Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Auf die Erkenntnis von Karl Marx besinnen

Zehn große Konzerne haben die deutschen Zeitungen und Zeitschriften in der Hand – sie müssen dringend entflochten werden

Von Eckart Spoo *

Der Bundespräsident – es war noch Horst Köhler – kam zum Deutschen Presse-rat, hielt eine Rede und zitierte Karl Marx. Das hätte ich nicht erwartet. Wann immer ich über Pressefreiheit rede, zitiere ich Marx mit dem Satz, daß es die erste Freiheit der Presse ist, „kein Gewerbe zu sein“. Und nun hörte ich eben diesen Satz aus dem Munde des Bundespräsidenten, der ihn ohne jede Distanzie-rung den versammelten Verlegern und Journalisten zu bedenken gab. Aber in den Reihen der Zuhörer sah ich indigniertes Kopfschütteln und überhebliches Grinsen. Vielleicht dachten sie damals schon, daß dieser Präsident wegen Offen-legung von Wahrheiten sein Amt abgeben müsse.

Die Bundeskanzlerin kam kürzlich zum DuMont-Konzern: Neujahrsempfang. Im Hinblick auf die einige Monate zuvor gegründete DuMont-Redaktionsgemeinschaft in Berlin, die Zeitungen des Konzerns mit gleichlautenden Texten beliefert, sagte Angela Merkel, solche Gemeinschaften dürften nicht „dazu führen, daß alles einheitlich wird“. Sie forderte: „Bekennen Sie sich zur Vielfalt!“ Und sie äußerte sich „überzeugt, daß Demokratie und Vielfalt der politischen Meinungen auf der anderen Seite der Medaille eben auch die Vielfalt der Zeitungen, des Journalismus brauchen“. Aber ein solcher Appell, selbst aus dem Mund der Kanzlerin, wird den weiteren Abstieg der Medien von der Vielfalt zur Einfalt wohl nicht aufhalten.

Eine Anmerkung zu DuMont: Dieser Konzern, Monopolist in Köln, übernahm in Halle die ebenfalls konkurrenzlos erscheinende Freiheit (jetzt: Mitteldeutsche Zeitung), die Berliner Zeitung, den Berliner Kurier, die Hamburger Morgenpost, die Mehrheit der Anteile an der Frankfurter Rundschau und so weiter; auch in Israel ist er an einer Tageszeitung beteiligt. Er gehört zu den zehn Konzernen, die nach und nach die große Mehrheit der Kommerzmedien in Deutschland erobert haben. Neben Bertelsmann und Springer sind das beispielsweise auch Madsack (Hannoversche Allgemeine, Neue Presse, Göttinger Nachrichten, Oberhessische Presse, Leipziger Volkszeitung, Lübecker Nachrichten, Kieler Nachrichten, Ostsee-Zeitung, lauter regionale Monopolblätter) und der Verlag der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, der die Presse im ganzen Ruhrgebiet, die Braunschweiger Zeitung, drei der vier Zeitungen in Thüringen, die Hälfte der Anteile an der in Österreich dominierenden Kronenzeitung und große Teile der Presse in den Balkanstaaten als Beute des NATO-Kriegs gegen Jugoslawien okkupiert hat. Zumeist produzieren die Medienkonzerne neben Zeitungen auch Zeitschriften und Bücher, sind am Kommerzfunk beteiligt und übernehmen ein Internet-Portal nach dem anderen.

Man könnte annehmen, daß solche Konzerne, je größer sie werden, auch desto leistungsfähiger werden und die Qualität ihrer Produkte steigern. Das ist in den Medien nicht der Fall. Sie nutzen Synergieeffekte, wie sie sich mit den von Angela Merkel apostrophierten Redaktionsgemeinschaften erzielen lassen, lieber zur Erhöhung der Rendite, um weitere Eroberungen in aller Welt finanzieren zu können. In Polen kann Springer mit auflagenstarken Blättern wie Fakt Stimmung gegen Deutschland machen und in Deutschland vor allem mit Bild Stimmung gegen Polen, so wie Krupp einst im Krieg beide Seiten mit Waffen belieferte. Simpler Imperialismus. Dafür braucht man kein aufgeklärtes Volk. Auf Qualität, auf zuverlässige Information kommt es da am wenigsten an. Solche Stellen, wie ich früher eine hatte, nämlich als landespolitischer Korrespondent einer Tageszeitung mit festem, auskömmlichem Gehalt, gibt es kaum mehr. Zu teuer. Man kann – mit freundlicher Unterstützung von Pressestellen und PR-Agenturen – Zeitungen und auch Rundfunkprogramme sehr billig produzieren, mit sehr wenigen Journalisten. Und so schrumpfen die Redaktionen.

