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Politik der Angst schadet der Sicherheit und den Menschenrechten

amnesty international Deutschland legt Jahresbericht 2007 vor

amnesty international Deutschland
PRESSEMITTEILUNGEN

ai-Jahresbericht 2007:

Berlin, 23. Mai 2007 - Regierungen und bewaffnete Gruppen schüren gezielt Ängste und Sorgen, um den Menschenrechtsschutz herunterzuschrauben. Diese Politik der Angst hat sich 2006 verfestigt. Sie schafft eine gefährlich polarisierte Welt, sagte amnesty international (ai) anlässlich der Vorstellung des ai-Jahresberichts 2007. In Deutschland kritisiert ai die Behandlung von Flüchtlingen, insbesondere aus dem Irak.

"Angst ist eine treibende Kraft der Weltpolitik geworden", sagte Barbara Lochbihler, Generalsekretärin von ai Deutschland. "Viele Menschen haben berechtigte Furcht vor Anschlägen oder Überfällen. Doch wenn die Politik der Angst erfolgreich ist, verbreitet sich ein Denken der Spaltungen, in "Wir" und "die Anderen", in Christen und Moslems, in Araber und Europäer, in Arm und Reich."

Regierungen nutzten die Furcht vor Terrorismus, um Freiheitsrechte weltweit zugunsten einer verengten Sicherheitspolitik einzuschränken, stellte ai fest. Gleichzeitig bedrohten Sicherheitsrisiken wie Armut oder HIV/AIDS das Leben von Milliarden, ohne dass die internationale Gemeinschaft dagegen wirksam einschreite.

G 8-Gipfel/Afrika: "Der G 8-Gipfel in Heiligendamm wird sich daran messen lassen müssen, was er konkret für die Verbesserung der Lage in Afrika tut", sagte Lochbihler.

Darfur und die anderen zahlreichen bewaffneten Konflikte in Afrika werden nicht zuletzt durch unkontrollierten Waffenhandel befördert. "Die G 8 müssen sich zumindest darauf verständigen, dass das UN-Waffenembargo gegen Sudan eingehalten und Verstöße geahndet werden", sagte Lochbihler. "Die G 8 als die weltweit größten Waffenlieferanten müssen sich selbst in die Pflicht nehmen und aktiv an einem völkerrechtlich verbindlichen Waffenkontrollabkommen mitarbeiten", sagte Lochbihler.

Innerhalb Afrikas müssen die G 8 Menschenrechtsinstitutionen stärken. Als Beispiel nannte Lochbihler die Afrikanische Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker. "Die G 8-Staaten hatten hier bereits 2002 Unterstützung zugesagt. Jetzt ist es höchste Zeit, dass sie ihre Versprechen einlösen."

China: Ein Jahr vor den Olympischen Spielen ist China weit entfernt von der Zusage, dass die Spiele zur Verbesserung der Menschenrechtslage beitragen würden. "Menschenrechtsverteidiger sind staatlicher Repression besonders ausgesetzt", sagte Lochbihler. "Zahlreiche Menschen sind in China wegen der friedlichen Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung inhaftiert." Hunderttausende Menschen werden in "Umerziehungslagern" festgehalten. ai befürchtet, dass die Behörden auf dieses Mittel auch im Vorfeld der Spiele zur "Säuberung" Pekings zugreifen könnten. 150-200 Millionen chinesischer Wanderarbeiter sind rechtlich und sozial ausgegrenzt, leben und arbeiten unter menschenunwürdigen Bedingungen. Ein Großteil hat keinen Zugang zum Gesundheitssystem und staatlichen Bildungseinrichtungen.

Europa: Um "illegale Einwanderung" zu unterbinden, setzen sich europäische Staaten über die Rechte von Flüchtlingen und Migranten hinweg. Im verzweifelten Versuch, nach Europa zu gelangen, haben 2006 mehrere Tausend Menschen ihr Leben verloren, vor allem in den Meeren zwischen Afrika und Südeuropa. Die, die durchkamen, wurden oft abgewiesen, ohne die Chance zu erhalten, einen Asylantrag zu stellen.

