Krieg ausgelöst, obwohl er diesmal mit einer sofortigen militärischen Reaktion Großbritanniens und Frankreichs rechnen mußte und auch gerechnet hat. Ein britischer Historiker, Adam Tooze, hat sich neuerdings, frei von den bisher üblichen Klischees – Hitlers manischer Kriegswille, seine Hybris, seine Angst vor dem Alter etc. – mit der Frage beschäftigt, warum für Hitler der »Mob.-Fall« um das Jahr 1942 herum inakzeptabel war.

Es handelt sich um zwei vom Standpunkt der Kriegstreiber sehr reale, miteinander korrespondierende Gründe, die Hitler den Zeitpunkt des »Losschlagens« vorverlegen ließen. Die voraussichtlichen Gegner, besonders Großbritannien, hatten seit einiger Zeit begonnen, die deutsche Hochrüstung mit forcierten eigenen Rüstungen zu beantworten. Für die Eingeweihten war es kein Geheimnis, daß die deutsche Wirtschaft angesichts der wirtschaftspolitischen, besonders auch der finanzpolitischen Lage (Devisen; Rohstoffe) einem solchen Wettrüsten, an dem sich früher oder später auch die USA auf der Gegenseite beteiligen würden, nicht mehr gewachsen wäre. Noch aber standen das deutsche Heer und die Luftwaffe als die stärksten in Europa da. Dieses Dilemma war, wie Hitler mehrfach betonte, sowieso nur mit »Bluteinsatz« aufzulösen. Er erklärte es Monate später (8. März 1940) Mussolini noch einmal: Er hätte es wegen der in Gang befindlichen britischen Rüstungen für richtiger gehalten, »den vom Westen beabsichtigten Krieg zwei oder drei Jahre früher auszulösen«, um nicht in West und Ost ins Hintertreffen zu geraten.

Das Problem war übrigens für jeden, der aufmerksam las, aus den Plänen gut erkennbar. So oder so: Den Krieg zu beginnen, war ein ungeheures Risiko, war ein Va-banque-Spiel der faschistischen Koalition, die, schon in Krauchs April-Bericht deutlich genug formuliert, »den Anstrengungen fast der ganzen übrigen Welt« gewachsen sein müsse.

Der erste »Sieg«, den Hitler im Sommer 1939 einfuhr, war der Nichtangriffsvertrag mit der UdSSR, deren Verhalten sich aus der antisowjetischen Haltung Polens und der feindseligen Indolenz der Westmächte ihr gegenüber ergab.

Was auch immer das Schicksal der behandelten Denkschriften war, es sah letztlich doch ganz so aus, als ob der deutsche Kriegsplan daraus wichtige Anleihen entnahm und grundlegende Gedanken sich während der Kriegsläufte wiederfanden. Vor allem spielte das rumänische Öl in der deutschen Strategie eine bestimmende Rolle, und Hitler berief sich immer wieder in militärischen Entscheidungen im Osten, im Südosten und in Nordafrika, später auch in Italien, auf die Ausbeutung und den Schutz der rumänischen Ölfelder als kriegsentscheidend. Die bedeutende Rolle, die das deutsch-rumänische Verhältnis von 1938/39 an spielte, ist geschichtsnotorisch.

Es wäre auch falsch, den schon vor dem Krieg hervorgehobenen wirtschaftlichen Aspekt der Besetzung Norwegens (Eisenerz, Leichtmetall, Molybdän) geringzuachten. Das Land wurde bei hohem Risiko noch kurz vor der Eröffnung des Krieges in Westeuropa überfallen. Mit Norwegen und Finnland, das sich bald mit Deutschland verband, war schließlich auch Schweden in die Zange genommen und damit der beherrschende deutsche Einfluß im »Nordraum« gesichert.

1941/42, nach den Eroberungen in Nord- und Westeuropa, folgte Hitler im Krieg gegen die UdSSR zwar exzessiv seinem ideologischen Grundanliegen – Rassenfanatismus und »Volkstumskampf« –, aber ebenso, im gleichen Gleise fahrend, mit großer Genauigkeit dem wirtschaftlichen »Großraum«-Fahrplan, jenen Zielen nämlich, die allein ihm den schließlichen Sieg zu verbürgen schienen: die Reichtümer der Ukraine und das Öl des Kaukasus.

Von Dietrich Eichholtz erschien im Februar (zusammen mit Titus Kockel): »Von Krieg zu Krieg. Zwei Studien zur deutschen Erdölpolitik in der Zwischenkriegszeit« (mit Illustrationen und Dokumenten), Leipziger Universitätsverlag 2009, 197 S., brosch., 19,00 Euro, ISBN 978-3865832917

* Aus: Neues Deutschland, 15. April 2009


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