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Zwei Gesetze – ein Ziel

Am 26. Juni 1935 bereitet die Hitlerregierung mit Bestimmungen zum Reichsarbeitsdienst und mit der Luftschutzverordnung die weitere Militarisierung vor

Von Manfred Weißbecker *

In Deutschland durfte sich die Nazipartei zwei Jahre nach dem 30. Januar 1933 ihrer Macht durchaus sicher fühlen. Politische Gegenkräfte waren ausgeschaltet, die meisten von ihnen saßen in Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern, viele waren am Ende ins Exil gegangen, andere hatten sich in eine Art innere Emigration zurückgezogen. Zahlreiche Deutsche lebten dem Regime angepaßt, in dieses eingeordnet oder mitunter gar in den Dienst faschistischer Organisiertheit gestellt. Hoffnungen auf eine Verbesserung des persönlichen Lebensstandards nährten sich am beginnenden Wirtschaftsaufstieg, dessen militaristische Kehrseite – eine horrende Aufrüstung – unreflektiert hingenommen wurde. Der NSDAP war es im Sommer 1934 zudem gelungen, die tiefe Krise innerhalb der eigenen Reihen dank eines terroristischen Befreiungsschlages (Röhm-Affäre) zu überstehen.

Auf dieser Grundlage konnten im Jahr 1935 entscheidende Weichen auf dem Weg zum Krieg gestellt werden. Am 15. März wurde die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht verkündet (siehe jW vom 13./14.3.). Dem folgten am 26. Juni weitere Gesetze, darunter zwei, die explizit der weiteren Militarisierung der deutschen Gesellschaft dienten: Das eine betraf die Einführung der generellen Arbeitsdienstpflicht von Jugendlichen und die Schaffung einer neuen faschistischen Organisation mit dem Namen Reichsarbeitsdienst (RAD), mit dem anderen wurde allen Deutschen auferlegt, die staatlichen Maßnahmen für den kommenden Luftschutz widerstandslos zu unterstützen.

In ersterem wurde mit keinem Wort sein militärischer Zweck angegeben, obgleich bereits auf dem Weg von einem als »freiwillig« bezeichneten Arbeitsdienst hin zur Arbeitsdienstpflicht dessen enger Zusammenhang mit dem Prinzip einer allgemeinen Wehrpflicht nicht zu übersehen war. Ein anderes Anliegen tauchte hingegen unverblümt im Gesetzestext auf, allerdings erst in dessen Mitte. Da legte der Paragraph 14 apodiktisch fest, daß die Zugehörigkeit zum Reichsarbeitsdienst »kein Arbeits- oder Dienstverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts und des Paragraphen 11 der Fürsorgepflichtverordnung« begründe. Eine Formel, die arbeitsrechtliche Gesetze und Vorschriften über den Arbeitsschutz sowie das Betriebsräte- und Arbeitsgerichtsgesetz und ebenso die Unterstützung im Falle einer Erkrankung außer Kraft setzte. Dahinter verbarg sich nur notdürftig das Ziel: Jugendliche untertariflich und so billig wie möglich hohe Arbeitsleistungen erbringen zu lassen, noch dazu unter Zwang und verbunden mit militärischer Ausbildung.

Alle weiteren Paragraphen – 27 an der Zahl – bestimmten die Führungsstrukturen des RAD sowie Details der Dienstpflicht. Dieser hatten von nun an alle männlichen Jugendlichen nach dem vollendeten 18. Lebensjahr bis spätestens zur Vollendung des 25. Lebensjahres nachzukommen. Für die weibliche Jugend war eine spätere Regelung vorgesehen, die 1939 erfolgte. Das Gesetz sprach zwar von »allen« Jugendlichen, doch es enthielt bezeichnende Ausnahmen: Nach Paragraph 7 war auszuschließen, »wer nichtarischer Abstammung ist oder mit einer Person nichtarischer Abstammung verheiratet ist«. Sollte es Einzelfälle mit »wehrwürdigen Nichtariern« geben, dürften diese jedoch keinesfalls als »Vorgesetzte« eingesetzt werden.

Das Gesetz hob alle bislang geltenden Regelungen für den Arbeitsdienst auf. Von »Freiwilligkeit« las man in ihm nur ein einziges Mal: Wer wolle, könne auch »zu einem früheren Zeitpunkt« dem RAD beitreten. Mit ihm fand ein langer Kampf seinen Abschluß, den konservative und militaristische Kräfte bereits in der Weimarer Republik gegen das liberale und bürgerlich-demokratische Prinzip der Freiwilligkeit im Arbeitsdienst junger Menschen geführt hatten und dessen Ausgangspunkt das von der damaligen Obersten Heeresleitung initiierte »Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst« vom 5. Dezember 1916 gewesen war.

