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"Eine Erfolgsgeschichte zu Anfang dieses Jahrhunderts"

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat den 4. April zum Internationalen Tag für die Aufklärung über Minengefahr erklärt



Kampf gegen eine Geißel

Kritik von Nichtregierungsorganisationen an Bundesregierung

Von Olaf Standke*


Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat den 4. April zum Internationalen Tag für die Aufklärung über Minengefahr und die Unterstützung von Minenprogrammen erklärt.

»Was eine Geißel der Menschheit im letzten Jahrhundert war, könnten wir in eine Erfolgsgeschichte zu Anfang dieses Jahrhunderts umwandeln«, so gestern Kofi Annan in einer Erklärung zum ersten weltweiten Antiminentag. Und der UN-Generalsekretät begründet seine Hoffnung: Der Handel mit diesen Waffen sei praktisch zum Erliegen gekommen, auch Herstellung und Einsatz seien rückläufig. Während Anfang der 90er Jahre noch in über 50 Ländern Landminen produziert wurden, sind es heute nur noch 13. Mehr als 38 Millionen Minen in den Armeearsenalen sind zerstört worden. »Einige Staaten gelten bereits als minenfrei», weiß Max Gaylard, Direktor des Antiminenprogramms der Vereinten Nationen, zu berichten. Laut Landmine Monitor Report 2005 sind aber auch 84 Staaten in irgendeiner Form noch immer von der Gefahr betroffen, die von Landminen und nicht zur Wirkung gelangten Kampfmitteln ausgeht. Zu letzteren gehört vor allem auch Clustermunition, die beim Einschlag nicht detoniert ist. Die bislang völkerrechtlich nicht verbotenen Streubomben sind dann in Wirkungsweise und Folgen mit Minen vergleichbar. Jährlich werden heute bis zu 20 000 Kinder und Erwachsene Minenopfer; Ende der 90er Jahre waren es noch schätzungsweise 26.000. Das rasche Inkrafttreten der Ottawa-Konvention über das Verbot von Anti-Personenminen 1999, die entscheidend Nichtregierungsorganisationen (NGO) zu verdanken ist, habe die »deutliche moralische Verurteilung dieser Waffen« unterstrichen, so Annan. Bisher signierten 150 Staaten das Dokument, darunter auch Deutschland. Noch aber fehlen wichtige Länder wie Russland, Indien, China und die USA. Sie lagern zusammen rund 160 Millionen Minen. Die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Internationale Kampagne für ein Verbot von Landminen hat Washington gewarnt, die Produktion der geächteten Waffen wie vorgesehen nach achtjähriger Pause wieder aufzunehmen.

Kritik findet aber auch das Vorgehen der Bundesregierung. So nehmen die im »Aktionsbündnis Landmine.de« zusammengeschlossenen deutschen entwicklungspolitischen NGO den heutigen Tag zum Anlass, um die im Bundeshaushalt geplanten drastischen Kürzungen der Mittel für humanitäre Minenräumprogramme anzuprangern. Der entsprechende Etat soll von derzeit 18 Millionen auf 12 Millionen Euro schrumpfen. »Es spricht wahrlich nicht von globaler Verantwortung, wenn Deutschland seine Mittel just dann kürzen würde, wenn die Vereinten Nationen die wohlhabenden Länder dazu aufrufen, ihre finanzielle Unterstützung aufrechtzuerhalten«, sagte Thomas Gebauer, Geschäftsführer von medico international. Mit Ottawa haben sich die Signatarstaaten auch verpflichtet, die Welt innerhalb von zehn Jahren von Minen zu befreien und den Opfern umfassend zu helfen.

In den vergangenen fünf Jahren wurden etwa fünf Millionen der über 100 Millionen vergrabenen Landminen geräumt, pro Mine kostet das etwa 1000 Euro. Statt Kürzungen sei deshalb eine Vervielfachung der Mittel dringend erforderlich, betont François de Keersmaeker, Geschäftsführer von Handicap International. »Und über eine Umwidmung jener Mittel, die im Bundesetat für die Entwicklung und Anschaffung neuer Minentechnologie vorgesehen sind, wäre dies auch einfach zu finanzieren.«

Die NGO fordern zugleich, dass die »Schlupflöcher« des Ottawa-Vertrages endlich geschlossen werden. So sollen vor allem Anti-Fahrzeugminen in das Verbot einbezogen und festgelegt werden, wie viele Minen ein Staat zu Übungszwecken bevorraten darf. Auch Deutschland weigert sich nach wie vor, alle Minen der Bundeswehr zu zerstören, die von Personen ausgelöst werden können. Und Kofi Annan appellierte gestern an die Regierungen, ein Zusatzprotokoll über explosive Kampfmittelrückstände zu unterzeichnen und sich mit den Folgen von Streubomben zu befassen.

