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Arabische Charta der Menschenrechte

Verabschiedet vom Rat der Liga der arabischen Staaten am 15. September 1994

Vor zehn Jahren haben die arabischen Staaten eine Charta der Menschenrechte verabschiedet, die sich sehr stark an die allgemeine Erklärung der Menschenrechte anlehnt, aber auch eine Reihe Besonderheiten aufweist. Wir dokumentieren diese Erklärung anlässlich des kleinen Jubiläums ihrer Existenz, aber auch weil wir wissen, dass sie in der "westlichen Welt" weitgehend unbekannt geblieben ist.

Arabische Charta der Menschenrechte

verabschiedet vom Rat der Liga der arabischen Staaten am 15. September 1994

Die Regierungen der Mitgliedstaaten der Liga der arabischen Staaten,

Präambel

ausgehend vom Glauben der arabischen Nation an die menschliche Würde, seit Gott die arabische Heimat auszeichnete, indem er sie zur Wiege der Religionen und Heimstätte der Kulturen machte, wodurch ihr Recht auf ein würdevolles Leben auf der Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens bekräftigt wurde,

in Verwirklichung der unvergänglichen Grundsätze der Brüderlichkeit und der Gleichheit aller Menschen, die in der islamischen Scharia und in den anderen Religionen der göttlichen Offenbarung festgeschrieben sind,

erfüllt von Stolz über die im Laufe ihrer langen Geschichte fest verankerten menschlichen Werte und Grundsätze, die in bedeutendem Maße zur Vermittlung des Wissens zwischen Orient und Okzident beigetragen haben, was sie zum Zielpunkt der Menschen und des Strebens nach Wissen, Kultur und Weisheit werden ließ,

im Hinblick auf das gemeinsame Wirken der gesamten arabischen Welt für die Bewahrung ihres Glaubens, den Glauben an ihre Einigkeit, den Kampf für ihre Freiheit, die Verteidigung des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung und auf den Schutz ihrer Ressourcen, den Glauben an die Herrschaft des Rechts sowie den Glauben daran, dass Freiheit, Gerechtigkeit und Chancengleichheit der Menschen den Maßstab bilden, an dem eine jede Gesellschaft zu messen ist,

unter Ablehnung des Rassismus und des Zionismus, die gegen die Menschenrechte verstoßen und eine Bedrohung des Weltfriedens darstellen,

in Anerkennung der engen Beziehung zwischen den Menschenrechten und dem Weltfrieden,

in Bekräftigung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Bestimmungen der Internationalen Pakte der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie der Kairoer Erklärung über Menschenrechte im Islam,

in Bestätigung alles dessen, sind wie folgt übereingekommen:

Teil I

Artikel 1

a) alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung und die freie Verfügung über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihre politische Ordnung und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.

b) Rassismus, Zionismus, Besetzung und Fremdherrschaft sind eine Herausforderung der Menschenwürde und bilden ein grundlegendes Hindernis für die Verwirklichung der grundlegenden Rechte der Völker. Alle derartigen Praktiken sind zu verurteilen und nach Kräften zu beseitigen.

Teil II

Artikel 2

Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, das Recht auf den Genuss aller in dieser Charta verkündeten Rechte und Freiheiten allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Menschen zu gewährleisten, ohne Diskriminierung hinsichtlich der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status sowie ohne Unterschied zwischen Mann und Frau.

Artikel 3

a) Die in einem Vertragsstaat durch Gesetze, Übereinkommen oder durch Gewohnheitsrecht anerkannten oder bestehenden grundlegenden Menschenrechte dürfen nicht unter dem Vorwand beschränkt oder außer Kraft gesetzt werden, dass diese Charta derartige Rechte nicht oder nur in einem geringeren Ausmaß anerkenne.

b) Kein Vertragsstaat darf die in dieser Charta niedergelegten Grundfreiheiten außer Kraft setzen, die die Angehörigen eines anderen Staates genießen, der diese Freiheiten in einem geringeren Ausmaß gewährt.

