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Mit dem Gesetz gegen Massenvernichtungswaffen vorgehen / Taking Legislative Aim at Weapons of Mass Destruction (Abstract)

Ein Namensartikel von Richard Lugar, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des US-Senats

Im Folgenden dokumentieren wir einen Namensartikel von Senator Richard Lugar, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Senats, der erstmals in der Märzausgabe 2005 des elektronischen Journals "Foreign Policy Agenda: Today's Nuclear Equation" erschien. Die Übersetzung ins Deutsche besorgte der Amerika Dienst.

Abstract

Taking Legislative Aim at Weapons of Mass Destruction

The world is awash with nuclear, chemical, and biological weapons and material, says U.S. Senator Richard Lugar, chairman of the Senate Foreign Relations Committee. He is the author of three laws which initiated and then expanded U.S. efforts to help the former Soviet Union "safeguard and dismantle its enormous stockpiles of nuclear, chemical, and biological weapons, as well as its means of delivery and related materials." But more must be done, he asserts, "to control threats from biological and chemical weapons" around the world and to address numerous remaining nuclear proliferation issues-among them, Russian short-range tactical weapons, stockpiles of spent reactor fuel, the absence of nuclear agreements with India and Pakistan, and the need for U.S. and European companies to provide "sustainable private sector jobs" for scientists who otherwise may be "tempted to find work helping others acquire dangerous weapons." Lugar, a Republican, was first elected to the Senate from Indiana in 1976 and is the longest-serving senator in the state's history.
The full electronic journal can be viewed on the Internet at http://usinfo.state.gov/journals.


Mit dem Gesetz gegen Massenvernichtungswaffen vorgehen

von Richard Lugar

Auf ihrem jüngsten Gipfeltreffen in Bratislava vereinbarten Präsident Bush und der russische Präsident Wladimir Putin, gemeinsam bis spätestens 2008 sicherheitstechnische Verbesserungen bei der Lagerung von atomaren Sprengköpfen und Nuklearmaterial abzuschließen. Diese neue und verkürzte Frist ist eine positive Entwicklung, die die Bedeutung des Kampfes gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen unterstreicht.

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen die größte nationale Sicherheitsherausforderungen für die Vereinigten Staaten. Leider ist diese Tatsache nur wenigen Menschen bekannt. Während der neunziger Jahre wurde die atomare Bedrohung durch Terroristen in Meinungsumfragen kaum genannt, noch während des Präsidentschaftswahlkampfes 2000 hatte keiner der beiden Kandidaten klar formulierte Positionen bezüglich des atomaren Terrorismus und der Strategien zur Nichtverbreitung von Waffen.

Für das Nunn-Lugar-Gesetz, das ich 1991 mit dem damaligen Senator Sam Nunn ins Leben rief, musste ständig aktiv geworben werden, um Finanzmittel und Unterstützung für die Arbeit bei der Sicherung von Nuklearmaterial aus der Zeit der Sowjetunion zu erhalten.

Eine beeindruckende Bilanz

Trotz der Hindernisse leistete das Nunn-Lugar-Programm einen bedeutenden Beitrag zur Nichtverbreitung. Bis heute wurden im Rahmen des Programms
  • a. 6.564 atomare Sprengköpfe,
  • b. 568 Interkontinentalraketen (intercontinental ballistic missiles - ICBM),
  • c. 477 ICBM-Raketensilos,
  • d. 17 mobile ICBM-Abschussvorrichtungen,
  • e. 142 Bomber,
  • f. 761 atomare Boden-Luft-Raketen,
  • g. 420 Abschussvorrichtungen auf U-Booten,
  • h. 543 U-Boot-gestützte Flugkörper,
  • i. 28 Atom-U-Boote sowie
  • j. 194 Tunnel für Atomtests
deaktiviert oder zerstört.

