Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Berlin unterminiert Streubomben-Verbot

Konferenz für internationalen Vertrag geht heute in Wellington zu Ende

Von Olaf Standke *

Heute (22. Februar) geht in Neuseelands Hauptstadt Wellington eine internationale Konferenz der Initiative Cluster Munition Coalition zum weltweiten Verbot von Streubomben zu Ende.

Friedensnobelpreisträgerin Jody Williams, selbst USA-Bürgerin, nahm in Wellington kein Blatt vor den Mund: Es sei die Regierung ihres Landes, die hinter den Kulissen der Konferenz für ein internationales Verbot von Streubomben massiv Druck ausübe, um die Ächtung dieser heimtückischen konventionellen Waffen wenn schon nicht zu verhindern, dann wenigstens zu verzögern und zu verwässern. Dabei nimmt die Supermacht, obgleich der größte Produzent, Besitzer und Anwender von »Cluster Bombs«, an der heute zu Ende gehenden Tagung nur als Beobachter teil. Über 500 Repräsentanten von mehr als 120 Regierungen sowie Vertreter von Nichtregierungsorganisationen sowie Überlebende von Unfällen mit Streumunition aus 38 Ländern haben sich in Neuseeland zum vorletzten Treffen im so genannten Oslo-Prozess versammelt. Über drei Viertel der Länder, die Streumunition besitzen, und die Hälfte der Produzentenstaaten sind präsent.

Norwegen hatte die von einer internationalen Kampagne getragene Verbotsinitiative angestoßen, die im Mai in Dublin mit einem historischen Vertrag nach Vorbild der Landminen-Vereinbarung gekrönt werden soll. Zwei Drittel aller Regierungen sind inzwischen involviert. Kein Wunder, ist Streumunition doch eine vergleichsweise preiswerte, aber überaus gefährliche Waffenart, die auch noch lange nach Kriegs- oder Konfliktende vor allem Zivilisten tötet und verstümmelt. »Pakete« mit hunderten oder gar tausend einzelnen Sprengsätzen explodieren dicht über dem Boden, jedes kann so eine Fläche von der Größe eines Fußballfeldes verseuchen. Und weil die Blindgängerquote bis zu 40 Prozent betragen kann, werden die nicht explodierten Sprengsätze praktisch zu langlebigen Landminen. Schon bei der kleinsten Berührung gehen sie hoch, und häufig sind die Opfer Kinder, die sich wegen Form und Farbe für das vermeintliche Spielzeug interessieren. Deshalb soll der angestrebte Vertrag die Unterstützung der Opfer und die Räumung betroffener Gebiete ebenfalls sicherstellen.

Auch Washington teile die humanitären Bedenken gegen den Einsatz von Streumunition, ließ Janine Burns von der USA-Botschaft in Neuseeland jetzt zynisch wissen, nur sei man »wegen ihrer erwiesenen militärischen Nützlichkeit« gegen ein Verbot. So haben Verbündete Washingtons, darunter Deutschland, Australien, Tschechien, Dänemark, Frankreich, die Slowakei, die Türkei und Großbritannien, bei den Verhandlungen in Wellington versucht, den angepeilten Vertrag politisch zu unterminieren. Eine Unterzeichnung könne es erschweren, an gemeinsamen Operationen mit Ländern teilzunehmen, die das Abkommen nicht signieren, argumentierte die japanische Regierung. Dabei zeigen die Erfahrungen des Anti-Personenminen-Verbots, aber auch bei den Konventionen zu biologischen und zu chemischen Waffen, dass solche Bedenken zur »Interoperationalität« nur vorgeschoben sind. Die NATO-Mitglieder Norwegen und Belgien glauben deshalb nicht, dass ein Vertragsbeitritt ihre Bündnisverpflichtungen bedrohen könnte.

Schon zuvor hatte Berlin darauf gedrängt, lange Übergangsfristen durchzusetzen und bestimmte Modelle vom Verbot auszunehmen; etwa solche mit angeblich geringer Blindgängerquote von maximal einem Prozent wie das Modell DM 1385 -- das sich zufälligerweise in rauen Mengen in Bundeswehrdepots findet. Es ist baugleich mit der M85, von Israel massenhaft im Libanon-Feldzug 2006 eingesetzt. 4,6 Millionen Sprengsätze seien es gewesen, so ein in Wellington vorgelegter Report der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Israels Antwort auf die Vorwürfe: Die Hisbollah habe schließlich auch Streumunition eingesetzt. Und: »Der Einsatz von Streumunition ist nach internationalem Recht doch nicht verboten.« Wie eine Untersuchung norwegischer Militärexperten zeigt, explodierte jeder zehnte Sprengkörper erst nach dem Krieg in Libanon. Die Opfer bisher -- 200 Zivilisten. Eine ähnlich hohe Fehlerquote weisen Streubomben mit Selbstzerstörungsmechanismen auf, die die Bundesregierung ebenfalls für schützenswert hält.

