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"Ein Zeichen gegen Minen setzen"

Offener Brief deutscher Initiativen und Hilfsorganisationen an Bundeskanzler Schröder zur Ottawa-Konvention

Fünf Jahre nach In-Kraft-Treten der Ottawa-Konvention zum Verbot von Antipersonenminen sind weltweit noch immer 80 bis 100 Millionen Landminen (Antifahrzeugminen und Antipersonenminen) in mehr als 90 Ländern vergraben. Dazu kommen etwa 215 Millionen Antipersonenminen und knapp 100 Millionen Antifahrzeugminen in den Lagern der Armeen. Jedes Jahr werden weltweit immer noch rund 20 000 Menschen durch Minen getötet oder verletzt.
Deutschland hat zwar die Ottawa-Konvention ratifiziert, doch noch immer verfügt die Bundeswehr über eine Million Minen, die auch von Menschen, und nicht nur von Panzern oder Fahrzeugen ausgelöst werden können. Der Bundestag hat im Juni 2002 die Bundesregierung aufgefordert, Antifahrzeugminen, die Zivilisten gefährden können, schrittweise aus dem Bestand der Bundeswehr zu entfernen.
Nach Erkenntnissen des Aktionsbündnisses Landmine ist das bisher aber "nicht einmal ansatzweise geschehen". Stattdessen werde von deutscher Regierungsseite argumentiert, dass für Antifahrzeugminen eine genaue völkerrechtliche Definition fehle. Das Internationale Komitee vom Roten kreuz (IKRK) sieht das aber anders: Jede Mine, die auch von Menschen ausgelöst werden könne, sei von den Verbotsvorschriften der Ottawa-Konvention "bereits erfasst und damit verboten".
Das Aktionsbündnis fordert unter anderem ein weltweites Verbot der Entwicklung, der Produktion, des Exports und des Einsatzes aller Landminentypen und minenähnlich wirkender Waffen (z.B. Streumunition). Alle existierenden Minen und minenähnlich wirkenden Waffen müssten nachweisbar vernichtet werden. Am Montag beginnt in Nairobi eine Überprüfungskonferenz zur Ottawa-Konvention.
(Quelle: FR, 25.11.2004)

Im Folgenden dokumentieren wir den Offenen Brief deutscher Initiativen und Hilfsorganisationen an Bundeskanzler Schröder


"Ein Zeichen gegen Minen setzen"

Offener Brief deutscher Initiativen und Hilfsorganisationen an Bundeskanzler Schröder zur Ottawa-Konvention

Berlin, den 25. 11.2004

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

vor fünf Jahren haben wir Sie zuletzt gebeten, sich verstärkt für die Ächtung aller Landminen einzusetzen. Heute wendet sich das Aktionsbündnis Landmine.de erneut in großer Sorge um die Opfer von Landminen und die Wahrung des internationalen Ansehens Deutschlands an Sie. Im Hinblick auf die Überprüfungskonferenz der Ottawa-Konvention zum Verbot von Antipersonenminen in Nairobi/Kenia vom 29.11. bis 03.12.2004 bitten wir Sie eindringlich, dafür Sorge zu tragen, dass die vom Deutschen Bundestag geforderten Maßnahmen zeitnah umgesetzt werden.

Im Kontext des Kampfes gegen die Landminen hat sich Deutschland in der Vergangenheit großes internationales Ansehen erworben. Die einseitige Ächtung von Antipersonenminen durch die Bundesregierung im Jahr 1996 veranlasste viele andere Länder zu entsprechenden Schritten und wurde somit zu einem Meilenstein auf dem Weg zum Verbot von Antipersonenminen. Ohne das deutsche Engagement wäre der Ottawa-Prozess gewiss nicht so rasch zum Ziel gekommen. Daran hatten auch die Öffentlichkeit sowie die im Aktionsbündnis Landmine.de zusammengeschlossenen deutschen Nichtregierungsorganisationen und Hilfswerke einen großen Anteil. Mittlerweile haben sich weit mehr als 800 000 Bürgerinnen und Bürger in Deutschland mit ihrer Unterschrift für ein umfassendes Verbot aller Minen ausgesprochen.

