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Angst und Bedrohung in 24 Ländern

Erster weltweiter Bericht über die Opfer von Streumunition veröffentlicht

Die international umstrittenen Streubomben treffen nach einer Studie fast ausschließlich Zivilisten. 98 Prozent der Opfer seien Unbeteiligte und keine Soldaten, erklärte die Menschenrechtsorganisation Handicap International (HI) am 2. Nov. in München und Brüssel. Fast 30 Prozent der Opfer sind demnach Kinder. Streubomben sind Waffen, die eine möglichst große Fläche treffen sollen und dazu viele kleine Unter-Bomben freisetzen. Zuletzt war Israel für den Einsatz solcher Waffen im Libanon-Krieg in die Kritik geraten.
Im Folgenden dokumentieren wir die Ergebnisse der Untersuchung, die am 2. November von Handicap International bei einer Pressekonferenz vorgestellt wurde.



98 Prozent aller dokumentierten Unfälle mit Streumunition betreffen Zivilbevölkerungen. Die meisten Opfer werden mitten aus dem Alltag gerissen, während sie auf dem Feld arbeiten, Obst ernten, Hof und Garten säubern, spielen… Ein wegweisender Bericht von Handicap International „Fatal Footprint – Tödliche Spur“ vereint erstmals alle verfügbaren Daten über die Auswirkungen von Streumunition auf das Leben der Menschen in den 24 Ländern oder Gebieten, die erwiesenermaßen betroffen sind.

Streubomben sind Waffen, die dazu entwickelt wurden, größere Flächen zu treffen, indem sie viele kleine explosive Submunitionen freisetzen. Die verstreuten Munitionen erzeugen eine „Tödliche Spur“ - indem sie unterschiedslos Soldaten und Zivilisten töten und verletzten. Viele der Streumunitionen bleiben nach dem Einsatz nicht explodiert als Blindgänger liegen.

Während der unmittelbare Einsatz von Streumunition eine unterschiedslose Wirkung erzielt, scheinen sich die langfristigen Folgen gezielter auszuwirken: „Die Blindgänger betreffen viel stärker die Zivilbevölkerung als das Militär, sie töten und verletzen spielende Kinder, Familien, die nach dem Krieg zurückkehren, und junge Frauen und Männer während ihres alltäglichen Lebens, sowie Personal zur Friedenssicherung oder Kampfmittelräumer – also diejenigen, die versuchen, die betroffenen Gebiete von der Gefahr zu befreien,“ erklärt François De Keersmaeker, Geschäftsführer von Handicap International Deutschland.

Jungen und Männer sind am stärksten betroffen: 84 Prozent der Unfallopfer sind männlich, davon 40 Prozent unter 18 Jahre alt. In den meisten Fällen werden diese Jungen verletzt oder getötet, während sie für den Lebensunterhalt ihrer Familien arbeiten, also Wasser holen, Holz sammeln oder Tiere hüten.

Dass die meisten Unfälle Menschen bei der Arbeit treffen, beweist auch den direkten ökonomischen Schaden, den Streumunitionen in den betroffenen Gemeinschaften anrichten. In vielen dieser Länder sind die Väter und Söhne traditionell die Ernährer der Familien. Ihr Schicksal trifft daher die ganze Familie besonders hart.

Die Studie dokumentiert weltweit 11.044 Opfer von Streumunition, wobei die tatsächliche Zahl auf ca. 100.000 geschätzt wird, denn die meisten Unfälle werden entweder gar nicht oder nicht in Bezug auf die verursachenden Waffen registriert. 27 Prozent der Opfer sind Kinder. Vorfälle mit Streumunitionen betreffen zumeist gleichzeitig mehrere Personen, die Unfälle verlaufen häufiger tödlich oder verursachen viel öfter Mehrfachverletzungen als Minen oder andere nicht explodierte Kampfmittel. Noch drei Jahrzehnte nach dem Krieg machen Streumunitionen in Südostasien die Hälfte aller Unfälle mit nicht explodierten Kriegsresten aus. Ganz besonders betroffen ist Laos mit annähernd 5.000 dokumentierten Opfern – wobei in diesem Land die Dunkelziffer sicher besonders hoch ist, da die Datenerhebung nur sehr eingeschränkt funktioniert.

„Sofortige und umfassende Räumung ist der einzige Weg, um die Zahl der Opfer nach einem Einsatz von Streumunition zu senken“, betont Kevin Bryant, Räumungsexperte bei Handicap International. So passieren im Libanon heute immer noch zwischen zwei und drei Unfälle mit Streumunitions-Blindgängern am Tag, während im Kosovo die Vorfälle deutlich reduziert werden konnten, nachdem systematische Räumung auf der Grundlage vorbereitender Datenanalysen stattgefunden hatte.

„Heute blickt die Öffentlichkeit auf den Libanon, aber wir dürfen nicht vergessen, dass das vollständige Ausmaß des Problems in vielen anderen Ländern noch unterschätzt wird. Einige Länder sind stark betroffen und erhalten nur sehr wenig Unterstützung, um dieser Bedrohung begegnen zu können“, gibt Bryant zu bedenken.

Auch wenn die Datensammlung in vielen betroffenen Ländern noch sehr mangelhaft ist, was auch die Räumung und Opferhilfe deutlich beeinträchtigt, ist eines offensichtlich geworden: Die Blindgängerquoten, die bei Räumarbeiten festgestellt werden, sind immer deutlich höher als die Produzenten offiziell angeben. Selbstzerstörungsmechanismen, die verhindern sollen, dass die Munition noch lange Zeit explosionsbereit bleibt, funktionieren regelmäßig nicht.

„Ein Verbot von Streumunition mit einer angeblichen Blindgängerquote über 1%, wie es die deutsche Regierung anstrebt, wäre angesichts dessen wohl kaum zu kontrollieren und deshalb wirkungslos“, stellt Eva Maria Fischer, Kampagnenreferentin von Handicap International Deutschland fest. „Abgesehen davon würde angesichts von Millionen eingesetzter Streumunitionen auch ein einziges Prozent eine noch viel zu große Bedrohung darstellen.“

Trotz wachsendem internationalen Interesse und vielfältigen Protesten haben Regierungen und die internationale Staatengemeinschaft immer noch keine Lösung der humanitären Probleme durch Streumunition gefunden. „Die internationale Gemeinschaft muss endlich rechtlich bindende Regelungen treffen, um den weiteren Einsatz von Streumunition zu verhindern und die Räumung der bisher verseuchten Gebiete zu beschleunigen“, fordert De Keersmaeker. „Wir erwarten baldige und entschiedene Schritte zu einem Verbot von Streumunition.“

Quelle: Website von Handicap Internationa; www.handicap-international.de


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