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40 Jahre amnesty international

Daten und Fakten über die wohl wichtigste Menschenrechtsorganisation der Welt

Vom 28. Mai 1961 datiert die "Gründung" von amnesty international. In den 40 Jahren, die diese weltweit agierende Organisation zurückgelegt hat, entwickelte sie sich zur größten, manche sagen auch: einflussreichsten Menschenrechtsorganisation der Welt. In den westlichen Staaten wird ihre kritische Arbeit weitgehend anerkannt - jedenfalls soweit sich ihre Kritik auf Länder der "Dritten Welt" und - zu Zeiten des Kalten Kriegs - auf die Staaten des realen Sozialismus bezog. Die Kontakte der deutschen Sektion zur rot-grünen Bundesregierung sind nach Angaben der Generalsekretärin Barbara Lochbihler sehr gut. Es finden regelmäßige Treffen statt mit dem Außenministerium; auch Diplomaten, die sich über die Situation in fernen Ländern informieren wollen, nutzen die Quelle amnesty international (Barbara Lochbiehler in einem Hörfunkinterview am 26. Mai 2001, HR 1). Weniger gut sei allerdings die Zusammenarbeit mit dem Innenministerium. Wir wollen der Arbeit von ai unsere Reverenz erweisen, indem wir im Folgenden über ihren Werdegang und über den erreichten Stand ihrer Organisation berichten (wobei wir uns auf Informationen der Website von ai stützen) und zwei weitere Artikel folgen lassen, sie sich mit Einzelfragen befassen:


Wie alles anfing

Man schrieb das Jahr 1961, die U-Bahn in London war voll wie jeden Tag. Irgendwo saß oder stand Peter Benenson, Rechtsanwalt und Parlamentsabgeordneter, und las von der Verhaftung zweier Studenten. Die beiden Portugiesen hatten in einem Lokal in Lissabon auf die Freiheit angestoßen und waren von einem anderen Gast denunziert worden. Peter Benenson war empört. Vermutlich hatte er oft genug die Hilflosigkeit gespürt, die einen angesichts solcher Nachrichten überkommt, Aber Benenson handelte. Nur wenig später, am 28. Mai 1961, erschien in der britischen Sonntagszeitung "Observer" ein ganzseitiger Artikel mit dem Titel "Die vergessenen Gefangenen". "Sie können Ihre Zeitung an jedem x-beliebigen Tag der Woche aufschlagen", schrieb Benenson, "und sie werden in ihr einen Bericht über jemanden finden, der irgendwo auf der Welt gefangengenommen, gefoltert oder hingerichtet wird, weil seine Ansichten oder Religion seiner Regierung nicht gefallen...".

Angesehene Zeitungen in aller Welt, darunter "Le Monde", "International Herald Tribune" und "Corriere della Sera", druckten den Artikel nach, der zur Mitarbeit bei "Appeal for Amnesty" aufrief. Die Resonanz war überwältigend. In dem von Benenson eingerichteten Büro gingen viele tausend Briefe aus den verschiedensten Ländern der Welt ein. Bald war klar, daß "Appeal for Amnesty" nicht befristet sein konnte: Die Organisation "amnesty international" entstand.

Die erste Sektion, die auf dem ersten internationalen Treffen im Juli 1961 anerkannt wurde, war die bundesdeutsche. Kölner Journalisten - Carola Stern, Gerd Ruge und Felix Rexhausen - bildeten den ersten Vorstand der ebenfalls in Köln ins Vereinsregister eingetragenen Organisation.