Außerdem
  • a. wurden an 260 Tonnen spaltbarem Material umfassende oder rasch durchführbare Sicherheitsverbesserungen durchgeführt,
  • b. wurde die Sicherheit von rund 60 Depots von atomaren Sprengköpfen erhöht,
  • c. erfolgte bei 208 Tonnen hoch angereichertem Uran eine Umrüstung auf niedrig angereichertes Uran,
  • d. gewannen die Internationalen Zentren für Wissenschaft und Technologie in Russland und der Ukraine, deren Hauptgeldgeber die Vereinigten Staaten sind, 58.000 ehemalige Waffenforscher für friedliche Arbeit,
  • e. hat das Internationale Programm für die Verhinderung der Verbreitung (International Proliferation Prevention Program) 750 Projekte mit 14.000 ehemaligen Waffenforschern unterstützt und rund 580 neue friedliche Arbeitsplätze im High-Tech-Bereich geschaffen und
  • f. die Ukraine, Weißrussland und Kasachstan sind aufgrund der gemeinsamen im Rahmen des Nunn-Lugar-Programms durchgeführten Bestrebungen heute atomwaffenfrei.
Die Anschläge vom 11. September 2001 und die nachfolgenden Enthüllungen bezüglich des globalen Terrorismus führten zu tief greifenden Veränderungen. Während des Wahlkampfes 2004 hielten sowohl Präsident Bush als auch sein Herausforderer Senator John Kerry bedeutende Reden über die Bekämpfung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. In den landesweit übertragenen Diskussionen der Präsidentschaftskandidaten waren diese sich einig, dass die größte Sicherheitsbedrohung für die Vereinigten Staaten Massenvernichtungswaffen sind, die in die Hände von Terroristen fallen. Im Bericht der Untersuchungskommission zum 11. September, eines mit der Untersuchung der Anschläge vom 11. September beauftragten Gremiums, wurde festgestellt, dass "die Verhinderung der Verbreitung [von Massenvernichtungswaffen] maximale Anstrengungen erforderlich macht" und dass das "Nunn-Lugar-Programm ... eine Erweiterung und Verbesserung sowie zusätzliche Ressourcen benötigt".

Eine vierte Auflage

Um genau dies zu ermöglichen, legte ich dem Kongress Anfang dieses Jahres die vierte Erweiterung des Nunn-Lugar-Gesetzes vor. Die ursprüngliche Initiative mit dem offiziellen Namen "Kooperatives Bedrohungsreduzierungsprogramm" trat 1993 in Kraft und bot der ehemaligen Sowjetunion bei der Sicherung und dem Abbau ihres enormen Arsenals an atomaren, chemischen und biologischen Waffen und ähnlichen Materialien sowie ihrem Transport finanzielle Unterstützung und Fachwissen. 1997 stellten Senator Nunn und ich zusammen mit Senator Pete Domenici aus Neu-Mexiko das Gesetz über die Verteidigung gegen Massenvernichtungswaffen (Defense Against Weapons of Mass Destruction Act) vor, mit dem die Reichweite des Nunn-Lugar-Programms auf die ehemalige Sowjetunion ausgeweitet wurde und den Krisenreaktionskräften in amerikanischen Städten Fachwissen über Massenvernichtungswaffen vermittelt wurde.

2003 autorisierte Präsident Bush die Erweiterung des Nunn-Lugar-Gesetzes auf Regionen außerhalb der ehemaligen Sowjetunion. Der neue Gesetzesentwurf bietet eine erhöhte Flexibilität bei der Durchführung von Nunn-Lugar-Projekten außerhalb der ehemaligen Sowjetunion und schafft durch den Kongress auferlegte Bedingungen ab, die dringende Projekte in der Vergangenheit behindert haben. Wir müssen Bürokratie und Spannungen innerhalb der US-Regierung abbauen, die eine schnelle Reaktion auf sich im Bereich der Nichtverbreitung bietende Chancen behindern.

Trotz dieser Errungenschaften und dem Erfolg in Bratislava gibt es noch viel zu tun. Die Welt ist voll von atomaren, chemischen und biologischen Waffen und Materialien. Glücklicherweise ist die Regierung Bush an mehreren Fronten tätig. Im Bereich der kooperativen Verringerung von Bedrohungen sieht die Haushaltsvorlage des Präsidenten für das Jahr 2006 415,5 Millionen Dollar für das Nunn-Lugar-Programm vor. Der Betrag entspricht einer Erhöhung im Vergleich zu 2005 und ermöglicht die Durchführung aller geplanten Aktivitäten.

Kurz nach der Veröffentlichung der Haushaltsvorlage im Februar 2005 kündigten die Präsidenten Bush und Putin wichtige Schritte bei der Verstärkung gemeinsamer Bestrebungen bezüglich des Schutzes des russischen Waffenarsenals vor Terroristen an. Diese Fortschritte unterstreichen weiter die Notwendigkeit einer Ausweitung des Nunn-Lugar-Programms und der Abschaffung von durch den Kongress auferlegten Bedingungen und Zertifizierungserfordernisse, die die Umsetzung der Bestrebungen stets verlangsamt haben.

Die Chance nutzen

Auch wenn sich die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft in der jüngeren Vergangenheit auf die Atomprogramme von Nordkorea und Iran gerichtet hat, müssen wir diese Chance nutzen, um die Bedrohungen durch biologische und chemische Waffen einzuschränken und bezüglich der Verbreitung von Atomwaffen in den folgenden Bereichen größere Durchbrüche zu erreichen:

a. Russische taktische Kurzstrecken-Atomwaffen müssen in das Nunn-Lugar-Programm einbezogen werden. Trotz unseres Erfolges bei der Deaktivierung der russischen Interkontinentalraketen und strategischen Sprengköpfe weigert sich Moskau bis heute, das Thema taktische Waffen anzusprechen, die womöglich eine noch größere Gefahr darstellen als andere Waffen.