Mit großer Erwartung hatten wir zur Kenntnis genommen, dass die Bundesregierung den positiven Maßnahmen der Vorgängerregierung die notwendigen weiteren Schritte folgen lassen will, um auch ein Verbot von Antifahrzeugminen zu erreichen. So jedenfalls haben wir die entsprechenden Passagen im Koalitionsabkommen verstanden, in denen es heißt, die neue Regierung wolle sich für ein umfassendes Verbot aller Landminen einsetzen:

"Darüber hinaus will die Bundesregierung die humanitäre Rüstungskontrolle bei Landminen mit dem Ziel der weltweiten Ächtung aller Landminen, die die zivile Bevölkerung gefährden, weiterentwickeln und Initiativen zur Stärkung der humanitären Minenräumung ergreifen." (Koalitionsvertrag SPD / Bündnis 90 /Die Grünen 2002 - 2006: Erneuerung - Gerechtigkeit - Nachhaltigkeit, S. 79)

Das Aktionsbündnis Landmine.de hat in den letzten Jahren die katastrophalen Folgen des Einsatzes von Landminen umfassend untersucht und dokumentiert. Aus den dabei gewonnenen Erkenntnissen ergeben sich aus unserer Sicht politische Forderungen und Notwendigkeiten zur Weiterentwicklung der humanitären Rüstungskontrolle bei Landminen. In der Vergangenheit haben wir dies wiederholt auch mit Abgeordneten des Deutschen Bundestages diskutiert.

Ein erfreuliches Ergebnis dieses Prozesses war u.a. das Zustandekommen der Bundestagsresolution 14/9438 vom 12.06.2002. Ausgehend von den Verbotsvorschriften der Ottawa-Konvention fordert die Resolution ein vollständiges Verbot aller Minen, die von Personen ausgelöst werden können. Das Parlament fordert die Bundesregierung auf,

"...auf die Mitgliedstaaten des Ottawa-Übereinkommens einzuwirken, dass alle Minen, deren Zündmechanismus von seiner Konstruktion her auch die Auslösung durch Personen einbezieht, als Antipersonenminen anzusehen sind und durch die Vorschriften des Ottawa-Übereinkommens erfasst werden. Eine entsprechende Initiative sollte in die Vorbereitung der Ottawa-Überprüfungskonferenz im Jahre 2004 eingehen." Bundestagsresolution 14/9438 vom 12.06.2002.

Leider mussten wir feststellen, dass die gegenwärtige Position der Bundesregierung noch immer im Widerspruch zum Auftrag des Parlamentes steht. Im Juni 2004 erklärte die deutsche Delegation im Standing Committee on the General Status of the Ottawa Convention, dass sie keinen Nutzen darin sehe, Antifahrzeugminen, die von Personen ausgelöst werden können, im Rahmen des Ottawa-Prozesses zu thematisieren.

Unserer Auffassung nach geht aus Punkt 3) der Bundestagsresolution ebenfalls hervor, dass nach Verständnis des Parlamentes auch Minen mit so genannten Aufhebesperren (anti-handling devices) von den Verbotsvorschriften des Ottawa-Übereinkommens erfasst sein sollten. Denn Aufhebesperren - dies ist unter Experten unumstritten - sind Zündmechanismen, die ihrem alleinigen Verwendungszweck nach bewusst so konstruiert sind, dass sie auf Kontakt oder Annäherung einer (Zivil-)Person bzw. eines Minenräumers reagieren und die Mine zünden. Bereits seit September 2002 jedoch ist die Bundesregierung nicht bereit im Rahmen der Standing Committees der Ottawa-Konvention Gespräche über Aufhebesperren zu führen.