Diese absurde Unterscheidung in schlechte und weniger schlechte Streubomben wird von der Internationalen Verbotskampagne mit ihren 200 Organisationen aus 70 Ländern scharf kritisiert. »Streubomben töten Zivilisten -- es ist Scheinheiligkeit der schlimmsten Art, sich einerseits moralisch im Recht zu fühlen und andererseits über das Leben der Opfer hinwegzusehen, wenn es den Interessen der USA dient«, betonte Rae McGrath, Kampagnensprecher von Handicap International, gegenüber dieser Zeitung. Die Diplomaten aus Großbritannien, Deutschland oder Frankreich reflektierten in Wellington nicht die internationale Sorge um unschuldige Opfer, sondern »scheinen eher daran interessiert, die Waffenarsenale ihrer Länder zu verteidigen«. Hier seien dringend die gewählten Parlamente und Regierungen dieser Länder gefordert.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Februar 2008

Ergebnisse der Konferenz

82 Länder einigen sich auf Erklärung zu Streubomben-Verbot

Bei einer internationalen Konferenz in Neuseeland hat sich die Mehrheit der 122 teilnehmenden Staaten für ein Verbot von Streubomben ausgesprochen. Nach Angaben der Initiative Cluster Munition Coalition (CMC), die das Treffen ausrichtete, unterzeichneten 82 Staaten die "Erklärung von Wellington". Auch Deutschland zählt zu den Unterstützern. Die Hauptproduzenten von Streubomben - USA, China und Russland - stellten sich jedoch gegen eine Ächtung dieser besonders für Zivilisten gefährlichen Waffenart und nahmen an dem Treffen nicht teil.

In der Erklärung wird der Gebrauch und die Produktion von Streubomben verurteilt und ein Verbot gefordert. Zudem sollen überlebende Opfer medizinische Unterstützung und Rehabilitationsmaßnahmen erhalten. Auf Grundlage des in Neuseeland ausgehandelten Textes soll in der zweiten Maihälfte 2008 in Dublin ein Vertrag zum weltweiten Verbot dieser Waffen ausgearbeitet und im Dezember in Oslo ein rechtsverbindliches Verbotsprotokoll beschlossen werden. Die Initiative zum Streubomben-Verbot hatte Norwegen im Februar vergangenen Jahres gestartet.

Das Auswärtige Amt teilte in Berlin mit, mit der Unterzeichnung bekräftige die Bundesregierung ihr Engagement für ein weltweites Verbot von Streubomben. Im nationalen Rahmen beschloss die Bundesregierung bereits, dass die Bundeswehr Streumunition nicht mehr neu bewaffnet und solche Streumunition vernichtet, deren Blindgängerrate über ein Prozent liegt. Die Bundeswehr habe bisher noch nie Streumunition eingesetzt, teilte das Auswärtige Amt weiter mit.

Die vom Flugzeug aus abgeworfenen oder zu Land abgefeuerten Streubomben enthalten eine Vielzahl kleinerer Bomben, die sich über riesige Flächen ausbreiten. Viele der Mini-Bomben gehen beim Aufprall auf dem Erdboden nicht sofort hoch, sondern liegen jahrelang als unentdeckte Gefahr für Zivilisten im Gelände.

AFP, 22. Februar 2008

Verhandlungen über Verbot von Streubomben gescheitert

Ohne greifbares Ergebnis ist am Freitag (22. Februar) in Neuseeland eine Konferenz für ein geplantes Verbot von Streubomben zu Ende gegangen. Die Delegationen aus mehr als 120 Staaten scheiterten mit dem Versuch, sich auf die Eckpunkte eines Abkommens zu einigen, das den Einsatz, die Herstellung und die Lagerung von Streumunition ächtet. Jetzt seien intensive Verhandlungen auf der Schlusskonferenz im Mai in Dublin erforderlich, sagte der britische Chefunterhändler John Duncan. Der neuseeländische Abrüstungsminister Phil Goff bemühte sich zum Abschluss der fünftägigen Beratungen in Wellington, die positiven Aspekte herauszustellen. Trotz der fehlenden Einigung hätten alle beteiligten Parteien vereinbart, den Prozess fortzusetzen. «Meine Erwartung ist, dass wir in Dublin einen Vertrag unterschrieben bekommen», sagte Goff. Ungeklärt blieb in Wellington unter anderem die Frage, wie Streumunition definiert werden soll und ob es Ausnahmeregelungen geben soll.

