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Zwischen Recht und CIA

Allmählich lüftet sich der Schleier über einer Kumpanei, die offensichtlich nicht nur zwischen zwei befreundeten Geheimdiensten abgelaufen ist.

Von Norman Paech*

So wenig Informationen US-Außenministerin Condoleezza Rice auch herausgibt, so lässt ihre Versicherung, dass weder US-amerikanisches Recht noch die Souveränität eines europäischen Staates verletzt worden seien, doch den einen Schluss zu: Es hat die Flüge gegeben und es war kein harmloser »Gefangenentourismus«, der da über deutsche Stützpunkte abgewickelt wurde. Glauben wir zudem den Mitgliedern der alten Bundesregierung noch – was die Äußerungen von Frau Rice allerdings nicht nahe legen –, dass sie von den Flügen nichts gewusst haben, so bleibt doch die Frage, wie das mit dem Recht und der Souveränität des Gastlandes bei der Nutzung der Stützpunkte aussieht.

Erst seit 1994 bedürfen US-Streitkräfte der Genehmigung der Bundesregierung, wenn sie mit Land-, Wasser- oder Luftstreitkräften nach Deutschland »einreisen oder sich in und über dem Bundesgebiet bewegen« – wie es in Art. 57 Abs. 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut heißt. Allerdings entbindet das Abkommen dann die Streitkräfte von eben jener Genehmigungspflicht, wenn sie im Rahmen der NATO unterwegs sind. Flugzeuge hingegen, die ohne NATO-Auftrag aus den USA auf ihrem Weg nach Osteuropa oder in den Nahen und Mittleren Osten den deutschen Luftraum benutzen und zwischenlanden, müssen nach allgemeinem Völkerrecht um eine Genehmigung bei der Regierung des Gastlandes nachsuchen.

Lange Zeit waren diese Vorschriften kaum politisch relevant. Bis sich das Bundesverwaltungsgericht im Juni dieses Jahres mit einem Bundeswehr-Major beschäftigen musste, der sich wegen der Unterstützung der Bundeswehr für US-Truppen im Irakkrieg geweigert hatte, an einer Logistiksoftware zu arbeiten. Das Gericht sah in dem Krieg nicht nur einen eindeutigen Verstoß gegen das Gewaltverbot des Art. 2 der UNO-Charta, es beurteilte auch die deutsche Beihilfe zu dem Völkerrechtsverbrechen als eben solch ein Verbrechen – und sprach dem Major das Recht zu, den Dienst zu verweigern. Das hieß auch, dass in den völkerrechtswidrigen Aktivitäten zugleich ein grober Missbrauch von NATO-Vertrag, Truppenstatut und Zusatzabkommen lag.

Bei den nun bekannt gewordenen Gefangentransporten hätten die Flugzeuge der CIA nur dann keine Genehmigung für ihre Flüge und Landungen benötigt, wenn sie zu den NATO-Kontingenten gehörten oder Aufgaben im Rahmen oder im Auftrag der NATO ausgeführt hätten. Nur dann können die amerikanischen Truppen auf ihren Basen tatsächlich machen, was sie wollen, beziehungsweise »die zur Erfüllung ihrer Verteidigungsaufgaben erforderlichen Maßnahmen treffen«, wie es in Art. 53 des Zusatzabkommens heißt. Und Abs. 2 fügt hinzu, dass dies »entsprechend für Maßnahmen im Luftraum über den Liegenschaften« gilt.

Auf diesen NATO-Rahmen zielt offensichtlich die US-Außenministerin, wenn sie die Flüge in den gemeinsamen Anti-Terrorkampf einreiht. »Enduring Freedom« also nicht nur am Hindukusch, sondern auch am Main und in der Pfalz? Kann man die Verladung des Ägypters Nasr Osama Mustafa Hass, der im Februar 2003 von CIA-Agenten in Mailand gekidnappt worden war und über Ramstein nach Kairo geflogen wurde, einfach der NATO unterschieben?

Abgesehen davon, dass die NATO selbst weder Straftaten wie die Entführung noch Menschenrechtsverletzungen wie die Beihilfe zur Folter begehen darf, bleibt die Frage, was alles durch den Anti-Terrorkampf abgedeckt werden kann. Was hat die NATO mit den CIA-Flügen zu tun? Bisher ist aus Brüssel noch kein »Bekennerschreiben« gekommen. »Enduring Freedom« steht ohnehin nicht unter dem Kommando der NATO, sondern wird allein vom »US Central Command« im Rahmen einer Ad-hoc-Koalition gesteuert, der eben auch jene Folterländer angehören, die offenbar mit den geheimen CIA-Flügen angesteuert wurden.

Was immer diese Flugzeuge in geheimer Mission auch transportierten, es waren keine NATO-Flüge und hätten einer Genehmigung durch deutsche Behörden bedurft – die diese immer noch abstreiten. Selbst bei harmloser Fracht wäre jeder der mittlerweile 437 identifizierten Flüge eine Verletzung des Zusatzabkommens gewesen.

Die behaupteten Sonderrechte der USA reichen auf jeden Fall nicht weiter, als in dem Zusatzabkommen zwischen den beiden Staaten vereinbart. Dessen Artikel 53 Absatz 3 soll dabei sicherstellen, dass die deutschen Behörden »die zur Wahrnehmung deutscher Belange erforderlichen Maßnahmen« in und über den Stützpunkten ergreifen können. Die Verhinderung des Missbrauchs der Stützpunkte zu völkerrechtswidrigen Akten muss zweifelsfrei dazugehören.

Wie man die Angelegenheit auch dreht und wendet, ob mit oder ohne entführte Gefangene, mit oder ohne deutsches Wissen, hier öffnet sich ein Abgrund des Rechtsbruchs. Sollte es sich tatsächlich um Transporte in Richtung Folterkeller gehandelt haben, läge ein massiver Missbrauch des Zusatzabkommens durch schwere Menschen- und Völkerrechtsverletzungen vor. Hätte die Bundesregierung irgendwie davon Kenntnis gehabt, hätte sie sich durch Unterlassen der gleichen Verbrechen schuldig gemacht. Und so drängt sich die Frage auf, ob das Stationierungsabkommen nicht längst reif für eine Kündigung ist, um jedem weiteren Missbrauch – ob mit oder ohne deutsche Unterstützung – den Boden zu entziehen.

* Prof. Dr. Norman Paech, Hamburg, lehrte Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg; Seit 2005 Mitglied des Bundestags; in der Linkspartei-Bundestagsfraktion Sprecher für Außenpolitik

Der Beitrag erschien am 9. Dezember 2005 im "Neuen Deutschland"

Quelle: www.linksfraktion.de



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