Außerdem bedauern wir sehr, dass auch in Bezug auf die Umsetzung der Forderung 6) der Bundestagsresolution bis heute keine Maßnahmen getroffen wurden. Das Parlament hatte gefordert,

"...auf nationaler Ebene Antifahrzeugminen, die ein Gefährdungspotenzial für die Zivilbevölkerung darstellen, aus dem Bestand der Bundeswehr schrittweise zu entfernen". Bundestagsresolution 14/9438 vom 12.06.2002

Wir haben wiederholt öffentlich darauf aufmerksam gemacht, dass die Bundeswehr immer noch über mehr als eine Million Antifahrzeugminen mit Aufhebesperren und Zündern verfügt, die auch von Personen ausgelöst werden können. Dies wird vom Materialamt der Bundeswehr bestätigt. Leider hat auch das Eingeständnis eines deutschen Herstellers, dass eine in den Beständen der Bundeswehr befindliche Antifahrzeugmine gegen die Vorschriften der Ottawa-Konvention verstößt, zu keinem Wandel der deutschen Position geführt.

Gemeinsam mit der Internationalen Kampagne für das Verbot von Landminen, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und vielen Ottawa-Vertragsstaaten (z.B. Kanada, Niederlande, Italien, Schweiz, etc.) blicken wir daher mit großer Sorge auf die Haltung Deutschlands in Bezug auf die anstehende Revisionskonferenz.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, wir möchten Sie bitten ein deutliches Zeichen zu setzen. Bitte sorgen Sie dafür, dass die Bundestagsresolution 14/9438 zeitnah umgesetzt wird. Im Rahmen der bevorstehenden Revisionskonferenz in Nairobi ergibt sich die einmalige Chance, das internationale Ansehen Deutschlands im Kampf gegen Landminen wieder zu profilieren. Wie Hunderte Nichtregierungsorganisationen, das IKRK und viele Ottawa-Staaten bestehen auch wir darauf,

"...dass jede Mine, die durch Gegenwart, Annäherung oder Kontakt einer Person zur Auslösung gebracht werden kann, eine Antipersonenmine ist und als durch die Ottawa- Konvention verboten gelten muss..." IKRK-Statement im Rahmen der Standing Committees der Ottawa-Konvention Juni 2003.

Wir hoffen auf Ihre Unterstützung.

Der Brief wurde unterschrieben von:
Cornelia Füllkrug-Weitzel (Direktorin, Brot für die Welt), Ingeborg Schäuble (Vorstand, Deutsche Welthungerhilfe), Thomas Gebauer (Geschäftsführer, medico international e.V.), Dr. Jörn Kalinski (Koordinator Oxfam-Deutschland e.V.), François De Keersmaeker (Geschäftsführer, Handicap International- Deutschland e.V.), Dr. Dietrich Garlichs (Geschäftsführer, Deutsches Komitee für UNICEF), Prof. Josef Sayer (Hauptgeschäftsführer, Misereor); Dr. Jürgen Thiesbonenkamp (Vorstand, Kindernothilfe e.V.), Dr. Reinhard J. Voss (Generalsekretär Pax Christi), Hans-Jürgen Ebert (Geschäftsführer, Solidaritätsdienst-international e.V.), Reinhold Behr (Geschäftsführer, Christoffel Blindenmission), Peter Mucke (Geschäftsführender Vorstand, terre des hommes), Eckehard Fricke (Geschäftsführer, Eirene-International) und Dr. Peter Neher (Präsident, Deutscher Caritasverband).



Aktionsbündnis Landmine
Im März 1995 wurde der Deutsche Initiativkreis als Teil der International Campaign to Ban Landmines (ICBL) gegründet. Er hat maßgeblich am Zustandekommen des Ottawa-Übereinkommens über das Verbot von Antipersonenminen mitgewirkt.
1997 wurde die ICBL mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Der Deutsche Initiativkreis für das Verbot von Landminen heißt jetzt Aktionsbündnis Landmine.de. Das Aktionsbündnis (www.landmine.de) setzt sich für die Universalisierung der Ottawa-Konvention ein, der bisher Länder wie Russland, China, USA, Finnland nicht beigetreten sind. Darüber hinaus wird auf Rüstungsmessen überprüft, ob das Minenverbot von Minenproduzenten eingehalten wird.
Quelle: FR, 25.11.2005




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