Artikel 4

a) Die in dieser Charta gewährleisteten Rechte und Freiheiten dürfen nur eingeschränkt werden, wenn dies gesetzlich vorgesehen und zum Schutz der nationalen Sicherheit und der Volkswirtschaft, der öffentlichen Ordnung ( ordre public ), der Volksgesundheit, der Sittlichkeit oder der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

b) Im Falle eines öffentlichen Notstandes, der das Leben der Nation bedroht, können die Vertragsstaaten Maßnahmen ergreifen, die ihre Verpflichtungen aus dieser Charta in dem Umfang, den die Lage unbedingt erfordert, außer Kraft setzen.

c) Unter keinen Umständen dürfen jedoch die Rechte und besonderen Garantien betreffend das Verbot der Folter und der erniedrigenden Behandlung, das Recht auf Rückkehr in das eigene Land, das politische Asyl, das gerichtliche Verfahren, das Verbot der mehrfachen Strafverfolgung wegen derselben Tat oder die gesetzliche Festlegung von Straftaten und Strafmaß Beschränkungen unterworfen oder außer Kraft gesetzt werden.

Artikel 5

Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person. Diese Rechte sind gesetzlich zu schützen.

Artikel 6

Eine Tat ist nur dann eine Straftat und darf nur dann bestraft werden, wenn dies gesetzlich bestimmt ist; eine vor Erlass einer gesetzlichen Strafbestimmung begangene Tat darf nicht bestraft werden. Nachträglich erlassene Gesetze, die für den Angeklagten günstiger sind, kommen diesem zugute.

Artikel 7

Jeder Angeklagte gilt als unschuldig, bis seine Schuld in einem Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung notwendigen Garantien gewährleistet sind, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.

Artikel 8

Jeder Mensch hat ein Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit. Niemand darf ohne gesetzliche Grundlage festgenommen oder in Haft gehalten werden. Jeder, der festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, muss unverzüglich einem Richter vorgeführt werden.

Artikel 9

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Jeder im Hoheitsgebiet des Staates hat einen Anspruch darauf, dass seine Sache von einem Gericht gehört wird.

Artikel 10

Die Todesstrafe darf nur für schwerste Verbrechen verhängt werden. Jeder zum Tode Verurteilte hat das Recht, um Begnadigung oder Umwandlung der Strafe zu bitten.

Artikel 11

Unter keinen Umständen darf die Todesstrafe für eine politische Straftat verhängt werden.

Artikel 12

Die Todesstrafe darf an Personen unter 18 Jahren, an schwangeren Frauen bis zur Entbindung oder an stillenden Müttern während der ersten beiden Jahre nach der Geburt ihres Kindes nicht vollstreckt werden.

Artikel 13

a) Die Vertragsstaaten schützen jede Person in ihrem Hoheitsgebiet vor der Unterwerfung unter körperliche oder seelische Folter oder grausame, unmenschliche, erniedrigende oder unwürdige Behandlung und ergreifen wirksame Maßnahmen, um dies zu verhindern. Derartige Handlungen oder die Teilnahme daran sind als strafbare Handlungen anzusehen. b) Niemand darf ohne seine freiwillige Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen unterworfen werden.

Artikel 14

Niemand darf nur deswegen in Haft genommen werden, weil er nicht in der Lage ist, eine Schuld zu begleichen oder eine zivilrechtliche Verpflichtung zu erfüllen.

Artikel 15

Jeder, dem seine Freiheit auf Grund eines Urteils entzogen ist, muss menschlich behandelt werden.

Artikel 16

Niemand darf zweimal wegen derselben Straftat vor Gericht gestellt werden. Jeder, gegen den derartige Maßnahmen ergriffen werden, kann ihre Rechtmäßigkeit bestreiten und seine Freilassung verlangen. Jeder, der unrechtmäßig festgenommen oder in Haft gehalten worden ist, hat einen Anspruch auf Entschädigung.

Artikel 17

Das Privatleben ist unverletzlich. Jeder Eingriff in das Privatleben ist eine strafbare Handlung. Zum Privatleben gehören die Familienangelegenheiten, die Unverletzlichkeit der Wohnung und die Vertraulichkeit des Briefwechsels und anderer privater Kommunikationsmittel.

Artikel 18

Jeder hat das angeborene Recht, überall als rechtsfähig anerkannt zu werden.

