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Friedensjournalismus: Plädoyer für eine konstruktive Konfliktberichterstattung

Von Nadine Bilke

Den folgenden Beitrag haben wir - mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers - dem Buch "Die Wiedergeburt Europas". Von den Geburtswehen eines emanzipierten Europas und seinen Beziehungen zur "einsamen Supermacht" entnommen. (Nähere Angaben am Ende des Artikels.)


Journalisten könnten von der Friedenswissenschaft vieles lernen: die Sensibilität im Umgang mit Begriffen wie Krise oder Krieg, die gründliche Analyse einer Konfliktkonstellation und die Entwicklung von friedlichen Lösungsperspektiven. Doch schon die Verbindung der Wörter Frieden und Journalismus provoziert in der Medienbranche mehr Widerspruch als Zustimmung: Journalisten müssten schließlich objektiv sein, heißt es ablehnend.

Dieser Aufsatz stellt dem folgende These entgegen: Friedensjournalismus steht der Objektivität nicht im Weg, bei der Orientierung am Frieden handelt es sich vielmehr um ein objektiv gebotenes journalistisches Ziel. Das möchte ich in sechs Schritten ausführen: Der erste Abschnitt widmet sich den Mängeln in der vorherrschenden Kriegs- und Krisenberichterstattung. Das Wirkungspotenzial journalistischer Arbeit zeigt in einem zweiten Schritt, welche zentrale Bedeutung einer konstruktiven Konfliktberichterstattung zukommt. Im Gegensatz zu einem naiven Objektivitätsbegriff, der von einem Wahrheitsgehalt der Berichterstattung ausgeht, lässt eine kritische Definition Raum für das Friedensziel, das normativ-rechtlich geboten ist. Inhaltlich stellt ein solches Konzept hohe Anforderungen an Journalistinnen und Journalisten, die in der Umsetzung an die jeweiligen Arbeits- und Konfliktsituationen angepasst werden müssen.

Muster der Krisen- und Kriegsberichterstattung

Meine Kritik an der Krisen- und Kriegsberichterstattung möchte ich bewusst zugespitzt und in provokanter Form in fünf Punkten darstellen.
  1. Medien sind parteiisch: Sie stehen auf der Seite ihres Landes und ihrer nationalen Interessen. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür haben große Teile der US-amerikanischen Medien während des Irak-Krieges geliefert.
  2. Patriotismus ist ein Mittel zur Disziplinierung der Medien. Das zeigten die Reaktionen auf die Anschläge am 11. September 2001 in den USA. Wer der offiziellen Lesart der Ereignisse widersprach, liebte angeblich sein Land nicht genug. Wie in der politischen Diskussion liefen die Linien in der Berichterstattung getreu der Separierung des US-Präsidenten George W. Bush: „Ihr seid für uns oder für die Terroristen.“
  3. Diese Zweiteilung stellt ein typisches Muster dar, das den Seiten absolute Eigenschaften zuordnet, die kaum Differenzierungen zulassen: Es gibt nur Gutes auf der einen, nur Böses auf der anderen Seite. Das gilt für die Parteien in einem Krieg: die bösen Serben gegen die guten Kroaten Anfang der 90er Jahre im Krieg in Ex-Jugoslawien. Das gilt auch für die Debatte zwischen den Kriegsgegnern und den Kriegsbefürwortern. Im Kosovo-Krieg 1999 waren die Fronten klar abgesteckt: Der Gute führt Krieg, der Böse lässt den Völkermord zu. Erzählt werden also Geschichten von Gut und Böse, die mit den Realitäten des Konfliktverlaufs nur noch wenig zu tun haben.
  4. Die Schnelligkeit der Live-Berichterstattung begünstigt diese vereinfachte Wiedergabe. Moderne Kriege sind Medienereignisse. Die Entwicklung des Live-Krieges ist am zweiten und dritten Golfkrieg zu beobachten: Dem zweiten Golfkrieg mochte mancher noch zu viel Abstand vom Geschehen vorwerfen, im dritten berichteten eingebettete Journalisten rund um die Uhr direkt vom Schlachtfeld.
  5. Auch die Sprache der Berichterstatter hat einen wenig objektiven Klang. Journalistinnen und Journalisten geben dem Krieg ungefährlichere Namen: Sie nennen ihn Friedensmission, Befreiungsaktion, sie reden von einem Vorstoß oder von einer Razzia gegen Paramilitärs. Aus Soldaten der einen Seite werden Sicherheitskräfte, denen auf der andere Seite Kämpfer gegenüber stehen. Mit dieser Wortwahl verharmlosen sie nicht nur das Geschehen, sie schaffen auch neue Realität, z.B. durch die Benutzung neuer Wortschöpfungen wie „vorbeugender Krieg“ im Fall Irak 2003.
Wenn man aus diesen aufgeführten Punkten eine Rolle der Medien herausfiltern möchte, dann liegt der Schluss nahe, in Medien eine Kombination aus einem Kampf- und einem Schoßhund zu sehen. Sie stehen jedem gewaltträchtigen Konflikt erwartungsvoll gegenüber, denn dieser bringt gute Stories und gute Bilder; er bringt Quote, Auflage und Karriere – das ist der Kampfhund. Und im Zweifel halten sich die Medien dabei an die Position ihrer nationalen Regierung, schmiegen sich ihr an wie ein Schoßhund.