In Europa wurde 2006 offenbar, dass eine Reihe von Staaten an der Praxis so genannter außerordentlicher Überstellungen beteiligt waren. Zahlreiche Menschen wurden rechtswidrig entführt, verschleppt und in Länder ausgeflogen, wo sie oft der Folter unterworfen wurden. Die EU muss erklären, wie sie dies zukünftig verhindern will.

Deutschland: Die Behandlung der Aktivitäten deutscher Behörden in der Bekämpfung des Terrorismus in Untersuchungsausschüssen hat gezeigt, dass die Bundesregierung an Aufklärung kein Interesse hat. Teilweise haben deutsche Beamte an Befragungen mitgewirkt, ohne auf die offenkundige Misshandlung und Folter des Befragten zu reagieren. "Wir brauchen eine stärkere menschenrechtliche Kontrolle der Geheimdienste, z.B. durch einen Menschenrechtsbeauftragten in der "Sicherheitsrunde" im Kanzleramt", sagte Lochbihler. "Die Geheimdienste müssen Richtlinien für ihre Arbeit erhalten, die unmissverständlich im Einklang mit den Erfordernissen des Menschenrechtsschutzes stehen."

Angesichts der katastrophalen Sicherheitslage und der alarmierenden humanitären Situation im Irak fordert amnesty international die Innenminister Deutschlands dringend auf, irakische Flüchtlinge aufzunehmen und einen Abschiebungsstopp für Iraker zu beschließen. "Die Widerrufsverfahren gegen irakische Flüchtlinge sind nach unserer Auffassung unzulässig, denn durch sie verlieren die Betroffenen ihren Anspruch auf einen legalen Aufenthaltstitel und müssen in menschenunwürdiger Kettenduldung leben", sagte Lochbihler.

Der ai-Jahresbericht 2007 behandelt 153 Länder. In 77 Ländern und Regionen hat ai im Jahr 2006 120 Ermittlungsreisen durchgeführt. Die Organisation veröffentlichte 2006 473 Informationspapiere und Berichte. Sie startete 330 Eilaktionen für gefährdete Personen sowie 121 Kampagnen und Aktionsprojekte.

Die deutsche Übersetzung des ai-Jahresberichts 2006 erscheint am 23. Mai im Fischer-Verlag. Sie hat 512 Seiten und kostet 14,90 Euro.

Informations- und Zahlenmaterial rund um den Jahresbericht 2007 und amnesty international finden Sie unter http://www.amnesty.de/presseinfo

Quelle: Pressemitteilung von amnesty international, 23. Mai 2007


ai-Jahresbericht 2007: Zahlen und Fakten

Die folgenden Zahlen und Fakten beleuchten die Situation in einigen der wichtigsten Tätigkeitsgebieten von amnesty international (ai) aus dem Jahr 2006:

Gewalt gegen Frauen
  • 185 Staaten haben das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau ratifiziert.
  • 62 Staaten haben Vorbehalte gegen einzelne Klauseln angebracht.
  • 9 Staaten haben nicht unterzeichnet.
  • 1 Staat – die USA – hat unterzeichnet, aber nicht ratifiziert.
Häusliche Gewalt
  • 1 von 3 Frauen erfährt in ihrem Leben sexuellen Missbrauch durch ihren Partner. Menschenhandel
  • 2 Millionen Menschen, meist Frauen und Mädchen, werden Opfer von Menschenhandel.
  • 137 Länder sind Ziel des Menschenhandels –meist in Westeuropa, Asien und Nordamerika.
  • Aus 127 Ländern stammen die Opfer – meist aus Zentral- und Osteuropa, Asien, Westafrika, Lateinamerika sowie aus der Karibik.
Frauen in bewaffneten Konflikten
  • 70% der Opfer von bewaffneten Konflikten waren Zivilisten, die meisten Frauen und Kinder.
  • Seit Ausbruch der Krise in Darfur 2003 wurden zehntausende Frauen und Mädchen Opfer von Vergewaltigungen oder anderen sexuellen Gewalttaten.
  • 0 Menschen sind amnesty international bekannt, die für die Verbrechen in Darfur zur Rechenschaft gezogen wurden.
Waffen unter Kontrolle
  • 1.250.000 Menschen nahmen an der Foto-Petition „Eine Million Gesichter“ teil und forderten schärfere Kontrollen für den Waffenhandel.
  • 153 Regierungen stimmten im Dezember in der UN-Generalversammlung zu, die Arbeiten für ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen zur Kontrolle des internationalen Handels mit konventionellen Rüstungsgütern aufzunehmen.
  • 24 Staaten enthielten sich.
  • 1 Staat – die USA – stimmte dagegen.
Handel
  • 22 Milliarden US$ werden von Ländern Asiens, des Nahen Ostens, Lateinamerikas und Afrikas im Durchschnitt jährlich für Waffen ausgegeben.
  • 22 Milliarden US$ hätten es diesen Ländern ermöglicht, jedem Kind den Schulbesuch zu sichern und die Sterblichkeitsrate von Kindern bis 2015 um zwei Drittel zu reduzieren.
  • Bei 85% der von ai registrierten Tötungen kamen Kleinwaffen zum Einsatz.
  • 60% der Schusswaffen weltweit befinden sich in Besitz von Privatleuten.
  • 2 Kugeln pro Kopf der Weltbevölkerung werden weltweit im Jahr produziert.
Todesstrafe*
  • Schätzungsweise 20.000 Menschen sitzen weltweit in Todestrakten.
  • 3.861 Menschen wurden in 55 Ländern zum Tode verurteilt.
  • 1.591** Gefangene in 25 Ländern wurden hingerichtet. Im Vorjahr waren es 2.148 Gefangene in 22 Ländern.
  • 128 Länder richten keine Menschen hin (sie haben die Todesstrafe gesetzlich oder in der Praxis abgeschafft).
  • 99 dieser Länder haben die Todesstrafe für alle gewöhnlichen Verbrechen abgeschafft – die Philippinen kamen 2006 als 99. Land dazu.
  • 91% aller bekannten Hinrichtungen fanden in 6 Ländern statt: China, Iran, Irak, Sudan, Pakistan und in den USA.
  • 69 Länder wenden die Todesstrafe noch immer an.
  • 65 Menschen wurden 2006 im Irak hingerichtet (2005: 3).
* Diese Zahlen basieren auf den amnesty international bekannt gewordenen Fällen, die tatsächlichen Zahlen liegen mit Sicherheit höher.
** Diese Zahl stammt aus der im April veröffentlichten amnesty international Statistik zur Todesstrafe 2007 und lag zum Druck des amnesty international Jahresberichts 2007 noch nicht vor.


Folter und Terror
  • 144 Staaten haben die UN-Antifolterkonvention ratifiziert (2005:141).
  • In 102 Staaten sind Menschen misshandelt und gefoltert worden (2005: 104).
Krieg gegen den Terror
  • 400 Gefangene aus mehr als 30 Staaten befanden sich Ende 2006 im US-Gefangenenlager Guantánamo.
  • 200 sind seit der Eröffnung des Lagers in den Hungerstreik getreten.
  • 40 haben in Guantánamo Selbstmord versucht; 3 starben nach Selbstmord im Juni 2006.
  • ?? Menschen werden in weiteren geheimen Gefangenenlagern weltweit festgehalten.
Internationale Gerichtsbarkeit*

Internationaler Strafgerichtshof
  • 104 Staaten haben das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshof ratifiziert.
  • 100 Staaten haben mit den USA bilaterale „Straflosigkeits-Abkommen“ geschlossen, die USamerikanische Staatsbürger vor etwaiger Strafverfolgung schützen sollen.
  • 6 Haftbefehle wurden erlassen.
  • Zu 3 Regionen wird ermittelt: dem Norden Ugandas; der Demokratischen Republik Kongo und zu Darfur/Sudan.
Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien
  • 161 Personen sind wegen humanitären Völkerrechtsverletzungen angeklagt.
Sondergerichtshof für Sierra Leone
  • 10 Personen stehen vor Gericht, darunter Ex-Diktator Charles Taylor, der im März 2006 an den Sondergerichtshof übergeben wurde.
  • Alle sie sind wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und humanitären Völkerrechtsverletzungen angeklagt. Alle Angeklagten haben ihre Unschuld beteuert.
Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda
  • 27 Schuldsprüche ergingen gegen 33 Personen.
* Aktualisierte Information beinhaltet den Zeitraum bis 1.Mai 2007.

Stand: Mai 2007

Quelle: Presseinformation von ai, 23. Mai 2007


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