Vier Jahrzehnte amnesty international - eine Chronologie
  • 28.5.1961
    Mit seinem Artikel "Die vergessenen Gefangenen", erschienen in der britischen Wochenzeitung "The Observer", legt der Londoner Rechtsanwalt Peter Benenson den Grundstein für amnesty international.
  • 28.7.1961
    Gründungsversammlung von "Amnestie-Appell" in Deutschland. Zu den ersten Vorstandsmitgliedern gehören neben anderen Carola Stern und Gerd Ruge.
  • 1962
    70 ai-Gruppen in sieben Ländern betreuen 210 politische Gefangene. Die Bewegung erhält den Namen "amnesty international". Die ersten ai-Delegationen besuchen Ghana, die Tschechoslowakei, Portugal und die DDR. Ein ai-Beobachter nimmt am Prozess gegen Nelson Mandela teil.
  • 1963
    In London wird ein Internationales Sekretariat etabliert.
  • 1964
    amnesty international erhält beratenden Status bei den Vereinten Nationen.
  • 1965
    amnesty international veröffentlicht erste Berichte zu Haftbedingungen. Geschildert wird die Situation in Portugal, Südafrika und Rumänien.
  • 1966
    Seit der Gründung der Organisation wurde die Freilassung von 1.000 politischen Gefangenen erreicht.
  • 1967
    Es gibt inzwischen 550 Gruppen in 18 Ländern.
  • 1968
    Auf ihrer sechsten internationalen Tagung erweitert die Organisation ihr Aufgabenfeld um die Bereiche Verbot der Folter und Schutz vor willkürlicher Festnahme.
  • 1969
    Seit 1961 wurden insgesamt 4.000 Gefangene von amnesty international betreut, 2.000 freigelassen.
  • 1970
    Es gibt inzwischen 850 Gruppen in 27 Ländern.
  • 1971
    Großes internationales Medienecho zum 10. Gründungstag der Organisation.
  • 1972
    amnesty international startet die erste Kampagne gegen Folter.
  • 1973
    Der erste "Urgent Action"-Appell erfolgt zu Gunsten des von brasilianischen Militärs festgenommenen Professors Luiz Basilio Rossi. Es ist die Geburtsstunde einer der erfolgreichsten Aktionsformen der Organisation. Die UNO-Vollversammlung verabschiedet eine von amnesty international angeregte Resolution zum Verbot der Folter.
  • 1974
    Zum Jahrestag des Militärputsches in Chile veröffentlicht amnesty international einen umfangreichen Bericht, in dem Verfolgung, Mord und Folter unter General Pinochet dokumentiert sind.
  • 1975
    Inzwischen gehören 1.592 Gruppen in 33 Ländern und über 70.000 Einzelmitglieder in 65 Ländern zur Organisation.
  • 1976
    In München dirigiert Leonard Bernstein ein Benefizkonzert zugunsten von amnesty international. In anderen Ländern finden Konzerte mit Peter Gabriel, Eric Clapton, Phil Collins und anderen Künstlern statt.
  • 1977
    amnesty international erhält den Friedensnobelpreis. In Bonn beginnt einer der längsten Zivilprozesse in der Geschichte der Bundesrepublik. Die in Chile ansässige deutsche Siedlung "Colonia Dignidad" klagt gegen den von amnesty international erhobenen Vorwurf, die Siedlung würde dem chilenischen Geheimdienst als Folterzentrum dienen. Die Klage wird 1997 abgewiesen. Zum bisher einzigen Mal findet eine Internationale Ratstagung von ai in Deutschland statt – in Bad Honnef.
  • 1978
    amnesty international erhält den UNO-Menschenrechtspreis.
  • 1979
    amnesty international publiziert eine Liste mit Namen von 2.665 Menschen, die nach dem Militärputsch in Argentinien "verschwunden" sind.
  • 1980
    amnesty international veröffentlicht ein Memorandum zu den "Haftbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland für Personen, die politisch motivierter Verbrechen verdächtigt werden: Isolation und Isolationshaft".
  • 1981
    Zum 20. Geburtstag der Organisation werden in London Tausende von Kerzen entzündet.
  • 1982
    Am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, fordert amnesty international die internationale Staatengemeinschaft auf, eine Generalamnestie für alle gewaltlosen politischen Gefangenen weltweit zu erlassen. Der Appell wird von eineinhalb Millionen Menschen unterzeichnet und ein Jahr später der UNO übergeben.
  • 1983
    amnesty international veröffentlicht einen Bericht über politische Morde, die von Regierungen angeordnet werden.
  • 1984
    Die Organisation startet ihre zweite Kampagne gegen Folter.
  • 1985
    Das Mandat von amnesty international wird um den Bereich Flüchtlinge erweitert. Inzwischen gibt es 3.433 Gruppen in 50 Ländern und über 500.000 Einzelmitglieder und Förderer.
  • 1986
    In den USA geben U2, Sting, Peter Gabriel, Bryan Adams, Lou Reed und andere Konzerte zu Gunsten von amnesty international.
  • 1987
    amnesty international veröffentlicht einen Bericht über die Todesstrafe in den USA, der nachweist, wie willkürlich und rassistisch sie verhängt wird.
  • 1988
    Zum 40-jährigen Jubiläum der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte veranstaltet amnesty international die Konzerttournee "Human Rights Now!". Sting, Tracy Chapman, Youssou N'Dour, Bruce Springsteen und Peter Gabriel touren sechs Wochen lang durch 15 Länder.
  • 1989
    Nach Erscheinen eines Berichts zur Menschenrechtssituation in der DDR verbreitet die amtliche Nachrichtenagentur ADN die Meldung: "Eine sich als Gefangenenhilfsorganisation amnesty international bezeichnende Gruppe, die in enger Verbindung zu westlichen Geheimdiensten steht, hat versucht, beim Europaparlament in Strassburg gefälschtes Material gegen die DDR in Umlauf zu bringen."
  • 1990
    Gründungsversammlung von amnesty international in der DDR. Es gibt inzwischen 700.000 Mitglieder in 150 Ländern und mehr als 6.000 Gruppen in 70 Ländern.
  • 1991
    Die Organisation beschließt auf ihrer Internationalen Ratstagung eine Erweiterung ihres Mandats. Nicht nur Menschenrechtsverletzungen durch Staaten sollen künftig angeprangert werden, sondern auch Verstöße durch bewaffnete Gruppen oder Geiselnehmer. Menschen, die auf Grund ihrer sexuellen Orientierung inhaftiert wurden, werden als gewaltlose politische Gefangene betrachtet.
  • 1992
    amnesty international hat 1 Million Mitglieder und Unterstützer.
  • 1993
    Auf der UNO-Menschenrechtskonferenz in Wien setzt sich amnesty international für die Schaffung eines Hochkommissariats für Menschenrechte ein. Ein Jahr später wird das Amt eingerichtet.
  • 1994
    amnesty international startet Kampagnen gegen das "Verschwindenlassen" und gegen politische Morde sowie für Frauenrechte.
  • 1995
    Deutschland ist zum ersten Mal Ziel einer "Urgent Action": Um die Abschiebung des Kurden Fariz Simsek in die Türkei zu verhindern, treffen im bayerischen Innenministerium körbeweise Appelle ein.
  • 1996
    amnesty international startet eine Kampagne zur Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs. 1998 greift die UNO den Vorschlag auf.
  • 1997
    Im Rahmen einer Kampagne zum Schutz von Flüchtlingen findet vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin eine Großkundgebung statt.
  • 1998
    In London wird General Pinochet festgenommen. Im Dezember findet in der Frankfurter Paulskirche ein Kongress mit rund tausend Teilnehmern statt. Zum 50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wird erstmals der Menschenrechtspreis der deutschen ai-Sektion vergeben.
  • 1999
    Die "Eurythmics" Annie Lennox und Dave Stewart treten nach zehnjähriger Pause wieder zusammen auf und gehen für amnesty international und Greenpeace auf Welttournee.
  • 2000
    amnesty international startet die dritte Kampagne gegen Folter.
  • 28. Mai 2001
    amnesty international begeht den 40. Geburtstag. Eine Festveranstaltung der deutschen Sektion findet am 27. Mai in Hamburg statt.