Die kurze Auflistung zeigt, dass Medien keineswegs objektiv oder neutral über Konflikte berichten. Dieser negative Befund ist das beste Argument für eine Umorientierung hin zu einem Friedensjournalismus. Friedensjournalismus soll niemals parteiisch sein, er muss eine gründliche Konfliktanalyse leisten aus einer überparteiischen Situation heraus. Die neue Rolle und damit die neue Herausforderung für die Medien könnte sein, ein überparteiischer Vermittler im Friedensdienst zu werden.

Potenzielle Wirkungen der Konfliktberichterstattung

„Die Medien sind vielleicht unser mächtigstes Hilfsmittel, um zukünftige Konflikte zu lösen und Kriege zu vermeiden.” Ihr großes Wirkungspotenzial unterstreicht die Verantwortung von Konfliktberichterstattern. Auf individueller, nationaler und internationaler Ebene wirkt ihr Verhalten zurück auf die Konfliktparteien und auf den Konfliktverlauf. Zunächst beeinflusst jeder Journalist einen Konflikt unmittelbar durch sein eigenes Handeln. Wenn er selbst vor Ort ist, spricht er mit den Parteien, wird zum Akteur in der Konfliktkonstellation. Selbst wenn er aus der Distanz agiert, fließt seine Auffassung des Konfliktes in seine Berichte ein. Sein Bild der beteiligten Gruppen oder Kulturen schlägt sich in seiner Arbeit nieder.

Diese Berichterstattung hat auf einer nationalen Ebene Einfluss auf sein Publikum. Studien weisen darauf hin, dass speziell über das Geschehen im Ausland nur wenig stabiles Wissen vorhanden ist. In Krisenzeiten aber fragen besorgte Menschen verstärkt Nachrichten nach. Diese Kombination aus Nachfrage und geringem Wissen eröffnet große Spielräume für den Einfluss der Medien. Das Bild des Publikums, die öffentliche Meinung zu einem Konflikt, aber beeinflusst den weiteren Konfliktverlauf auch auf internationaler Ebene. Öffentlicher Druck, diese Position vertreten einige Studien, kann ein starker Politikimpuls werden, unter bestimmten Bedingungen sogar Militäreinsätze auslösen oder beenden.

In einer Welt, in der Medien zunehmend globalisiert sind, wird die Berichterstattung zu einem eigenen Kommunikationskanal zwischen den Konfliktparteien, zu nennen wären CNN und zunehmend auch Al Dschasira. Die Berichterstattung über internationale Konflikte bildet außerdem eine Informationsquelle selbst für Entscheidungsträger. So bestimmt sie –zusätzlich zu anderen Quellen – u.a. Wahrnehmungsmuster, die Grundlage für politisches oder militärisches Handeln werden können.

Normativ-rechtliche Vorgaben

Die Verantwortung der Berichterstattung lässt sich nicht zuletzt aus rechtlichen Grundlagen ableiten, denn Journalismus schwebt keineswegs in einem wertefreien Raum. Seine grundlegenden Normen sind auf nationaler und internationaler Ebene festgelegt. Für deutsche Medien lassen sich aus dem Grundgesetz, den Landesmediengesetzen und verschiedenen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts u.a. folgende Verpflichtungen ableiten: Medien sollen Information und Orientierung bieten, sie sollen ein Forum sein für verschiedene Meinungen und sich selbst kritisch äußern und Kontrolle ausüben gegenüber der Regierung. Damit sollen sie die Meinungsbildung der Bürger ermöglichen. Insofern bilden die Medien die Grundlage der Demokratie. Sie legitimieren Herrschaft durch die Herstellung von Öffentlichkeit. Ohne Medien, die sich diesen Anforderungen stellen, kann Demokratie nicht funktionieren.