b. Nuklearmaterial muss weltweit kontrolliert werden. Große Mengen von waffenfähigem Material außerhalb der ehemaligen Sowjetunion stellen eine Bedrohung der internationalen Sicherheit dar. Wir sollten die derzeitigen internationalen Programme zur Beseitigung von verbrauchtem Reaktorbrennmaterial und der Umrüstung von Forschungsreaktoren auf niedrig angereichertes Uran beschleunigen.

c. Es sollten Atomabkommen mit Indien und Pakistan müssen abgeschlossen werden. Die Vereinigten Staaten sollten dauerhafte Anstrengungen für vertrauensbildende Maßnahmen unternehmen und die positiven Entwicklungen unterstützen, die diese beiden verfeindeten Atommächte bereits verzeichnen konnten, und zudem auf eine sorgfältige Einhaltung der aus dem nuklearen Nichtverbreitungsvertrag resultierenden Verpflichtungen achten.

d. Bürokratische Hindernisse seitens der Vereinigten Staaten und Russland bei der gemeinsamen Sicherung empfindlicher spaltbarer Materialien und der Lagerung von Sprengköpfen müssen beseitigt werden. Wenn beide Seiten ihre in Bratislava zugesicherten Verpflichtungen einhalten wollen, muss Russland freien Zugang zu Lagerorten gewähren und Steuerfreiheit für die teilnehmenden Länder gewähren. Zudem muss G8-Partnern Schutz vor Haftbarkeit gewährt werden.

e. Mehr amerikanische und europäische Unternehmen müssen Waffenforscher beschäftigen. Die zehntausenden von uns angestellten Wissenschaftler arbeiten zumeist in von der Regierung geförderten oder durch die Regierung subventionierten Stellen. Wir müssen weitaus mehr dieser Frauen und Männer sichere Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft verschaffen, so dass sie nicht in Versuchung geraten, andere bei ihrem Streben nach gefährlichen Waffen zu unterstützen.

f. Eine russische Ratifizierung des Nunn-Lugar-Rahmenabkommens muss gewährleistet werden. Dieses Abkommen, das die gesamte Arbeit der Vereinigten Staaten bei der Verringerung von Bedrohungen untermauert, muss formell verlängert werden. Allerdings ließ Präsident Putin eine diesbezügliche Abstimmung in der Duma bisher nicht zu. Ohne die Garantien des Abkommens, die beinhalten, dass Beiträge für die Sicherung und Zerstörung der Waffenbestände von den russischen Behörden nicht besteuert werden und sich für amerikanische Unternehmen keine Haftbarkeit in diesem riskanten Unterfangen ergibt, könnten die Arbeiten zu einem Stillstand kommen.

g. Ein Abkommen zur Entsorgung von Plutonium muss abgeschlossen werden. Auf dem Gipfeltreffen in Bratislava vereitelten Probleme bezüglich der Haftbarkeit trotz eines erneuten amerikanischen Engagements für die Lösung des Themas weiterhin die Bestrebungen, 34 Tonnen russisches Plutonium zu zerstören.

h. Die im Rahmen der Globalen Partnerschaft der G8 gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und -materialien 2002 durchgeführten Aktivitäten müssen beschleunigt werden. Die Vereinigten Staaten kommen ihren Verpflichtungen nach, in zehn Jahren 10 Milliarden Dollar für die Sicherung und Zerstörung von Waffenbeständen zur Verfügung zu stellen, während unsere Partner in der Gemeinschaft der großen Industrienationen noch daran arbeiten, ihre entsprechenden Zusagen zu erfüllen. Insbesondere müssen wir uns darauf konzentrieren, Zusagen konkrete Projekten folgen zu lassen.

Die Chance, auf diese Bedrohungen reagieren zu können, wird nicht ewig fortbestehen. Unsere Politiker und Experten im Bereich der Nichtverbreitung müssen jetzt handeln und die Ziele des Gipfeltreffens weiterverfolgen. Sie müssen mit den russischen Behörden zusammenarbeiten, um die letzten Hindernisse für den Abbau des russischen Atomwaffenprogramms auszuräumen. Ich hoffe, dass der Kongress seinen Beitrag zur Ausräumung potenzieller Hindernisse für den Zeitplan von Bratislava leisten wird, indem er das neue Nunn-Lugar-Gesetz verabschiedet. Wir sollten ferner die ganze Welt nach gefährlichen Waffenprogrammen außerhalb der ehemaligen Sowjetunion durchkämmen und Möglichkeiten zu ihrem Abbau aufzeigen. Nur wenn wir Tag und Nacht an der Lokalisierung und Zerstörung von Massenvernichtungswaffen arbeiten, erfüllen wir unsere Pflicht, das amerikanische Volk und die Menschen aller Nationen zu schützen.

Originaltext: Taking Legislative Aim at Weapons of Mass Destruction
(siehe http://usinfo.state.gov)



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