    Zahlen und Fakten

    amnesty international zählt mehr als eine Million Mitglieder und Unterstützer in über 140 Staaten. In 55 Ländern garantieren Sektionen eine kontinuierliche Menschenrechtsarbeit.

    Die internationale Organisation wird von einem neunköpfigen ehrenamtlichen Vorstand geführt. Das Internationale Sekretariat hat seinen Sitz in London. Dort arbeiten mehr als 320 hauptamtliche sowie 100 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus über 50 Staaten. Generalsekretär von amnesty international ist seit 1992 der Senegalese Pierre Sané.

    Die deutsche Sektion zählt mehr als 40.000 Mitglieder und Förderer. 529 regionale ai-Gruppen, 86 Länderkoordinationsgruppen, 17 Arbeitskreise sowie 40 Asyl- und 95 Jugendgruppen sind im Bundesgebiet tätig. Sie arbeiten unter anderem für mehr als 500 langfristig angelegte Fallakten politischer Gefangener und anderer Opfer von Menschenrechtsverletztungen, beteiligen sich an ai-Kampagnen oder an Eilaktionen. Der amtierende Vorstandssprecher ist Kajetan von Eckardstein, Generalsekretärin ist Barbara Lochbihler.

    Im vergangenen Jahr startete amnesty international 828 Eilaktionen ("Urgent Actions") zu Gunsten von Menschen in 85 Ländern. Mehr als 100.000 Menschen in über 90 Ländern beteiligen sich regelmäßig an diesem "Frühwarnsystem" gegen Menschenrechtsverletzungen. Für die Recherche von Menschenrechtsverletzungen sowie zur Beobachtung von Prozessen und zu Gesprächen mit Regierungsvertretern entsendet ai jedes Jahr über hundert Delegationen in zahlreiche Staaten. 114 Länder- und Themenberichte, die im vergangenen Jahr erschienen, behandeln Menschenrechtsverletzungen in 49 Staaten. Der Ende Mai erscheinende Jahresbericht 2001 wird Menschenrechtsverletzungen in 149 Staaten dokumentieren.

    Die Arbeit der Organisation zu Gunsten politischer Gefangener, gegen Todesstrafe, Folter, politischen Mord und das "Verschwindenlassen" wird durch Spenden und Beiträge von Mitgliedern und Förderern ermöglicht. Regierungsgelder lehnt amnesty international weltweit aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Der größte Teil der Mittel wird für die Recherche von Menschenrechtsverletzungen benötigt. Das Budget des Internationalen Sekretariats in London beläuft sich auf umgerechnet rund 60 Millionen Mark, die von den nationalen ai-Strukturen aufgebracht werden. Die deutsche Sektion verfügte im vergangenen Jahr über einen Haushalt von rund 14 Millionen Mark.

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