1967/68 habe ich an einem Buch mit dem Titel „Imperium Springer“ mitgearbeitet. Wir zeigten darin, wie der Springer-Konzern seine größer werdende publizistische Macht zur Irreführung der Öffentlichkeit, zur Hetze gegen alle Opposition von links mißbrauchte und längst schon zu einer Gefahr für die Demokratie geworden war. Vergleicht man den Springer-Konzern von damals mit dem von heute, erscheint der damalige klein und harmlos. Die Parole „Enteignet Springer!“ ist verstummt, aber sie ist immer richtiger und wichtiger geworden.

Publizistische Monopole gehören weder in die Hand des Staates noch in die des Großkapitals. Darin stimmten 1945 alle Antifaschisten überein. Je nach Besatzungszone erhielten entweder die Parteien Lizenzen für Zeitungen, die miteinander konkurrieren sollten (äußere Vielfalt), oder Journalisten unterschiedlicher Couleur sollten gemeinsam eine Zeitung machen (innere Vielfalt). Für die Pluralität der Rundfunkprogramme und die journalistische Unabhängigkeit sollten Aufsichtsgremien mit Vertretern aller wesentlichen gesellschaftlichen Interessen sorgen (öffentlich rechtlich).

Doch im Kalten Krieg wurden in Westdeutschland zunächst die Linken entfernt, dann, nach Gründung der BRD – ich übergehe die DDR, weil sie auf die heutige Medienwirklichkeit in Deutschland keinen Einfluß hat –, durften die Alt-Verleger, die Nazi-Propaganda verbreitet und daran profitiert hatten, auf den Markt zurückkehren, und die öffentlich-rechtlichen Anstalten gerieten unter die Vorherrschaft der großen Parteien, zudem erhob Springer die Forderung, auch die Verleger müßten Rundfunk veranstalten dürfen. In Bayern, wo ich damals lebte, gelang es mir, den Landesvorsitzenden des DGB für ein Volksbegehren zu gewinnen, das erfolgreich endete. Seitdem steht in der bayerischen Verfassung, daß Rundfunk nur in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft veranstaltet werden darf. Niemand scheint sich an dem krassen Widerspruch zu stoßen, der sich seitdem zwischen Verfassungstext und Wirklichkeit aufgetan hat. Jüngste Nachricht: Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger plädiert dafür, ARD und ZDF, die sich inhaltlich schon lange dem Niveau der Kommerzsender angenähert haben, zu privatisieren.

Ist gegen die Aneignung der Medien durch das Großkapital kein Kraut gewachsen? Müssen wir uns damit abfinden, daß die Konzernmedien alle Forderungen nach mehr Demokratie propagandistisch niedertrampeln, daß sie die Friedensbewegung diffamieren, den Gebrauch von Grundrechten (z.B. dem Streikrecht) kriminalisieren, Lügen verbreiten? Sie pflegen kühl darauf hinzuweisen, man könne sich doch beim Presserat beschweren. Aber bei diesem paritätisch aus Verleger- und Journalistenvertretern besetzten Gremium kann man allenfalls erreichen, daß nach einigen Wochen oder Monaten eine Rüge ausgesprochen wird, die im gerügten Blatt veröffentlicht werden soll. Dann hat die Lüge längst ihre Wirkung getan. Ich will nicht davon abraten, den Presserat anzurufen, dem ich selbst einige Jahre angehört habe, aber ich warne vor Illusionen. Nach dem „Pressekodex“, der Arbeitsgrundlage dieses Gremiums, soll die Presse zum Beispiel sittliche und religiöse Gefühle respektieren. Ich beantragte einen zusätzlichen Passus, wonach die Presse keine Angriffskriege propagieren darf. Abgelehnt. Alle Verleger und auch einzelne Journalisten im Presserat waren dagegen.