Im internationalen Rechtsrahmen bilden die Menschenrechte den wichtigsten Orientierungspunkt. Menschenwürde legt den Grundstein für die anderen Rechte, die zusammengenommen ein Konzept für positiven Frieden darstellen – ein Konzept, das über die reine Abwesenheit von Krieg hinausgeht und den Rahmen für soziale Gerechtigkeit liefern will. Neuere Ansätze im Völkerrecht sehen die Demokratie als die geeignete Staatsform zur Umsetzung dieser Rechte; damit schließt sich der Kreis zur Aufgabe der Medien in einer Demokratie. Grundlegende völkerrechtliche Prinzipien sind in Deutschland entweder dem Grundgesetz übergeordnet oder in nationales Recht überführt, Ähnliches gilt für andere Länder. Schon die rechtlichen Zielvorgaben führen also zu dem Schluss, dass der Frieden das zentrale Ziel journalistischer Arbeit darstellt.

Ein kritischer Begriff von Objektivität

Ein dominantes journalistisches Rollenverständnis geht davon aus, dass Journalisten neutral sein können und müssen. Präsentiere die Fakten, lass das Publikum urteilen, heißt das Credo, Meinung gehöre in klar gekennzeichnete Kommentare. Dieses Verständnis von Objektivität wird oft als Argument gegen Friedensjournalismus benutzt, eine Friedensorientierung verletze die journalistische Neutralität. Friedensjournalismus heißt aber keineswegs das Ende der Objektivität, ein kritischer Begriff von Objektivität ist zentraler Bestandteil des Konzepts. „Objektiv soll eine Berichterstattung dann heißen, wenn sie ‚objektgemäß‘ ist, d.h., wenn die Berichterstattung die zu berichtenden Sachverhalte so richtig, vollständig und präzise wie möglich darstellt. Objektive Berichterstattung vereinfacht (wie jede Beschreibung von Welt) die entsprechenden Sachverhalte, ohne sie jedoch zu verfälschen.“

Dabei wird Objektivität nicht im Gegensatz zu Subjektivität begriffen, sondern als eine „Kette subjektiver Akte“, als ein Prozess, der bestimmte Ergebnisse erreichen will: Richtigkeit, Vollständigkeit, Transparenz. Welche Worte Journalisten benutzen, über welche Kriege sie berichten, wo sie diese Berichte platzieren, sie treffen Entscheidungen auf der Basis ihrer Wertvorstellungen. Das Friedensziel muss in der Berichterstattung als Richtungsweiser bei diesen täglichen Weichenstellungen fungieren.

Friedensjournalismus

Journalistinnen und Journalisten haben also immer einen Einfluss auf das Geschehen – teilweise auch schon vor der Berichterstattung, falls nämlich Akteure in einem Konflikt ihr Handeln auf die potentielle Medienwirkung ausrichten. Friedensjournalismus kann helfen, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Das Konzept stellt keine zusätzliche Arbeitsbelastung dar, sondern bietet eine grundsätzliche Ausrichtung: Wie berichte ich über Konflikte, wie stelle ich Menschen dar, welche Lösungen präsentiere ich? Dabei wenden Journalisten Erkenntnisse aus der Friedens- und Konfliktforschung an, um eine Krisensituation zu schildern. Die folgenden Vorschläge können eine Basis bilden für konkrete Vorgehensweisen, die angepasst sein müssen an die Konfliktsituation und die eigenen Handlungsmöglichkeiten.

Die benutzte Systematik lehnt sich an die Modelle von Johan Galtung und Wilhelm Kempf an. Galtung entwickelt vier große Ziele: Frieden / Konflikt, Wahrheit, Menschen und Lösung. Da ich Friedensjournalismus als zu bewältigende Aufgabe begreife, ergänze ich diese Orientierungen um die möglichen Wege zum Ziel. Friedfertigkeit führt zu Frieden, Wahrhaftigkeit, begriffen im Sinn der Diskursethik, ermöglicht eine Annäherung an Wahrheit, Empathie stellt Menschen in den Mittelpunkt, Kompromiss- und Gesprächsbereitschaft können zu einer Lösung führen. Diese Wege bestehen aus Aufgaben, die mit verschiedenen Strategien angegangen werden können.

