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Deutsche Hersteller handeln weiter mit tödlichen Minen

Nur die Produktion von Antipersonenminen ist verboten - doch erlaubte Typen sind nicht weniger gefährlich

Von Markus Haake* und Thomas Küchenmeister**

Vor kurzem legte der "Deutsche Inititativkreis für das Verbot der Landminen"*** einen von Markus Haake und Thomas Küchenmeister verfassten Bericht vor. Darin wird mit Kritik an der Bundesregierung nicht gespart, auch wenn sie die Ottawa-Konvention zum Verbot der Antipersonenminen ratifiziert hat. Wir dokumentieren im Folgenden den Bericht, der am 25. September 2003 bereits auf der Dokumentationsseite der Frankfurter Rundschau erschien.


Der Umgang mit Antipersonenminen sowie deren Produktion ist in Deutschland seit dem 23.7.1998 verboten. Antifahrzeugminen hingegen befinden sich weiterhin in den Beständen der Bundeswehr bzw. der Bundesluftwaffe. Minen dieses Typs werden weiterhin auch von in Deutschland ansässigen Unternehmen entwickelt und auf internationalen Rüstungsmessen zum Kauf angeboten, obwohl auch diese Minen größtenteils im Verdacht stehen, von Personen zur Auslösung gebracht werden zu können und damit gegen die Ottawa Konvention verstoßen. Der Deutsche Initiativkreis für das Verbot von Landminen fordert seit seiner Gründung im Jahre 1995 ein umfassendes Verbot aller Landminen, was neben Antifahrzeugminen auch minenähnlich wirkende Waffen, wie z.B. (nicht explodierte) Streumunition einschließt, da auch letztere unterschiedslos wirken und durch das Opfer aktiviert werden. Die Opfer der Landminen sind zumeist Zivilisten, wobei jedes vierte Minenopfer ein Kind ist.

Schätzungsweise sind auch vier Jahre nach Inkrafttreten der Ottawa Konvention immer noch 80 bis100 Millionen Landminen (Antifahrzeugminen und Antipersonenminen) in über 90 Ländern der Welt vergraben. Darunter Antipersonenminen und Antifahrzeugminen mit zum Teil katastrophalen Auswirkungen auf das soziale und wirtschaftliche Leben der betroffenen Gesellschaften. Die Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen (ICBL) schätzt, dass über 215 Millionen Antipersonenminen in den Depots der Militärs weltweit lagern. Hinzu kommen nach eigenen Untersuchungen mindestens noch einmal 100 Millionen Antifahrzeugminen, die vergleichbare Auswirkungen wie Antipersonenminen verursachen. Fazit: Die Anzahl der weltweit vergrabenen und gelagerten Landminen dürfte sich somit auf 400 Millionen belaufen. (...) Auch weiterhin, so das Fazit, muss mit mindestens 2000 Minenopfer pro Monat gerechnet werden, wobei in zunehmenden Maße festzustellen ist, dass die Unfälle durch Antifahrzeugminen verursacht werden.

Das Problem der Aufhebesperre

Auf internationaler Ebene setzte sich Deutschland, gemeinsam mit allen anderen Vertragsstaaten im Rahmen der Vierten Vertragsstaatenkonferenz der Ottawa Konvention im September 2002 für die Universalisierung der Konvention ein. (...)

Uneinigkeit unter den Vertragsstaaten jedoch besteht bereits seit Inkrafttreten der Ottawa Konvention im Jahr 1999 darüber, ob die in Artikel 2 festgelegte Definition einer Antipersonenmine auch auf Antifahrzeugminen anzuwenden ist, die mit (Personen-)sensitiven Zündern ausgestattet sind und/oder über Aufhebesperren verfügen, die auf zufälligen, unbeabsichtigten Kontakt einer Person reagieren.

