Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ein Kontinent schottet sich ab - Australien behandelt Flüchtlinge wie Aussätzige

Trotz internationaler Kritik: Wieder ein Flüchtlingsschiff abgefangen

Am 4. September 2001 nahm das UNO-Hochkommissariat für das Flüchtlingswesen (UNHCR) Stellung zum Flüchtlingsdrama, das sich vor den Küsten Australiens seit August abspielte. Australien hatte sich geweigert, 433 afghanische, pakistanische und ceylonesische Flüchtlinge, die mit dem norwegischen Containerfrachter "Tampa" unterwegs waren, an Land zu lassen. Die Flüchtlinge wurden auf das australische Kriegsschiff "Manoora" verfrachtet und nach Papua-Neuguinea gebracht. Von hier sollen sie nach Neuseeland und in die Mini-Inselrepublik Nauru im Pazifik geflogen werden. Beide Länder hatten sich bereit erklärt, die Menschen bis zur Klärung ihres Asylbegehrens aufzunehmen. "Wir sind besorgt, und das UNHCR hätte eine andere Lösung bevorzugt", sagte ein Sprecher in Genf. Das UNHCR hatte am Wochenende davor (1./2. September) in Gesprächen mit Vertretern Norwegens, Australiens, Indonesiens und Neuseelands in Genf vergeblich versucht, die Schiffbrüchigen zunächst auf die zu Australien gehörende Weihnachtsinsel zu schaffen. Dies wäre die "humanste Lösung" gewesen, sagte der Sprecher. Die Behandlung des Dramas könnte Auswirkungen auf die Haltung anderer Staaten haben. Er erinnerte dabei etwa an Pakistan, das bereits Hunderttausende von Flüchtlingen vor allem aus Afghanistan aufgenommen hätte.

Doch die australische Regierung ließ sich von solcher Kritik bisher nicht beeindrucken. Im Gegenteil: In der Nacht vom 7. auf den 8. September fing die australische Marine ein Schiff mit 200 Flüchtlingen vor der Nordwestküste des Landes ab. Das Schiff mit den 200 Flüchtlingen habe am Freitagabend das australische Ashmore-Riff angesteuert. Die Marine sei an Bord gegangen, als es sich geweigert habe, seinen Kurs zu ändern und umzukehren. Anschließend wurden die Flüchtlinge auf den Truppentransporter "Manoora" gebracht, der schon mit den 433 "Tampa"-Flüchtlingen nach Papua-Neuguinea unterwegs ist. Laut Ministerpräsident John Howard befand sich das Schiff in internationalen Gewässern. Es habe die Hoheitsgewässer Australiens nicht erreicht, weswegen sich die Frage gar nicht stelle, ob das Land die Menschen als Asylsuchende akzeptiere. Über die Herkunft des aufgebrachten Schiffes und die Flüchtlinge wurden bisher keine Angaben gemacht.

Die linke schweizerische Wochenzeitung WoZ bracht in ihrer Ausgabe vom 6. September 2001 einen Hintergrundartikel zum Flüchtlingsdrama, in dem vor allem auf die menschenverachtende Asylpraxis Australiens abgehoben wird. Wir dokumentieren den Beitrag leicht gekürzt.


Die australische Nauru-Lösung

Export von Internierungslagern

Von Max Watts, Annandale

...
Er schütze Australien vor den «illegalen Immigranten», versichert Premierminister John Howard seinen Landsleuten wieder und wieder. Und alle wissen, dass er damit, unausgesprochen, den Schutz vor «braunen, mohammedanischen Horden» meint. Dabei kamen gerade mal 4.141 Asylsuchende zwischen Juli 2000 und Juli 2001 in Australien an, 30 weniger gar als in den zwölf Monaten zuvor. Die allermeisten Flüchtlinge reisten per Schiff und legten auf der Weihnachtsinsel oder am Ashmore Reef an. Nur ein einziges Boot erreichte das Festland. Die Asylsuchenden haben keine Gesetze gebrochen, sie sind keineswegs «illegal».

