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Nicht unabwendbar

Kurt Pätzold hat einen kurzen Abriß der Vorgeschichte, des Verlaufs und der Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieges geschrieben

Von Arnold Schölzel *

Am 1. September 1939 überfiel das faschistische Deutschland Polen und löste einen europäischen Krieg aus, der im Dezember 1941 zum Weltkrieg wurde. Einen Tag nach Beginn der sowjetischen Großoffensive am 6. Dezember 1941 gegen die Wehrmachtstellungen vor den Toren Moskaus eröffnete Japan seinen Krieg gegen die USA. Ende 1941 befanden sich 38 Staaten im Krieg. Er tobte in Osteuropa, im Pazifik und Atlantik sowie auf dem südostasiatischen Festland.

Der Krieg endete nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands am 8. und 9. Mai 1945 mit den japanischen Kapitulationen, die nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki ebenfalls bedingungslos erfolgten, im September 1945. Nach Schätzungen wurden unmittelbar durch Kriegshandlungen an den Fronten, in den Partisanenkriegen und durch Bombardierungen 50 bis 56 Millionen Menschen getötet. Allein die Opfer der deutschen Kriegs- und Menschheitsverbrechen wurden auf mehr als 13 Millionen errechnet, deren größte Gruppe die ermordeten Juden mit 5,7 bis 6,2 Millionen Toten betrug. Die Gesamtzahl der Umgekommenen zwischen 60 Millionen und 80 Millionen Menschen geschätzt. Das Sterben dauerte noch Jahre nach Kriegsende an.

Diese Daten und Zahlen sind so das Gerüst, um das herum der Faschismus- und Weltkriegshistoriker Kurt Pätzold in »Zweiter Weltkrieg« auf gut 130 Seiten Vorgeschichte, Verlauf und Nachwirkungen des Krieges als eine »erste Orientierung« beschrieben hat. Er selbst charakterisiert sein Unterfangen als »Abenteuer«. Zu sagen ist: In der verdienstvollen Reihe »Basiswissen« des PapyRossa Verlages ist dies ein besonders verdienstvoller Band. Der Autor benennt, was er weglassen mußte: Die Kriegswirtschaften, die Schilderung des Alltags. Ein Personen- und ein geographisches Register sowie eine Sammlung von in der heutigen Bundesrepublik ignorierter DDR-Forschungsliteratur macht das Büchlein zu dem, was es sein soll: Eine Anleitung zum vertieften Studium.

Unter den heutigen deutschsprachigen Historikern dürften nur wenige in der Lage sein, ähnlich wie Pätzold derart souverän mit der Thematik auf engstem Raum umzugehen. Die 18 Kapitel enthalten nicht Lexikontexte, sondern stellen denkerische Ansprüche, genauer: Pätzold stellt profunde Thesen zu den jewils grundlegenden Problemstellungen auf. Dazu gehört das Thema »Holocaust«. Die Fortdauer des Judenmordens bis in die Phase, da die deutsche Niederlage gewiß war, habe, so der Autor, zu der Interpretation geführt, nun sei der »Krieg gegen die Juden« als »eine Art Parallelkrieg« weitergeführt worden, als Ersatzziel. Dem widerspreche, so der Autor, »daß die Versuche, der totalen Niederlage zu entkommen, in der Führung des Reiches Vorrang behielten«. Das Judenmorden sei »Bestandteil der imperialistischen ›Neuordnung Europas‹« geblieben, »nie sprengte das Verbrechen den Gesamtplan, dessen Teil es war«.

Zu den Thesen gehört auch die Differenzierung zwischen der »Urheberschaft für die Ausgangssituation des Krieges in Europa«, die der Autor »wesentlich den Regierungen Großbritanniens und Frankreichs« zuweist, und der »Urheberschaft des Krieges«, die allein Deutschland zukomme. An der Verbreitung der »Mär von den beiden Diktatoren Hitler und Stalin«, die sich die Kriegsschuld zu teilen hätten, habe das antisozialistische Politiker und Ideologen nicht gehindert. Pätzold vermerkt, daß »diese Fälscherarbeit« momentan in den baltischen Staaten, in der Ukraine und in Ungarn »blüht«. Um die Frage nach dem Warum des Krieges zu umgehen, werde trotz aller vorliegenden Dokumente weiter über den Weg von 1933 bis zu jenem 1. September 1939 gestritten.

Dieser Streit führt allerdings direkt zu Fragen nach der Kontinuität imperialistischer deutsche Politik, die – wie in diesen Tagen zu sehen ist – bis 1989 gehemmt, aber de facto nie unterbrochen war. Unabwendbar, das zeigt Pätzolds Buch vor allem, war dieser Zweite Weltkrieg nicht.

Kurt Pätzold: Zweiter Weltkrieg. PapyRossa Verlag, Köln 2014, 143 Seiten, 9,90 Euro

* Aus: junge Welt, Montag 18. August 2014


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