Artikel 19

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Jeder volljährige Staatsbürger hat das Recht auf politische Teilhabe, das er im Rahmen der Gesetze ausübt.

Artikel 20

Jeder Person mit Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Staates hat im Rahmen der Gesetze das Recht, sich in jedem Teil des Hoheitsgebiets frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen.

Artikel 21

Kein Staatsbürger darf willkürlich oder widerrechtlich daran gehindert werden, einen arabischen Staat, einschließlich des eigenen, zu verlassen. Keinem Staatsbürger darf der Aufenthalt in einem bestimmten Teil seines Landes untersagt noch der Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet vorgeschrieben werden.

Artikel 22

Kein Staatsbürger darf aus seinem Heimatland ausgewiesen oder daran gehindert werden, dorthin zurückzukehren.

Artikel 23

Jeder Staatsbürger hat das Recht, vor Verfolgung in einem anderen Land politisches Asyl zu suchen. Personen, die wegen gemeiner Straftaten verfolgt wurden, steht dieses Recht nicht zu. Politische Flüchtlinge dürfen nicht ausgeliefert werden.

Artikel 24

Keinem Staatsbürger darf willkürlich seine Staatsangehörigkeit entzogen werden, noch darf ihm ohne gesetzliche Grundlage das Recht versagt werden, eine andere Staatsangehörigkeit anzunehmen.

Artikel 25

Jedem Staatsbürger wird das Recht auf Privateigentum gewährleistet. Unter keinen Umständen darf einem Staatsbürger willkürlich oder widerrechtlich ganz oder teilweise sein Eigentum entzogen werden.

Artikel 26

Jeder hat das Recht auf Religions-, Gedanken- und Meinungsfreiheit.

Artikel 27

Die Anhänger einer jeden Religion haben das Recht, ihre religiösen Bräuche auszuüben und ihre Überzeugungen durch Gottesdienst, Ausübung und Unterricht zu bekunden, sofern dadurch die Rechte anderer nicht verletzt werden. Die Ausübung der Religions-, Gedanken- und Meinungsfreiheit darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden.

Artikel 28

Alle Staatsbürger haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und zu Vereinigungen zusammenzuschließen. Die Ausübung dieses Rechts darf nur den Einschränkungen unterworfen werden, die im Interesse der nationalen oder der öffentlichen Sicherheit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

Artikel 29

Der Staat gewährleistet im Rahmen der geltenden Gesetze das Recht, Gewerkschaften zu bilden und zu streiken.

Artikel 30

Der Staat gewährleistet jedem Bürger das Recht auf Arbeit, die ihm einen zur Erfüllung der Grundbedürfnisse ausreichenden Lebensstandard sichert. Darüber hinaus gewährleistet der Staat jedem Bürger ein Recht auf umfassende soziale Sicherheit.

Artikel 31

Die freie Wahl des Arbeitsplatzes wird gewährleistet. Zwangsarbeit ist verboten. Als Zwangsarbeit gilt nicht, wenn eine Person auf Grund eines Gerichtsurteils zur Verrichtung von Arbeiten gezwungen wird.

Artikel 32

Der Staat gewährleistet den Bürgern Chancengleichheit bei der Arbeit sowie einen angemessenen Lohn und gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit.

Artikel 33

Jeder Bürger hat das Recht auf Zugang zu öffentlichen Ämtern seines Landes.

Artikel 34

Die Beseitigung des Analphabetentums ist eine bindende Verpflichtung. Jeder Staatsbürger hat ein Recht auf Bildung. Zumindest der Grundschulunterricht muss obligatorisch und unentgeltlich sein. Die Ausbildung an weiterführenden Schulen und Hochschulen hat für alle leicht zugänglich zu sein.

Artikel 35

Die Bürger haben das Recht, in einem geistigen und kulturellen Umfeld zu leben, das vom Stolz des arabischen Nationalgefühls erfüllt ist, in dem die Menschenrechte heilig sind, in dem Diskriminierung auf Grund der Rasse, der Religion oder aus anderen Gründen abgelehnt wird und in dem die internationale Zusammenarbeit und die Sache des Weltfriedens unterstützt werden.