Friedfertigkeit / Konfliktanalyse

Frieden ist ein ganzheitlicher Prozess, ein wesentliches Element ist eine konstruktive Auffassung von Konflikten. Wer bereit ist, Frieden als möglich anzusehen, dem öffnen sich neue Wege, einen Konflikt darzustellen. Dazu müssen Journalisten sich zunächst über ihren eigenen Standpunkt im Klaren sein. Sie sind gefangen in ihrer Kultur, ihre Entscheidungen sind vorgeprägt vom Mediensystem, ihre Informationen werden gefiltert von Eliten. Selbst wenn sie frei und uneingeschränkt berichten könnten, wäre ihre Nachricht stets nur eine mögliche Version der Geschichte. Dieses Dilemma müssen sie offen legen und daher für verschiedene, kulturelle Perspektiven einen Rahmen schaffen.

Damit öffnet sich der Blick auf eine komplexe Konfliktkonstellation, die allen Beteiligten die Chance auf einen für sie positiven Ausgang einräumt. Um einen Konflikt als eine solche kooperative Konstellation begreifen zu können, ist eine Analyse der beteiligten Parteien, ihrer Ziele und der angesprochenen Themen notwendig, Friedensjournalisten durchbrechen die dualistische Logik. „Im Verständnis einer Perspektivenübernahme sollte über die Motive, Stärken und Interessen beider Kriegsparteien und der Interessen der ggf. nicht direkt am Konflikt beteiligten Länder berichtet werden ...“

Gewalt hat nie nur eine Ursache, sie hat immer Wurzeln in der Geschichte. Gewalt wird nicht um ihrer selbst willen angewandt, verfeindete Parteien kämpfen um politische und wirtschaftliche Macht, Ethnie und Religion werden dabei häufig nur instrumentalisiert. Parallelen zu Mustern vergangener Konflikte können bei der Analyse helfen.

Eine friedensjournalistische Perspektive muss beachten, dass alle Parteien im Konflikt menschliche Züge tragen. Auch die vermeintlichen Feinde haben Emotionen, lassen sich nicht in einfache Stereotypen einordnen. Sprachlosigkeit ist ein gemeinsames Problem aller Parteien. Eine Aufgabe für Journalismus kann das Herstellen und Fördern der Kommunikation sein. Nicht nur die Parteien untereinander, auch die moderaten und radikalen Vertreter innerhalb einer Partei müssen sich austauschen. Medien können als Kommunikationskanal zwischen Parteien fungieren oder auch innerhalb einer Partei das Verständnis verbessern. Denn nicht ‚die Anderen‘ sind das Problem, vielmehr gilt es, die Gewalt zu überwinden. Kritische Friedensjournalisten stellen Gewalt nicht als angebrachtes Mittel der Konfliktlösung dar. Denn diese zerstört menschliches Zusammenleben und in ihrer extremsten Form ganze Gesellschaften. Deshalb ist ein weiteres Ziel die Verhinderung einer solchen Eskalation. Wer Konflikte einordnen kann, ist vielleicht auch in der Lage, ihre Eskalationsstufe zu analysieren und dem Ausbruch von Gewalt entgegenzuwirken.

Friedensjournalismus soll nicht heißen, dass Journalistinnen und Journalisten unkritisch für eine am Konflikt beteiligte Gruppe Partei ergreifen. Sie sollen vor allem für eine friedliche Lösung Partei ergreifen, über den Dingen stehen und dennoch emotional mitten im Geschehen.