Wenn die «Tampa» mit den Flüchtlingen auf der Weihnachtsinsel gelandet wäre, hätten diese die ganze Asylprozedur durchlaufen müssen. Doch auf Anweisung Howards fährt der australische Truppentransporter Manoora nun, mit den 438 Asylsuchenden der «Tampa» an Bord ..., von der Weihnachtsinsel in Richtung der Hauptstadt Papua-Neuguineas, Port Moresby, wo er am Wochenende erwartet wird. Fast alle «im Volk» glauben Howard, dass diese «illegalen Immigranten», die er via Port Moresby nach Neuseeland und auf die Insel Nauru deportieren lässt, Australiens Boden «nie betreten werden».

Das Los der 438 Asylsuchenden an Bord der «Manoora» ist in Australien bereits wieder aus den Schlagzeilen verschwunden. Howard hat, so sagt er, und viele glauben es ihm, dieses Problem gelöst. Man diskutiert nur noch, ob die konservative Koalition in den kommenden Parlamentswahlen von Howards Politik profitiert. Konnte Howard damit genügend unentschlossene WählerInnen überzeugen, um die Wahlen zum dritten Mal in Folge zu gewinnen?

Allenfalls schimpfen die meisten AustralierInnen noch auf das Bundesgericht in Melbourne und die vier Rechtsanwälte, die weiterhin über die Rechte dieser Flüchtlinge verhandeln. Eine der Anwaltskammer von Melbourne nahe stehende Bürgerrechtsinitiative, die – von der Bundesregierung finanzierte – australische Menschenrechts- und Gleichheitskommission, Amnesty International sowie ein auf Einwanderungsrecht spezialisierter Anwalt plädieren vor dem Melbourner Bundesrichter Tony North für die Rechte der Flüchtlinge. North hat schon früher für die Howard-Regierung unangenehme Urteile gefällt, etwa während des Streiks der Hafenarbeiter und Scheuermänner der Maritime Union of Australia. Richter wie Anwälte, aber auch Parlamentarier von Labor-Partei, Demokraten und Grünen erhalten jetzt Drohbriefe, manche fanden sogar Kugeln in ihrer Post.

Bei Ankunft: Stacheldraht

In Australien werden viele Asylsuchende bei ihrer Ankunft eingesperrt. Sie bleiben es in mit Nato-Stacheldraht eingezäunten Lagern oft für Monate, manchmal sogar für Jahre. Die meisten Flüchtlinge kommen aus Afghanistan und Irak. Rund achtzig Prozent dieser «Asylanten» bestehen schliesslich die gesetzliche Prüfung und werden als politische Flüchtlinge anerkannt. Bei den AfghanInnen sind es sogar neunzig Prozent, die so legal in Australien bleiben können. Aber während der oft langwierigen Prozeduren für diese Anerkennung bleiben sie eingesperrt. Eine private US-amerikanische Gefängnisfirma, Australasian Correctional Management (ACM), verwaltet diese Lager und verdient gut daran. ACM wird von einem ehemaligen CIA-Mitarbeiter geleitet, und ACM-Aktien werden an amerikanischen Börsen gehandelt.

Auch manche derjenigen, denen die Anerkennung als politische Flüchtlinge verweigert wird, dürfen nicht einfach in ihre «Herkunftsländer» Afghanistan und Irak deportiert werden. PalästinenserInnen werden manchmal einfach nach Syrien geschickt. Denn Israel, das alle Zugänge zu den teilweise autonomen palästinensischen Gebieten kontrolliert, lässt sie nicht einreisen, obwohl ihnen die halboffizielle palästinensische Vertretung in der australischen Hauptstadt Canberra Pässe ausstellt. Diese «Abgelehnten», manchmal ganze Familien, bleiben dann, wer weiss für wie lange, hinter Stacheldraht eingesperrt. MenschenrechtlerInnen fingen gerade an, sich darüber zu beschweren. Aber seit Ankunft der «Tampa» redet man darüber nicht mehr.