Im Zuge der Vierten Vertragsstaatenkonferenz der Ottawa Konvention stellte die deutsche Delegation in einem Statement in Bezug auf Antifahrzeugminen fest: "Eine Mine, ausgestattet mit einem Zünder - nicht die Aufhebesperre -, die der Konstruktion nach von Personen zur Auslösung gebracht werden können, sollte als Antipersonenmine betrachtet werden und somit laut den Bestimmungen der Ottawa Konvention als verboten gelten, egal ob diese Mine als Antifahrzeugmine bezeichnet wird oder nicht." Zudem wird betont, dass die Vertragsstaaten "bis hier ein gemeinsames Verständnis erreichen sollten." Die Resolution des deutschen Parlaments vom Juni 2002 schließt allerdings in diesem Zusammenhang Aufhebesperren eindeutig nicht aus, wenn sie sagt, dass "alle Minen, deren Zündmechanismus von seiner Konstruktion her auch die Auslösung durch Personen einbezieht, als Antipersonenminen anzusehen sind und durch die Vorschriften des Ottawa-Übereinkommens erfasst werden." Aufhebesperren - und dies ist unumstritten - sind bewusst so konstruiert, dass sie auf Kontakt einer Person bzw. eines Minenräumers reagieren und die Mine zünden. Somit bewertet das deutsche Parlament Minen mit Aufhebesperre eindeutig als verbotene Waffensysteme. Der Deutsche Initiativkreis sieht hier eine offenkundige Missachtung des Willens des deutschen Parlamentes durch die Bundesregierung.

Nach Informationen des Verteidigungsministeriums verfügt die Bundeswehr über mehr als 900 000 Antifahrzeugminen mit Aufhebesperren. Früheren Angaben des Verteidigungsministeriums zufolge war sogar von knapp 1,5 Millionen solcher Antifahrzeugminen auszugehen, darunter 1,2 Millionen AT-2 Minen, 125 000 DM 31 Minen sowie 125 000 Minen des Typs MIFF.

Die Aufhebesperre der von der Firma Dynamit Nobel produzierten AT-2 Mine ist in ihrer Funktionalität durchaus mit eine Antipersonenmine zu vergleichen. Dem Bundeswehr Munitionsmerkblatt der AT-2 Mine ist zu entnehmen, dass die AT-2 Aufhebesperre (S1 Sensor) jede Lageveränderung der Mine registriert, und dass die Mine auslöst, wenn versucht wird diese aufzunehmen oder versucht wird die Mine zu räumen . Eine derart funktionierende Mine ist durch den Ottawa-Vertrag verboten, denn sie ermöglicht eine (unbeabsichtigte) Auslösung durch eine Person.

Im Mai 2003 sprach sich Deutschland gegen den Vorschlag des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) aus, Expertengespräche über Antifahrzeugminen mit sensitiven Zündern und Aufhebesperren im Rahmen der Ottawa Konvention zu führen.

Deutschland lässt sich damit den fünf Vertragsstaaten zuordnen, die im Rahmen der Ottawa Konvention Gespräche über Antifahrzeugminen mit Aufhebesperren ablehnen, obgleich diese Minen von Personen unbeabsichtigt zur Auslösung gebracht werden können bzw. Aufhebesperren ihrer Konstruktion nach ausschließlich gegen Personen insbesondere Minenräumer gerichtet sind. Öffentlich hat sich diese Gruppe von Staaten bereits auch gegen die Rechtsauffassung ausgesprochen, dass alle Antifahrzeugminen, die über Aufhebesperren verfügen, die auf unbeabsichtigten Kontakt einer Person reagieren, als Antipersonenminen anzusehen sind und damit durch die Vorschriften des Ottawa-Übereinkommens erfasst werden.

Produktion und Export

(...) Auch wenn nur wenige präzise Angaben zu aktueller Produktion bzw. zu gegenwärtigen Exporten von Minen in bzw. aus Deutschland vorliegen und militärische Beschaffungsprogramme derzeit auf Grund der angespannten Haushaltslage offenbar unterbrochen wurden, gehören deutsche Hersteller nach wie vor zu den technologisch führenden Unternehmen der Branche (Landminen, Minenverlegesysteme, Submunitionen). Rege Patentaktivitäten deuten auf anhaltende Entwicklungstätigkeit in den Unternehmen hin, wobei neue, aber auch bereits bekannte Minensysteme auf fast jeder bedeutenden Rüstungsmesse zum Kauf angeboten werden.

So bietet zum Beispiel die Gesellschaft für Intelligente Wirksysteme (GIWS), ein Gemeinschaftsunternehmen der Firmen Diehl und Rheinmetall, eine Flächenverteidigungsmine an, die mit der Suchzündermunition SMArt 155 bestückt ist und die u.a. mit dem Raketenwerfer MARS/MLRS verlegt werden kann.

