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Wie der Krieg in die Welt kam

Forscher rekonstruieren das Konfliktverhalten unserer Vorfahren

Von Martin Koch *

Nicht wenige Anthropologen vertreten die Auffassung, dass der Krieg, verstanden als organisierte Gewalt zwischen Gruppen, ein Merkmal aller menschlichen Kulturen sei. Folglich hätten bereits unsere Vorfahren, die noch als Jäger und Sammler lebten, immer wieder Kriege gegen ihre Nachbarn geführt. Fest steht: Die archäologischen Hinweise auf Mord und Totschlag unter Menschen reichen bis weit in unsere frühgeschichtliche Vergangenheit zurück. Davon kündet bekanntlich auch das Alte Testament: Da »erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot«.

Mit Krieg freilich hatte all das nichts zu tun. Die früheste Auseinandersetzung, die diesen Namen verdient, fand vermutlich vor rund 5500 Jahren im heutigen Nordsyrien statt. Ausgrabungen deuten darauf hin, dass die dort einst gelegene Stadt Hamoukar von Truppen der mesopotamischen Großmacht Uruk angegriffen, erobert und niedergebrannt wurde.

Hamoukar war ein Zentrum für die Herstellung von Waffen und Werkzeugen und somit ein lockendes Ziel für Eroberer. Im Vergleich dazu besaßen die frühen Jäger und Sammler wenig, was einen Krieg gelohnt hätte. Außerdem lebten die einzelnen Gruppen oft weit verstreut und trafen daher nur selten aufeinander.

Wenn es in Gesellschaften von Jägern und Sammlern überhaupt zu Tötungsdelikten komme, seien daran in der Regel nur Einzelne beteiligt, schreiben Douglas Fry und Patrik Söderberg jetzt im US-Fachblatt »Science« (Bd. 341, S. 270). Die an der Universität in Vasa (Finnland) tätigen Anthropologen haben für ihre Studie 21 Jäger-und-Sammler-Gesellschaften untersucht, die bis heute nomadisch leben und 95 Prozent ihrer Nahrung durch Jagen und Sammeln erwerben. Als Beispiele seien genannt: die Semang in Malaysia, die !Kung in Südafrika, die Hadza in Tansania, die Tiwi in Australien.

Die Forscher ermittelten insgesamt 148 Fälle von tödlicher Aggression. Zwei Drittel davon resultierten aus Unfällen, Familienfehden sowie aus Streitereien zwischen Männern um eine Frau. Das heißt, die Todesopfer waren zumeist Familienangehörige, Nachbarn oder Bekannte. Manche Menschen wurden auch hingerichtet, etwa weil sie Honig gestohlen hatten. Gewalt zwischen Gruppen fand dagegen kaum statt, und wenn doch, dann waren mutmaßlich nicht Gruppeninteressen der Grund, sondern ebenfalls persönliche Motive wie Rache oder Habgier.

Bleibt die Frage, ob die in der Studie analysierten Kulturen tatsächlich als Modell für die Beschreibung der Jäger-und-Sammler-Gesellschaften aus der Urzeit taugen. Fry und Söderberg sind davon überzeugt und überdies der Auffassung, dass es Kriege erst seit rund 10 000 Jahren gibt. Damals wurden die Menschen in einigen Teilen der Welt sesshaft, betrieben Ackerbau und Viehzucht und häuften auf einem begrenzten Territorium erhebliche materielle Reichtümer an, die andere Gruppen sich gewaltsam anzueignen versuchten.

Das mag im Wesentlichen zutreffen. Erhebliche Zweifel äußern einige Anthropologen jedoch an Frys Feststellung, dass der typische Jäger und Sammler nicht kriegerisch gewesen sei. Immerhin gehen 69 der in der Studie erfassten 148 Todesfälle auf das Konto der überaus gewaltbereiten australischen Tiwi. Es ist daher nicht auszuschließen, dass es auch zwischen Jägern und Sammlern gelegentlich kriegsähnliche Scharmützel gab. Doch diese waren an spezielle Voraussetzungen gebunden und nicht typisch für die Urgeschichte der Menschheit.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 27. Juli 2013

Quellenhinweis

Lethal Aggression in Mobile Forager Bands and Implications for the Origins of War
Douglas P. Fry and Patrik Söderberg
Science 341, 270 (2013)




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