Hitler, ein entschiedener Verfechter des Pflichtgedankens im Arbeitsdienst, hatte 1931 Konstantin Hierl, einen früheren Oberst der Reichswehr, zu seinem »Beauftragten für den Arbeitsdienst« ernannt und verkündete als soeben gekürter Reichskanzler am 1. Februar 1933, der Gedanke der Arbeitsdienstpflicht sei ein »Grundpfeiler« seines Regierungsprogramms. Vier Wochen darauf, am 1. März 1933, legte Hierl ein Konzept vor, das »ohne Verzug« die Überführung des staatlich geförderten freiwilligen Arbeitsdienstes in einen »staatlichen Arbeitsdienst auf freiwilliger Grundlage« vorsah. Zudem sollte dieser zu einer »gesonderten Reichsorganisation von ähnlicher Struktur wie die Reichswehr« ausgebaut werden. Für das Jahr 1933 war an eine Zahl von 300000 Arbeitsdienstlern gedacht, einem Drittel mehr als es in den letzten sechs Monaten gegeben hatte. Als Ende Mai 1933 über einen entsprechenden Gesetzentwurf debattiert, jedoch noch kein Beschluß gefaßt wurde, spielte nicht allein die unzureichende finanzielle Ausstattung eine Rolle, sondern vor allem die Furcht vor internationalen Protesten. Man müsse eine »möglichst unauffällige Form« wählen und dürfe sich nicht bei den noch laufenden Abrüstungsgesprächen an den internationalen Pranger stellen lassen.

1933 und 1934 mißlangen alle Vorstöße, das Programm rasch zu verwirklichen, sieht man von der Tatsache ab, daß die deutsche Studentenschaft sogleich die Arbeitsdienstpflicht für jeden durchsetzte, der mit dem Studium an einer deutschen Universität oder Hochschule beginnen wollte. Erst nach der »Klärung« der offenen Machtfragen innerhalb des Apparates der faschistischen Diktatur ließ sich das Ziel erreichen. Als im März 1935 die allgemeine Wehrpflicht beschlossen wurde, stand auch der allgemeinen Arbeitsdienstpflicht nichts mehr im Wege.

Das andere Gesetz vom 26. Juni 1935 verpflichtete alle Deutschen grundsätzlich zu »Dienst- und Sachleistungen sowie zu sonstigen Handlungen, Duldungen und Unterlassungen (…), die zur Durchführung des Luftschutzes erforderlich sind«. Auch da konnte auf Fundamenten aufgebaut werden, die von der Reichswehr, aber auch vom Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI) bereits gelegt worden waren. Erstere schuf 1927 eine eigene Luftschutzdienststelle, und für den RDI legte 1931 Hans Ronde eine umfassende Analyse der Bemühungen anderer Länder dar, ergänzt durch Schlußfolgerungen für das Bauwesen in Deutschland und die »Sicherung lebenswichtiger Betriebe«. Probleme erwuchsen allerdings aus der Tatsache, daß der Luftschutz entsprechend der Weimarer Verfassung in die Hoheit der Länder gehörte.

Einer der ersten Schritte des Hitlerregimes führte zur Zentralisierung aller entsprechenden Vereine; sie gingen am 29. April 1933 im Reichsluftschutzbund (RLB) auf. Binnen kurzer Zeit gehörten ihm mehrere Millionen Mitglieder an, darunter sehr viele Frauen. Seinen 820000 Amtsträgern oblagen die Schulung der »Luftschutzwarte« und die stetige Aufsicht darüber, wie von der Bevölkerung die unter der Parole »Der Feind sieht dein Licht!« befohlene Verdunkelung befolgt wurde. Die Angehörigen des RLB hatten Luftschutz zu üben, aber auch dessen Notwendigkeit als reine Maßnahme zur »Verteidigung« zu propagieren. Die Ausgaben für den Luftschutz betrugen 1934 rund 1,3 Millionen, 1935 bereits 50 Millionen Reichsmark. Nach dem »Erlaß über die Reichsluftwaffe« vom 26. Februar 1935 folgte wenige Wochen darauf in Berlin die erste Großübung des Luftschutzes, bei der die Stadt für eine Stunde teilweise, für eine weitere vollständig verdunkelt sowie ein feindlicher Luftangriff auf Kreuzberg simuliert wurde. Das Ziel: Einschüchterung und Mobilisierung der Bevölkerung für den Krieg.

Das Gesetz vom 26. Juni 1935 sah sowohl eine persönliche Dienstpflicht als auch eine Sachleistungspflicht aller Deutschen vor. Es handelte sich um ein Rahmengesetz, das einen weiten Raum für Erlasse und Verordnungen bot. Allein bis 1939 sollte es zehn Durchführungsverordnungen geben. Besondere Aufmerksamkeit galt dem betrieblichen Luftschutz. Auch beim Bau von solcher Einrichtungen wurde die Rüstungsindustrie bevorzugt, unabhängig davon, daß die Propaganda vorrangig vom Schutz der Bevölkerung sprach und weismachen wollte, es könne für sie im kommenden Krieg eine lebensrettende »Bunkergeborgenheit« geben. Eine Untersuchung ergab allerdings, daß 1939 nicht einmal für zehn Prozent der Berliner eine bombensichere Zuflucht vorgesehen war.

Quellentext. Disziplinierung der arbeitslosen Jugend

Hier ist zunächst festzustellen, daß sich in der Jugend heute ein immer bedenklicherer Mangel an Gemeingeist, Verantwortungsgefühl und Opfersinn bemerkbar macht, dessen Ursprung in erster Linie in der Zerstörung staatlicher, kirchlicher und familiärer Autorität zu suchen ist. (…)

In mancher Hinsicht muß hier wohl auch der Übersteigerung des Sozialversicherungsgedankens die Schuld gegeben werden, welche die Selbstverantwortlichkeit des einzelnen oft bedauerlich schwächt. Die Folge muß eine Lockerung des Gefühls für Unter- und Einordnung sein, um so mehr, als der natürliche Ausgleich der allgemeinen Wehrpflicht fehlt.

aus: Denkschrift des Stahlhelm-Landesverbandes Baden-Württemberg vom 10.3.1931



* Aus: junge Welt, 26. Juni 2010


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