An der Konferenz nahmen 41 der 76 Staaten teil, die Streumunition in ihrem Rüstungsarsenal haben. Der Prozess für ein Verbot dieser Waffen wurde vor einem Jahr in Oslo gestartet. Zu den Initiatoren gehörten neben Norwegen auch Österreich, Irland, Neuseeland, Mexiko und der Vatikan. Die USA waren auf der Konferenz in Wellington nur mit Beobachtern vertreten. Eine Sprecherin der US-Botschaft sagte, ihre Regierung sei «wegen der erwiesenen militärischen Nützlichkeit» gegen ein Verbot.

Bei der Streumunition handelt es sich um Pakete mit mehreren hundert oder tausend einzelnen Sprengsätzen, die über dem Boden explodieren. Die Explosionswirkung erfasst etwa eine Fläche von der Größe eines Fußballfeldes ab. Allerdings explodieren meist 10 bis 40 Prozent der Sprengsätze nicht sofort und stellen danach eine tödliche Gefahr dar. Bei der kleinsten Berührung können sie explodieren. Opfer sind häufig Kinder, die sich wegen Form und Farbe für die Sprengsätze interessieren. Streumunition wurde auch im Irak, im Kosovo-Krieg und in Afghanistan eingesetzt.

AP, 22. Februar 2008

Williams wirft USA Druck auf Streubomben-Konferenz vor

Friedensnobelpreisträgerin Jody Williams hat den USA vorgeworfen, Teilnehmerstaaten der Konferenz für ein internationales Verbot von Streubomben unter Druck zu setzen. Verbündete der USA stellten daher gezielt bestimmte Forderungen, um Fortschritte der Konferenz verhindern, sagte Williams der Nachrichtenagentur AP. Die US-Bürgerin erhielt 1997 zusammen mit der Internationalen Kampagne für das Verbot von Landminen den Friedennobelpreis.

Eine Sprecherin der US-Botschaft in Neuseeland, Janine Burns, wies die Vorwürfe zurück. Washington versuche nicht, die Konferenz zu bremsen. Die Vereinigten Staaten teilten die humanitären Bedenken gegen den Einsatz von Streumunition, seien aber «wegen ihrer erwiesenen militärischen Nützlichkeit» gegen ein Verbot. Die USA sind auf der am Montag (18. Februar) eröffneten Konferenz nur mit Beobachtern vertreten.

Der Prozess für ein Verbot dieser Waffen wurde vor einem Jahr in Oslo gestartet. Zu den Initiatoren gehörten neben Norwegen auch Österreich, Irland, Neuseeland, Mexiko und der Vatikan. Die Konferenz in Wellington verfolgt das Ziel, die zu verbietende Munition präzise zu definieren. Die Abschlussverhandlungen der Diplomaten sollen dann im Mai in Irland stattfinden.

Bei der Streumunition handelt es sich um Pakete mit mehreren hundert oder tausend einzelnen Sprengsätzen, die über dem Boden explodieren. Die Explosionswirkung erfasst etwa eine Fläche von der Größe eines Fußballfeldes ab. Allerdings explodieren meist 10 bis 40 Prozent der Sprengsätze nicht sofort und stellen danach eine tödliche Gefahr dar. Bei der kleinsten Berührung können sie explodieren. Opfer sind häufig Kinder, die sich wegen Form und Farbe für die Sprengsätze interessieren. Streumunition wurde auch im Irak, im Kosovo-Krieg und in Afghanistan eingesetzt.

AP, 21. Februar 2008



Betroffene Staaten zeigen den Weg zu einem Verbot von Streumunition

Strittige Fragen werden auf der Folgekonferenz in Dublin weiterverhandelt

Die Atmosphäre im Konferenzsaal war wie elektrisiert, als sich eine Regierungsdelegation nach der anderen am letzten Konferenztag für die Erklärung von Wellington aussprach. Mit dieser verpflichten sich die Staaten dazu, in Mai 2008 in Dublin einen Vertrag für ein Verbot von Streumunition zu verabschieden. Die Betroffenen wie z.B. der Libanon, und viele Entwicklungsländer gingen mit ihren positiven Erklärungen voran – doch auch diejenigen Staaten, die in den vergangenen Tagen um Abschwächungen des Verbots gerungen hatten, folgten ihnen letztlich nach. Eine Umkehrung der Verhältnisse, die bezeichnend ist für die zum Abschluss gekommene Konferenz, in der die von Streubombeneinsätzen betroffenen und die ärmeren Länder schon durch ihre Anzahl, aber auch durch ihre Beiträge außergewöhnlich präsent waren. 83 Länder unterzeichneten die Erklärung von Wellington sofort, andere warten noch die Rückmeldungen ihrer Regierungen ab. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Zahl der Unterzeichner bis zur Konferenz in Dublin im Mai auf bis zu 140 ansteigen wird.