Eigentlich wollte die Howard-Regierung drei neue Lager in Australien aufstellen. Ob diese Pläne jetzt weiter bearbeitet werden, ist noch nicht sicher. «Denn Howard und seinesgleichen haben einen Plan: Sie wollen die Flüchtlingslager, die bis jetzt in Australien sind, in die Nachbarländer exportieren», erklärt Damian Larson, ein Vertreter der Gruppe «Kein Mensch ist illegal». «Howards ganze ‘Tampa’-Politik ist bloss Vorwahlkampf, wie auch die Ankündigung, die australische Marine vor der Küste Indonesiens zu stationieren, um die Boote der Flüchtlinge dort schon bei ihrer Abfahrt abzufangen. Ja und dann? Was wollen sie dann mit ihnen tun? Das ist völliger Blödsinn. Und man spricht nicht einmal darüber, wie lange diese Fregatten dort bleiben sollen. Auf unbegrenzte Zeit vielleicht?»

Die Lager in Nauru seien nur ein erster Versuch. «Nauru, diese 25 Quadratkilometer kleine Insel, ist vollständig von Australien abhängig. Denn das Phosphat, dessen Export Nauru einst Reichtum brachte, ist erschöpft. Der Phosphatabbau hat eine Mondlandschaft hinterlassen. Die nauruischen Investitionen der Phosphat-Dollars, zumeist in Australien, sind schief gegangen. Nauru ist ruiniert. Die nauruische Regierung lässt also das erste australische Auslandslager aufstellen und wird dafür von den australischen Steuerzahlern bezahlt. Aber Nauru ist sehr klein, und es liegt keineswegs auf den Wegen der Immigranten.»

Über die Pläne der Regierung, diese so populäre «Nauru-Lösung» auch in Zukunft anzuwenden, gelangte bisher fast gar nichts an die Öffentlichkeit. Eigentlich wolle Howard, so Lawson, Lager in Indonesien errichten: «Indonesien braucht ebenfalls Geld. Mit genügend Dollars könnte man die Regierung dazu bringen, die Asylsuchenden abzufangen und in Lager auf indonesischem Boden einzusperren. Wenn die Bedingungen dort, sagen wir einmal, hart sind, schadet das nichts. Die Leute sollen ja abgeschreckt werden.» Ob und wann dann die Asylgesuche dort «bearbeitet» werden, ist dann nicht mehr eine australische Sorge.

Ein Handy für Megawati

Howards einziges Problem dabei ist, dass er die indonesische Regierung noch nicht «überzeugen» konnte. Präsidentin Megawati Sukarnoputri ist den wiederholten Versuchen Howards, sie ans Telefon zu kriegen, stets ausgewichen.

Zum Glück gibt es ja noch Papua-Neuguinea, auch so ein Land, dessen Regierung sowohl pleite als auch vollständig von Canberra abhängig ist. Allerdings fällt diese Regierung derzeit auseinander. Und die Gefängnisse dort sind nicht gerade ausbruchsicher. Die Fahrt von Papua-Neuguinea nach Australien dauert dann in einer Nussschale bloss einige Stunden. Und vielleicht kommen auch die Flüchtlinge der «Tampa» noch nach Australien, Howards Behauptungen zum Trotz. Denn Richter North wird seine Entscheidung höchstwahrscheinlich vor der Ankunft der «Manoora» in Port Moresby treffen. Falls er die Position der vier Menschenrechtsverteidiger akzeptiert, müsste die australische Regierung – also in der Praxis die Militärs, die bis jetzt jeden Zugang zu den Asylsuchenden verweigern – ihnen erklären, dass sie jetzt das Recht haben, nach Australien weiterzureisen und dort ihr Asylgesuch zu stellen. Falls sie aber in Port Moresby von Bord der «Manoora» gehen, um nach Nauru oder Neuseeland weiterzureisen, verlieren sie dieses Recht. Sie könnten jedoch in Nauru – wo sie sich kaum längerfristig aufhalten werden – um Asyl in Australien oder Drittländern ersuchen.

Aus: WoZ, 6. September 2001

Zurück zur Seite "Menschenrechte"

Zur "Australien"-Seite

Zurück zur Homepage