Wahrhaftigkeit

Ein Journalist kann nie für sich beanspruchen, die Wahrheit zu berichten, aber er kann nach größtmöglicher Wahrhaftigkeit streben. In einem Konflikt hat keine Partei die Wahrheit auf ihrer Seite, auch die Opfer von Gewalt nicht. Jeder nutzt seine Vorteile in der Darstellung der Situation. Friedensjournalisten müssen diese Kriegskultur durchschauen und deshalb den Interpretationen von Eliten misstrauen, die nur ihnen genehme Informationen herausfiltern. Sie können tiefer liegende Interessen entlarven, indem sie das Plausible hinterfragen und sich auch gegen vorgefertigte Erwartungshaltungen durchsetzen und versteckte Interessen hinter den angeblichen aufdecken. Sonst laufen sie Gefahr, auf Kriegspropaganda hereinzufallen. Wichtig ist dabei das Hinterfragen der eigenen Position (Wie bewerte ich diesen Konflikt?), der eigenen Kultur (Wie rechtfertigt mein kultureller Hintergrund Gewalt?), des eigenen Landes (Genügen westliche Demokratien ihren eigenen Maßstäben?) und des eigenen Mediums (Welche Wirkung haben bestimmte Bilder, bestimmte Darstellungsformen?).

Empathie

Wenn Konflikte eskalieren, tun sich Menschen gegenseitig Gewalt an. Sie verletzen, sie zerstören. Diese Gewalt ist nicht abstrakt, sie vernichtet Leben, verursacht Leiden. Die Orientierung an menschlichen Empfindungen führt dazu, dass gewalttätiges Handeln an sich als das Problem in einem Konflikt entlarvt wird. Seine Wurzeln müssen erkannt werden, damit es in Zukunft vermieden werden kann. Wer versucht, im Angesicht von Gewalt sachlich zu bleiben, läuft Gefahr, in einen unmenschlichen Zynismus abzugleiten. Menschliche Betroffenheit ist – aus einer überparteilichen Perspektive entsprungen – ein Schlüssel zum besseren Verständnis einer Krise. Auf allen Seiten gibt es Gewalt und Opfer. Ebenso gibt es auf allen Seiten Menschen, die sich für eine friedlichere Zukunft einsetzen. Auch sie sollten ihren Platz in der Berichterstattung haben.

Lösung

Friedensjournalisten dürfen Konflikte nicht als Rennen um den Sieg verstehen. Sie müssen sich an einer Lösung des Konfliktes orientieren, möglichst durch ihre Themenauswahl und ihre Fragestellungen einen kreativen Prozess anstoßen. Sie können zum Beispiel über Friedensinitiativen berichten oder auch eine Konfliktpartei mit den Lösungsvorschlägen einer anderen konfrontieren. Die Suche nach Gemeinsamkeiten ist ein Schwerpunkt der Berichterstattung, dabei soll sie nicht unkritisch über Differenzen hinwegsehen, sondern diese genau analysieren. Am Ende muss die Erkenntnis stehen, dass alle Seiten von einer friedlichen Lösung profitieren würden. Viele Menschen, die am Konflikt beteiligt sind, haben also zumindest ein gemeinsames Interesse. Das macht Hoffnung auf die Möglichkeit eines Zusammenlebens und einer Verständigung – auch in interkulturellen Konflikten. Die heutige Welt scheint zunächst wenig friedlich – und doch sind einige Ansätze für eine neue Konfliktkultur vorhanden: Strategien der Konfliktforschung, die Tradition der Gewaltfreiheit und das weltweite Netz sozialen Engagements können Hinweise liefern. Hier muss sich ein Friedensjournalist auch fragen, welche Alternativen es zur Gewaltlastigkeit des eigenen Mediums gäbe.

Umsetzung: Ein journalistischer (Lern-)Prozess

Die Strukturen in Medienorganisationen schaffen Arbeitsbedingungen, die den gerade beschriebenen Anspruch nicht sonderlich begünstigen. Journalisten werden beeinflusst von Zeitmangel, Konkurrenzdenken und Kostendruck, um nur einige Faktoren zu nennen. Auch die Strukturen müssten sich also ändern, damit Reporter dem Konzept eines Friedensjournalismus gerecht werden können. Allerdings kann diese Änderung im System nicht die Voraussetzung sein, um friedensjournalistisch zu arbeiten. Innerhalb der vorhandenen Handlungsspielräume lassen sich durchaus einige der vorgestellten Strategien verwirklichen. Friedensjournalismus kann zunächst nur eine Aufforderung an jede einzelne Journalistin und jeden einzelnen Journalisten sein. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten prägt ihr individuelles Handeln Form und Inhalt der Berichterstattung. Sie entscheiden über die Weltbilder, die sie transportieren.