* Aus: Neues Deutschland, 4. April 2006

Hintergrund

Landminen wurden einst entwickelt, um Geländeabschnitte gegen feindliche Truppen zu sperren. Bald folgte ihr Einsatz auch der perversen Logik: Je mehr Minenopfer der Gegner zu versorgen hat, umso langsamer sein Vormarsch. Inzwischen sind immer häufiger Zivilisten Ziel militärischer Operationen, und Anti-Personen- sowie Fahrzeugminen sind besonders grausame und wirkungsvolle Waffen zur Terrorisierung der Bevölkerung – bis weit nach Ende von Kriegen und Konflikten. Zumal sie auch noch billig in großen Stückzahlen zu beschaffen sind. Eine Studie des Internationalen Roten Kreuzes (IRK) geht davon aus, dass heute 90 Prozent der Minenopfer Zivilisten sind. Kinder seien besonders häufig betroffen, da sie die heimtückischen Waffen oft für Spielzeug halten.

Über die Gesamtzahl der verlegten Minen gibt es nur Schätzungen. Nach Angaben des USA-Außenministeriums sollen es 70 Millionen sein, die Vereinten Nationen gehen von 110 Millionen in über 70 Ländern aus, das IRK spricht von 120 Millionen. Noch größer ist die Anzahl von Minen in den Depots der Militärs.

Durch Landminen wird weltweit alle 20 Minuten ein Mensch verletzt oder getötet. Rund 8000 Frauen, Männer und Kinder sterben jedes Jahr durch Minenexplosionen, weitere 16 000 werden verstümmelt. Müssen für die Produktion einer einfachen Mine lediglich drei Euro aufgewendet werden, kosten Prothesen für ein Kind rund 3000 Euro. Minen bilden heute eines der größten Entwicklungshemmnisse in ehemaligen Kriegsgebieten, weil sie den lebenswichtigen Zugang zu Wasserstellen und die Bearbeitung landwirtschaftlicher Flächen blockieren, die Rückkehr von Flüchtlingen erschweren, den Wiederaufbau zerstörter Dörfer und Regionen behindern. So leiden gerade arme Länder wie Mosambik, Kambodscha, Angola oder Afghanistan nach langjährigen Bürgerkriegen besonders unter den Folgen der Verminung; ihnen fehlen die finanziellen und technischen Mittel, um flächendeckende Minenräumung zu betreiben.

Olaf Standke

Aus: Neues Deutschland, 4. April 2006

Eine Welt ohne Landminen ist bereits in Jahren statt Jahrzehnten erreichbar

Internationaler Tag für Aufklärung über Minengefahr und Unterstützung von Minenprogrammen wird am kommenden 4. April erstmals begangen

VEREINTE NATIONEN/BONN, 30. März 2006 – Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat den 4. April zum Internationalen Tag für die Aufklärung über Minengefahr und die Unterstützung von Minenprogrammen erklärt. Dieser Tag soll für die Bedrohung durch Landminen und Fortschritte bei deren Beseitigung sensibilisieren.

„Wir sind im Begriff, den Kampf gegen Landminen zu gewinnen. Einige Staaten gelten bereits als minenfrei. Der Sieg wird allerdings vom unermüdlichen Engagement der Regierungen jener Staaten abhängen, in denen die Gefahr von Landminen noch nicht gebannt ist, sowie von der anhaltenden Unterstützung der internationalen Gemeinschaft“, so Max Gaylard, Direktor des Antiminenprogramms der Vereinten Nationen.

„Räumung und Vernichtung von Landminen sind gewaltige Aufgaben. Sofern jedoch die betroffenen Staaten alles in ihrer Macht stehende unternehmen, um minenfrei zu werden, und Geberstaaten und Organisationen ihr Interesse und ihre finanzielle Unterstützung aufrecht erhalten, kann dieses Ziel bereits innerhalb von Jahren statt Jahrzehnten erreicht werden“, sagt Gaylard. „Im Unterschied zu zahlreichen globalen Problemen der heutigen Zeit kann dieses gelöst werden. Der 4. April stellt eine Gelegenheit dar, die Welt daran zu erinnern, dass es ein Licht am Ende des Tunnels gibt.“

„Die internationale Gemeinschaft muss jedoch nicht nur das Landminenproblem bewältigen, sondern auch das Problem der explosiven Kampfmittelrückstände, die in einigen Ländern sogar eine noch größere Gefahr darstellen“, so Gaylard. Zu explosiven Kampfmittelrückständen gehören auch nicht zur Wirkung gelangte Kampfmittel wie beispielsweise Clustermunition, die beim Einschlag nicht detoniert ist, oder Granaten und Raketen, die von abziehenden Streitkräften zurück gelassen wurden. Der 4. April gibt Gelegenheit dazu, für dieses Thema zu sensibilisieren.

Laut dem Bericht Landmine Monitor Report 2005 sind 84 Staaten zu einem gewissem Maße von der Gefahr betroffen, die von Landminen und nicht zur Wirkung gelangten Kampfmitteln ausgeht. Jährlich werden zwischen 15.000 und 20.000 Kinder und Erwachsene auf diese Weise getötet oder verstümmelt. Ende der Neunziger Jahre waren es noch schätzungsweise 26.000 Opfer jährlich. 14 Organisationen, Programme und Fonds der Vereinten Nationen helfen bei Suche und Vernichtung dieser Kampfmittel und leisten andere Unterstützungsdienste bei Antiminenprogrammen in 30 Ländern und drei Hoheitsgebieten.

Quelle: Deutsche UN-Website von runic-europe; www.runic-europe.org/german




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