Die Gründung des Presserats war als Beruhigungspille gedacht, nachdem im Betriebsverfassungsgesetz festgelegt worden war, daß die Beschäftigten in „Tendenzbetrieben“ (vor allem in kirchlichen Einrichtungen und eben in Medienunternehmen) nicht einmal die kümmerlichen Mitbestimmungsrechte haben wie in einer Käse- oder Wurstfabrik. Beispiel: Wenn der Verleger Tendenzgründe geltend macht, kann er Journalisten ohne Einschaltung des Betriebsrats entlassen. Die Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion (DJU) in der IG Druck und Papier, dann IG Medien, jetzt ver.di, deren Vorsitzender ich 16 Jahre lang war, bemühte sich um eine tarifvertragliche Kompetenzabgrenzung zwischen Redaktion und Verlag. Unter anderem sollte vorgeschrieben werden, daß Journalisten nicht gezwungen werden dürfen, Texte wider besseres Wissen und Gewissen zu veröffentlichen, und daß ein Redakteursausschuß gewählt werden darf, der bei publizistischen Weichenstellungen wie etwa einem Wechsel im Amt des Chefredakteurs mitentscheidet. Die Verleger antworteten, solche Forderungen bedrohten ihre Pressefreiheit. Die Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt verhießen ein Presserechtsrahmengesetz zur Klarstellung, daß die Pressefreiheit nicht ein Privileg der Verleger, sondern ein Grundrecht aller ist, aber die sozialliberalen Regierungen brachten nicht einmal einen Entwurf für ein solches Gesetz zustande, das die „innere Pressefreiheit“ hätte gewährleisten sollen – und Helmut Schmidt nahm Anstoß an meinem „mokanten Lächeln“.

Was aber ergibt sich aus dieser Geschichte voller Enttäuschungen? Gerade nach all den Erfahrungen lautet meine Hauptthese: Keine Demokratie ohne Demokratisierung der Medien. Die zehn großen Verlagskonzerne, an deren Macht sich kein regierender oder demnächst regierenwollender Politiker herantraut, sind deswegen so mächtig, weil sie Interessen des gesamten Großkapitals vertreten, das ohne irreführende Propaganda um die Duldsamkeit des Volkes fürchten müßte. Wir sollten uns also auf den einleitend zitierten Satz von Marx besinnen. Wenn die erste Freiheit der Presse die ist, kein Gewerbe zu sein, muß die journalistische Aufgabe, die hauptsächlich darin besteht, zuverlässig zu informieren, bestehende Herrschaft zu kontrollieren, Interessen und Interessengegensätze zur Sprache zu bringen und öffentliche Debatten zu organisieren, vom Anzeigengeschäft getrennt werden. Große Medienkonzerne müssen entflochten werden, wie schon in den 1960er und 70er Jahren erwogen (Michel-Kommission, Günther-Kommission). Medienmonopole sind nur in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft zulässig. Die Aufsichtsgremien öffentlich-rechtlicher Medienanstalten müssen aus der Vorherrschaft der großen Parteien gelöst und mit Vertretern von Auszubildenden, Studierenden, Umweltschützern, Menschenrechtlern, Friedenskämpfern, Freidenkern, Migranten-Organisationen, Sozialverbänden und anderen gesellschaftlich relevanten Gruppen besetzt werden. Alle, die vom Grundrecht der Informations-, Meinungs-, Presse- oder Rundfunkfreiheit zum Beispiel in Zeitungsgenossenschaften oder Freien Radios Gebrauch machen, sollen, wenn nicht gefördert, dann jedenfalls nicht behindert werden. Zensur muß auch im Internet untersagt bleiben.

Notwendiger als alle einzelnen konkreten Forderungen ist es aber, daß eine Debatte in Gang kommt – auch damit wir uns die Methoden der Massenmanipulation klarmachen, um möglichst nicht mehr darauf hereinzufallen. Der jungen Welt kann ich zu ihrer Kampagne zu „zeigen wie sie lügen“ nur Glück und Erfolg wünschen. Ich bin sicher, daß viele Menschen, auch Konservative, auch Liberale, wütend werden können, wenn sie erkennen müssen, wie sie belogen werden.

* Eckart Spoo, Berlin; Herausgeber und Redakteur der Zeitschrift Ossietzky.
Von Eckart Spoo erscheint ein ausführlicher Beitrag zu diesem Thema im März in dem von Wolfgang Gehrcke herausgegebenen Buch „alle Verhältnisse umstürzen“ im PapyRossa-Verlag, Köln

Der vorliegende Beitrag erschien in der Medien-Beilage der "jungen Welt" vom 16. Februar 2011



Zurück zur Seite "Krieg und Medien"

Zurück zur Homepage