Für die friedensjournalistische Praxis lassen sich keine allgemein gültigen Aussagen treffen. Die Handlungsmöglichkeiten hängen von der Konfliktkonstellation ab und von der eigenen Position (z.B. privates Radio mit mangelnder Infrastruktur in Bürgerkriegsland oder öffentlich-rechtlicher Sender in westlichem Land). Grob lässt sich zwischen Berichten mit friedensjournalistischer Themenauswahl und friedensjournalistischer Analyse bzw. Darstellungsform unterscheiden: Originär friedensjournalistische Themen sind Friedensinitiativen, die Arbeit für Versöhnung und die Vorstellung von gewaltfreien Lösungsvorschlägen. Aber auch ohne Menschen als Friedensträger zu porträtieren, kann ein Bericht friedensjournalistische Ansätze aufgreifen, z.B. indem er Gewaltursachen mehrdimensional in Vergangenheit und Gegenwart nachspürt oder Leiden auf allen Seiten eines Konfliktes darstellt.

Strategien für die Praxis

Um die möglichen Herangehensweisen greifbarer zu machen, möchte ich mit Themenvorschlägen für einen speziellen Fall der Krisen- und Kriegsberichterstattung schließen. Aus der Perspektive einer deutschen Journalistin stelle ich Überlegungen zur kritisch-konstruktiven Berichterstattung in den verschiedenen Phasen einer so genannten „militärischen Intervention“ an: vor, während und nach dem Einsatz militärischer Gewalt. Als Anwendungsbeispiele sind der Kosovo-Krieg 1999, Afghanistan 2001 oder der Irak 2003 denkbar.

Vor Kriegsausbruch, während der Debatte über die mögliche Anwendung militärischer Gewalt, sollten die offiziell vorgebrachten Gründe hinterfragt und analysiert werden. Genauso muss nach den ungenannten Gründen gefragt werden, z.B. geostrategischen Ziele oder Bündnispolitik. Die Risiken und das zu erwartende Leiden müssen in den Berichten Raum finden. Zweifel und Alternativvorschläge, die in der Gesellschaft existieren, sollten gemäß der Forumsfunktion auch den Weg in die Medien finden. In einer umfassenden Konfliktanalyse können vergangene Erfahrungen mit Gewalt und deren Folgen für Mensch und Gesellschaft zur Einordnung dienen.

Nach dem Empathiegebot sollten Journalistinnen und Journalisten während eines Krieges das Leiden der Menschen beschreiben und greifbar machen. Auch Schäden der Umwelt und der Infrastruktur haben Auswirkungen auf die Lebenssituation der Menschen in Kriegsgebieten. Zum Gebot der Wahrhaftigkeit gehört in dieser Situation, über die Arbeitsbedingungen für Journalisten aufzuklären und dabei auf Informationsmonopole und mögliche Propagandaeffekte aufmerksam zu machen.

Erst in der Nachkriegsphase kann die Berichterstattung die Erfahrungen zu den vorgebrachten Gründen in Bezug setzen. Teilweise dauert es Jahre, bis alle Zusammenhänge aufgeklärt werden: die Anwendung von Propaganda und Manipulation durch die Kriegsparteien, die direkten und indirekten Folgen der Taten für Mensch und Umwelt. Diese Erfahrungen gilt es für den nächsten möglichen Gewalteinsatz zu bewahren. Gleichzeitig verschiebt sich der Fokus der Berichterstattung über diesen Konfliktherd zu den gesellschaftlichen Versöhnungsprozessen. Im Sinne der Lösungsorientierung muss die mühsame Aufbauarbeit Thema der Berichterstattung bleiben. Ein einzelner journalistischer Beitrag kann nicht alle Anforderungen auf einmal erfüllen, aber er kann seinen Teil zu einer differenzierteren Konflikt- und Lösungsanalyse beitragen, die den Diskurs über Krieg, Gewalt und Frieden in der Gesellschaft verbreitert.

* Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (Hrsg.), Projektleitung und Redaktion: Roithner Thomas: „Die Wiedergeburt Europas“. Von den Geburtswehen eines emanzipierten Europas und seinen Beziehungen zur „einsamen Supermacht“, 306 Seiten, Dialog 47 – Beiträge zur Friedensforschung, ISBN 3-89688-238-4, Agenda Verlag, Münster 2005, 306 Seiten, 24,80 Euro zuzüglich Porto.
Bestellungen: ÖSFK Wien, Tel. 01 - 79 69 959, e-mail: aspr.vie@aspr.ac.at



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