„Wie schon beim Verbot von Anti-Personen-Minen haben sich hier die südlichen Länder, die vor allem zu den Opfern solcher Waffen gehören, zusammengeschlossen, um erfolgreich die Dominanz der Produzenten- und Einsatzländer, die normalerweise die Regeln bestimmen, herauszufordern – und dies mit Erfolg!“ resümiert François De Keersmaeker, Geschäftsführer von Handicap International.

Seit Montag hatten in Wellington 122 Staaten gemeinsam mit Nicht-Regierungs-Organisationen getagt – auf der Grundlage eines Vertragsentwurfes, der ein ausnahmsloses und rasches Verbot von Streumunition vorsieht. Der Entwurf war von einigen führenden Staaten des so genannten Oslo-Prozesses, u.a. Norwegen, Neuseeland, Österreich, Mexiko, in bisher einmaliger enger Zusammenarbeit mit der zivilgesellschaftlichen Kampagne gegen Streumunition (Cluster Munition Coalition) erarbeitet worden. 13 Staaten, darunter Deutschland, versuchten in Wellington, Ausnahmen und abschwächende Regelungen durchzusetzen. Gegenüber der großen Zahl der Staaten, die ein ausnahmsloses Verbot forderten, befanden sie sich jedoch in einer deutlichen Minderheit und waren offensichtlich überrascht von deren massivem Auftreten. Während Deutschland und Kanada am Ende die dominante Rolle der Nicht-Regierungs-Organisationen in Wellington kriti-sierten, kündigten Frankreich und Großbritannien an, sich weiterhin für eine Abschwächung des Verbots einzusetzen. Dennoch unterzeichneten sie alle die Erklärung, und ihre Bedenken wurden in einem Anhang zum Vertragsentwurf aufgenommen. Der Entwurf selbst blieb jedoch in der Substanz unverändert.

Der Ausgang der Wellington-Konferenz zeigt, dass die Diskussion bis zum Vertragsabschluss in Dublin weitergeht. Die deutsche Delegation fordert nach wie vor Übergangsfristen für das Verbot und eine Ausnahme für bestimmte sensorengesteuerte Waffen, die im Gegensatz zu anderer Streumunition angeblich gezielt eingesetzt werden könnten. „Wir zweifeln daran, dass die alterna-tiven Waffen, die von der deutschen Regierung angeführt werden, technisch so realisierbar sind, dass sie die Zivilbevölkerung nicht gefährden, und dass sie vor allem einwandfrei getestet werden können. Es ist jedoch nicht der Sinn eines Abrüstungsabkommens, über zukünftige Waffen zu reden, “ betont Eva Maria Fischer, Kampagnensprecherin von Handicap International Deutsch-land. „Die Forderung nach Übergangsfristen scheint uns besonders abwegig: Wieso sollen Waffen, die verboten werden, weil sie Zivilisten terrorisieren, noch ein paar Jahre im Einsatz bleiben?“

Diese Diskussion muss nun auf einer politischen Ebene weiter geführt werden. „Es ist entschei-dend, dass die gewählten Regierungen und Parlamente sich über die Positionen der diplomatischen Delegationen bewusst werden. Länder wie Großbritannien, Deutschland und Frankreich reflektieren nicht die internationale Sorge um unschuldige Opfer, sondern scheinen eher daran interessiert, ihre Waffenarsenale zu verteidigen. Diese Angelegenheit ist jedoch zu wichtig, um sie in den Händen nicht gewählter Repräsentanten zu belassen – das Leben unschuldiger Menschen ist ein politisches, nicht ein diplomatisches Thema, “ sagte Rae McGrath, internationaler Kampagnensprecher von Handicap International in Wellington. Bis im Mai in Dublin der Verbotsvertrag verabschiedet wird, haben die verantwortlichen deutschen Politiker nun Zeit, die Priorität auf das humanitäre Ziel des Oslo-Prozesses zu legen und endlich grünes Licht zu geben für die Zustimmung zu einem klaren und übergangslosen Verbot von Streumunition.

Quelle: Streubomben-Dossier von Handicap International Deutschland;
www.streubomben.de



Zurück zur Landminen-und Streubomben-Seite

Zur Seite "Neue Waffen, Waffentechnologie, Waffenwirkung"

Zurück zur Homepage