Die Euro Rocket System GmbH wiederum ist ein Gemeinschaftsunternehmen der Diehl Munitions und Lockheed Martin Corporation. Das Unternehmen bietet das Multiple Launch Rocket System (Raketenwerfer MLRS) an, das mit der umstrittenen AT-2 Antifahrzeugmine oder auch mit Submunitionen z.B. des Typs M77 oder M85 bestückt werden kann. Die MLRS-Rakete M26 z.B. enthält 644 M77 DPICM Submunitionen ohne Selbstzerstörungsmechanismus, die im Einsatzfall eine Blindgängerquote zwischen 23 und 30 Prozent erzeugen. Weitere Munitionen sind die M26 A1 ER-MLRS Rakete und die M30 GMLRS Rakete ("Guided MLRS") . Diese Munitionen enthalten M85 DPICM Submunitionen mit Selbstzerstörungsmechanismen, deren Blindgängerquote bei 1 Prozent liegen soll. Die Reichweite der zielgesteuerten MLRS (GMLRS - Guided MLRS) wird mit ca. 60 Kilometer angegeben. Die Firma Diehl integriert sämtliche Munitionstypen in MLRS-Raketen für den europäischen Markt, während Lockheed Martin alle MLRS Verlegesysteme und Raketen für die US-amerikanischen Streitkräfte produziert. An diversen übergreifenden Programmen sind neben deutschen Unternehmen Firmen aus verschiedenen Ländern wie z.B. Großbritannien, Italien, Frankreich und der Slowakei beteiligt. Ein Modernisierungsprogramm z.B. erlaubt es, alle existierenden MLRS Raketen auch mit dem Raketenwerfer RM 70 einzusetzen, einschließlich natürlich der AT-2 Minenrakete.

Darüber hinaus plant der deutsche Munitionsproduzent Dynamit Nobel offensichtlich, die umstrittene AT-2 Mine durch eine griechische Firma in Lizenz produzieren zu lassen. In diesem Zusammenhang wurde mit dem griechischen Waffenhersteller Hellenic Arms Industry vereinbart, von der Firma Dynamit Nobel vorproduzierte AT-2 Komponenten in Griechenland zusammenbauen zu lassen. Andere Quellen geben als Lizenzpartner die griechische Firma Pyrkal an. Die griechische Armee soll die AT-2 Mine mit dem Minenverlegesystem MiWS Skorpion einsetzen. 23 Minenwerfer dieses Typs wurden von der Bundeswehr an Griechenland geliefert. Die EADS-Lenkflugkörpersysteme GmbH (EADS-LFK) bietet schließlich Minenverlegesysteme an wie das als rein für den Export bestimmte Autonomous Freeflight Dispenser System (AFDS). Mit diesem, laut LFK, "low cost system", können Submunitionen wie die Minen MIFF und MUSPA sowie das Bomblett MUSA verschossen werden. MIFF und MUSPA werden von anderen Staaten als Antipersonenminen klassifiziert, was Italien veranlasste, diese Minen zu zerstören. Daneben offeriert EADS-LFK auch Verlegesysteme wie das DWS 39 oder Taurus, die ebenfalls mit Minen und gegen Personen gerichtete Submunitionen bestückt werden können.

* Thomas Küchenmeister ist Diplom-Politologe und leitet den Deutschen Initiativkreis für das Verbot von Landminen.
** Markus Haake, Magister der Philosophie, wirkt als Projekt-Koordinator des Kreises.

*** In dem Initiativkreis haben sich zahlreiche Organisationen aus der Menschenrechts- und Friedensarbeit zusammengefunden, darunter die Caritas, das Diakonische Werk, die Deutsche Welthungerhilfe, medico international, Oxfam, terre des hommes und Unicef.
Wie dem deutschen Artikel 7-Report im Rahmen der Ottawa Konvention zu entnehmen ist, haben im Jahr 2002 zwei deutsche Unternehmen Antipersonenminen, die aus Taiwan und den Niederlanden stammen, entsorgt. Zudem wird an gleicher Stelle berichtet, dass in Deutschland weiterhin 2555 Antipersonenminen gelagert werden, dies für Trainings- und Forschungszwecke und in Übereinstimmung mit den Vorschriften der Konvention. 2501 Minen befinden sich in Besitz der Bundeswehr. 54 Minen befinden sich im Besitz von zwei Unternehmen zwecks Forschung und Tests. 2001 wurden 2574 Antipersonenminen zurückgehalten, davon wurden 19 Minen in 2002 verbraucht. Über den Zweck des Einsatzes werden im Bericht keine Angaben gemacht.



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