Artikel 36

Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben teilzunehmen, sowie das Recht, sich an den Werken der Literatur und der Kunst zu erfreuen und Gelegenheit zu erhalten, seine künstlerischen, geistigen und schöpferischen Begabungen zu entfalten.

Artikel 37

Minderheiten darf nicht das Recht vorenthalten werden, ihre Kultur zu genießen oder die Lehren ihrer Religion zu befolgen.

Artikel 38

a) Die Familie ist die Grundeinheit der Gesellschaft und genießt ihren Schutz.

b) Der Staat gewährleistet, dass die Familie, Mütter, Kinder und ältere Menschen besondere Fürsorge und besonderen Schutz genießen.

Artikel 39

Junge Menschen haben einen Anspruch darauf, umfassendste Möglichkeiten für ihre körperliche und geistige Entwicklung zu erhalten.

Teil III

Artikel 40

a) Die Mitgliedstaaten des Rates der Liga, die Vertragsparteien dieser Charta sind, wählen in geheimer Wahl einen Sachverständigenausschuss für Menschenrechte.

b) Der Ausschuss besteht aus sieben Personen, die von den Vertragsstaaten benannt werden. Die ersten Wahlen zum Ausschuss finden sechs Monate nach dem Inkrafttreten der Charta statt. Dem Ausschuss darf nicht mehr als ein Angehöriger desselben Staates angehören.

c) Der Generalsekretär fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre Kandidaten zwei Monate vor dem Wahltermin zu benennen.

d) Die Kandidaten müssen über ausgezeichnete Erfahrungen und Sachkenntnis in dem Tätigkeitsbereich des Ausschusses verfügen und sind in ihrer persönlichen Eigenschaft und in völliger Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit tätig.

e) Die Mitglieder des Ausschusses werden für eine Amtszeit von drei Jahren gewählt. Drei Mitglieder, deren Namen durch Los ermittelt werden, können für nur eine weitere Amtszeit wiedergewählt werden. Der Grundsatz des turnusmäßigen Wechsels ist so weit wie möglich zu beachten.

f) Der Ausschuss wählt seinen Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung, mit der er die Art und Weise seines Tätigwerdens festlegt.

g) Die Tagungen des Ausschusses werden vom Generalsekretär am Sitz des Sekretariats der Liga einberufen. Mit Zustimmung des Generalsekretärs kann der Ausschuss auch in einem anderen arabischen Land zusammentreten, wenn die Erfordernisse seiner Arbeit dies notwendig machen.

Artikel 41

1. Die Vertragsstaaten werden dem Sachverständigenausschuss für Menschenrechte Berichte wie folgt vorlegen:

a) den ersten Bericht ein Jahr nach dem Inkrafttreten der Charta;
b) regelmäßige Berichte alle drei Jahre;
c) Berichte mit den Antworten der Staaten zu den Fragen des Ausschusses.

2. Der Ausschuss prüft die Berichte, die von den Vertragsstaaten nach Ziffer 1 vorgelegt werden.

3. Der Ausschuss legt dem Ständigen Ausschuss der Arabischen Liga für Menschenrechte einen Bericht vor, dem die Auffassungen und Stellungnahmen der Staaten beigefügt sind.

Teil IV

Artike1 42

a) Der Generalsekretär der Liga der arabischen Staaten legt diese Charta nach ihrer Annahme durch den Rat der Liga den Mitgliedstaaten zur Unterzeichnung und Ratifikation beziehungsweise zum Beitritt vor.

b) Diese Charta tritt zwei Monate nach Hinterlegung der siebenten Ratifikations- oder Beitrittsurkunde beim Generalsekretariat der Liga der arabischen Staaten in Kraft.

Artike1 43

Nach ihrem Inkrafttreten wird diese Charta für jeden Staat zwei Monate nach Hinterlegung seiner Ratifikations- oder Beitrittsurkunde beim Generalsekretariat verbindlich. Der Generalsekretär unterrichtet die Mitgliedstaaten von der Hinterlegung jeder Ratifikations- oder Beitrittsurkunde.

* Übersetzung aus dem Arabischen: Deutscher Übersetzungsdienst der Vereinten Nationen, New York, Januar 2003.

Quelle: Homepage der Vereinten Nationen, http://www.un.org/Depts/german/menschenrechte/arab.


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