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Journalismus in Gefahr

In den USA, Großbritannien und auch in Deutschland wird die Pressefreiheit immer mehr von Geheimdiensten bedroht *

Journalisten sehen sich in den USA nach Angaben der Organisation »Reporter ohne Grenzen« immer stärkeren Behinderungen und Verdächtigungen ausgesetzt. In der am Mittwoch veröffentlichten Rangliste der Pressefreiheit rutschte das Land um 13 Plätze auf Rang 46 ab. »Selbst Staaten wie die USA und Großbritannien rücken investigative Journalisten und ihre Hinweisgeber mittlerweile in die Nähe des Terrorismus«, kritisierte der Vorstandssprecher der Organisa­tion, Michael Rediske, in Berlin.

Deutschland konnte drei Plätze gutmachen und landete auf Platz 14 von 180 untersuchten Staaten – u.a. hinter Neuseeland, Estland und Tschechien. Weltweit führend beim Schutz der Pressefreiheit sind nach Einschätzung von »Reporter ohne Grenzen« Finnland, die Niederlande und Norwegen. Schlußlichter sind wie seit Jahren Eritrea, Nordkorea und Turkmenistan.

»Daß Länder mit einer langen Tradition freier Medien in ähnliche Sicherheitsreflexe verfallen wie Diktaturen, ist unerträglich«, sagte Rediske. Gerade in den USA habe die staatliche Verfolgung investigativer Journalisten und ihrer Hinweisgeber aus den Sicherheitsbehörden ein nie gekanntes Ausmaß erreicht. Als Beispiel nannte die Organisation die Verhängung einer 35jährigen Haftstrafe gegen den WikiLeaks-Informanten Bradley Manning, der inzwischen den Namen Chelsea Manning trägt. Auch die Jagd auf den ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, der die NSA-Affäre ins Rollen brachte, solle Nachahmer offenkundig davon abschrecken, Journalisten brisante Informationen über ein Fehlverhalten von Regierung und Behörden zuzuspielen.

Großbritannien rutschte drei Plätze auf Platz 33 ab. »Reporter ohne Grenzen« warf dem Land vor, die Zeitung Guardian wegen ihrer NSA-Enthüllungen massiv unter Druck gesetzt und gezwungen zu haben, Festplatten zu vernichten. Kritik an Großbritannien kam auch von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). »Die dauernden Schuldzuweisungen und Angriffe auf den Guardian, seinen Chefredakteur und seine Journalisten durch führende Politiker sind nichts anderes als Schikane und Einschüchterung«, sagte die OSZE-Beauftragte für Pressefreiheit, Dunja Mijatovic, der Nachrichtenagentur Reuters. Das Recht zum Kampf gegen den Terror stehe nicht in Frage. »Aber Gesetze sollten niemals dazu genutzt werden, die Arbeit von Journalisten zu behindern und die freie Presse und das Recht auf freie Meinungsäußerung zu unterdrücken.«

Auch in Deutschland sei 2013 immer deutlicher geworden, wie sehr Journalisten von in- und ausländischen Sicherheitsbehörden kontrolliert würden, so »Reporter ohne Grenzen«. So seien Journalisten jahrelang durch den niedersächsischen Verfassungsschutz überwacht worden. Wiederholt hätten Ermittler Recherchematerial beschlagnahmt oder gezielt nach Medienkontakten geforscht. Durch Schließungen, Übernahmen und Zusammenlegungen von Medien sinke die Pressevielfalt weiter. Der Deutsche Journalisten Verband (DJV) erklärte dazu, die größte Bedrohung der Pressefreiheit gehe von den Geheimdiensten aus. »So ist nach wie vor ungeklärt, ob und in welchem Ausmaß deutsche Journalisten von NSA und (ihrem britischen Pendant) GCHQ überwacht werden«, hieß es im Blog des DJV.

Massiv verschlechtert hat sich laut »Reporter ohne Grenzen« die Situa­tion der Medien in Griechenland, das 14 Plätze auf Rang 99 abrutschte. Binnen fünf Jahren sei das unter der Schuldenkrise leidende Land um 50 Plätze zurückgefallen. Die Regierung hatte etwa den Staatssender ERT geschlossen. EU-Schlußlicht ist Bulgarien, das sich um zwölf Plätze auf Rang 100 verschlechterte. Bei regierungskritischen Demonstrationen seien Journalisten hier regelmäßig das Ziel von Polizeigewalt, bemängelte die Organisation.

In Syrien, das unverändert auf Platz 177 liegt, verschlechterte sich die Sicherheitslage für Journalisten laut »Reporter ohne Grenzen« weiter. Neben den Sicherheitskräften bedrohten dort dschihadistische Gruppen wie die Al-Nusra-Front und der »Islamischer Staat im Irak und in der Levante« (ISIL) Reporter. Sie hätten Anschläge auf Redaktionen verübt und verbreiteten mit Entführungen unter Journalisten ein Klima der Angst.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 13. Februar 2014


Bogotá liest mit

Kolumbiens Geheimdienst spioniert Journalisten aus. Auch junge Welt, dpa und Süddeutsche betroffen **

Der kolumbianische Militärgeheimdienst CITEC hat offenbar Tausende E-Mails von Journalisten abgefangen, die über die seit Herbst 2012 in Havanna laufenden Friedensverhandlungen zwischen der Regierung Kolumbiens und der FARC-Guerilla berichteten. Das enthüllte jetzt der US-amerikanische Fernsehsender Univisión. Zu den betroffenen Medien gehören demnach internationale Nachrichtenagenturen wie AFP, Prensa Latina, Reuters und AP, El Tiempo und Radio Caracol aus Kolumbien, die baskische Tageszeitung Gara und andere europäische Medien. Aus Deutschland wurden dpa, die Süddeutsche Zeitung und die junge Welt Ziel der Überwachung.

Schon in der vergangenen Woche hatte das kolumbianische Nachrichtenmagazin Semana über die Existenz eines Abhörzentrums der Armee berichtet, das sich, als einfaches Restaurant getarnt, mitten in der Hauptstadt Bogotá befinde. Dessen Aufgabe sei es gewesen, die Kommunikation der Mitglieder der Verhandlungsdelegationen in Havanna zu überwachen. Tatsächlich, so Univisión, seien den Spitzeln jedoch 2638 Nachrichten von Journalisten an die Verhandelnden und deren Antworten in die Finger geraten.

Als Reaktion auf die Enthüllungen durchsuchte die kolumbianische Staatsanwaltschaft die Zentrale der CITEC. Staatschef Juan Manuel Santos setzte zwar zwei hohe Offiziere des Geheimdienstes ab, verteidigte zugleich jedoch dessen Machenschaften als »vollkommen zulässig«.

Der in Frankreich lebende Journalist Hernando Calvo Ospina, der für junge Welt und andere europäische Zeitungen mehrere der in Havanna verhandelnden FARC-Comandantes interviewt hat, vermutet, daß auch die USA in den Abhörskandal verwickelt sind. Ohnehin sei Kolumbiens Regierungsdelegation in Havanna mit Minikameras ausgerüstet, die jedes Detail der Gespräche aufzeichneten, berichtete er am Dienstag dem spanischen Internetportal Rebelión. Diese Aufnahmen würden dann auf US-Stützpunkten ausgewertet.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 12. Februar 2014


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