Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Guantánamo, eine weltweite Herausforderung, ein planetärer Einsatz

Rede von Fausto Giudice auf einer Konferenz der Juristengruppe der Schweizer Sektion von Amnesty International

Im Folgenden dokumentieren wir eine Rede, die Fausto Giudice in Genf am 8. Mai 2004 gehalten hat, und zwar anlässlich der Konferenz "Guantanamo: Gefangene ohne Rechte, das Gefangenenrecht?", organisiert von der Juristengruppe der Schweizer Sektion von Amnesty International. Der Verfasser ist der Vorsitzende der Vereinigung "Collectif guantanamo", Frankreich. [Webseiten: http://www.gwadaoka.org/guantanamo.htm und http://quibla.net.]


Liebe Freunde,
Zuallererst möchte ich Amnesty International für die Einladung danken, nicht etwa nur deshalb, weil dies eine Anerkennung der Arbeit des Collectif guantanamo bedeutet, das im Februar 2003 in Frankreich gegründet wurde, sondern weil diese Einladung es uns gestattet, mit Ihnen in einen Dialog zu treten und die Personen aus Fleisch und Blut hinter dem virtuellen Austausch via Bildschirm kennenzulernen.

Ich war der Aufforderung der Organisatoren nachgekommen und hatte eine Rede vorbereitet, die die Sprechzeit von 20 Minuten nicht überschreiten sollte. Doch die Ereignisse der letzten Tage, der Skandal um die Fotos aus dem Gefängnis von Abou Ghraib im Irak, zwingen mich dazu, einige Bemerkungen, die nicht vorgesehen waren, voranzuschicken.

Am besten beginne ich mit einem Witz: "Kennen Sie den Unterschied zwischen Guantanamo und Abou Ghraib? Na, in Guantanamo darf das Militärpersonal keine Digitalkameras benutzen". Der General Geoffrey Miller hat sichergestellt, dass durch die interne Überwachung keine Informationen nach aussen dringen. Es handelt sich hier um denselben Geoffrey Miller, der für die amerikanischen Gefängnisse im Irak zuständig war. Sein Motto ist ein Neologismus: man muss, so sagt er, die Gefängnisse im Irak "guantanamoisieren" ("gitmo-ize"). Wer ist dieser Miller? Miller ist ein 54jähriger General, ehemaliger Fallschirmspringer und stammt aus Texas. Er war für das Lager in Guantanamo von Oktober 2002 bis März 2004 verantwortlich. Innerhalb von 18 Monaten hatte er ein leistungsfähiges Gefängnissystem aufgestellt, das er nun als Modell und Labor bezeichnet. Er soll nun auch dieses Modell im Irak einführen. Ein Modell, das mit den Worten łüberwachen, bestrafen und befragen˛ umrissen werden kann.

Miller wurde nach Guantanamo berufen, da die Leitung des Camps unter dem heftigen Durcheinander vor Ort litt. Der erste Befehlshaber des Camps hatte seinen Posten nur von Januar bis Oktober 2002 inne. Das kam daher, dass dieser Reservegeneral, ein Spezialist des militärischen Informationsdienstes, zusätzlich auch Doktor juris und Zivilrechtsanwalt ist. Also ein Jurist. Und dieser General Michael Dunlavey war nach einigen Monaten und hinsichtlich der Ergebnisse der Befragung der Gefangenen ziemlich entnervt. Er flog also nach Bagram in Afghanistan, der amerikanischen Militärbasis in der Nähe von Kabul von wo aus die Gefangenen nach Guantanamo geschickt wurden und schnauzte die CIA Agenten vor Ort an: "Hört endlich damit auf uns Mickey Mäuse zu schicken! Unter denen befindet sich kein einziger Terrorist!" Daher Exit Dunlavey.

Mit seinem Nachfolger, Rick Baccus, war es noch schlimmer: dieser General der Nationalgarde von Rhode Island hat sich gleich unbeliebt gemacht, weil er den Gefangenen Respekt zollte und sie mit "Salam Aleikum" begrüsste. Er hat seine Lage noch dadurch verschlimmert, dass er das Rote Kreuz darum bat, im Lager Plakate aufzuhängen, die den Gefangenen ihre Pflichten als Kriegsgefangene erklärten: sie waren nur dazu verpflichtet, ihren Namen, ihren Geburtsort und ihr Geburtsdatum und ihre Matrikelnummer zu nennen, weiter nichts. Baccus glaubte, dass die "illegalen feindlichen Kämpfer" Kriegsgefangene seien. Er hatte sich vollkommen getäuscht! Also Exit Baccus und Auftritt Miller. Miller führt ein Sicherheits-und Kontrollsystem der Gefangenen ein, begründet auf einem Bestrafungs-und Belohnungssystem (die Belohnung könnte von einem Twinkie Schokoriegel oder einem Happy meal bis zum Transfert in einen Schlafsaal mit 9 Mitgefangenen gehen). Er perfektioniert das Modell von Guantanamo und wird dabei effizient von seiner rechten Hand unterstützt, die, wie könnte man es anders erwarten, Adolf McQueen heisst! Jetzt da er das Modell Guantanamo im Irak einführen soll, hat General Jay Hood seinen Job übernommen und führt das Regime von Miller in Guantanamo getreu weiter.

Nach diesen Bemerkungen komme ich nun zu meiner ursprünglichen Rede. Ich denke, es gibt auf dieser Bühne genügend hochqualifizierte Redner, die von Guantanamo vom rechtlichen Standpunkt aus sprechen können. Ich werde also versuchen, mich dem Thema von drei verschiedenen Seiten zu nähern: der politischen, strategischen und geschichtlichen. Ich denke es ist notwendig, Guantanamo in Zeit und Raum zu situieren, um zu verstehen, womit wir es hier zu tun haben.

Zuallererst eine Definition von Guantanamo. Die Definition, die vom Collectif Guantanamo in seinem Gründungsaufruf im Feburar 2003 verwendet wird. Guantanamo ist das erste Off-shore Konzentrationslager des Imperiums.

Vier Begriffe müssen ebenfalls definiert werden:
  • Konzentrationslager zuerst: Guantanamo ist Teil einer Reihe von Lagern, die von den Gefangenenlagern der Konföderierten während des Sezessionskriegs bis zu den Gefangenenlagern der amerikanischen Bürger japanischen Ursprungs geht, über die britischen Konzentrationslager für Buren in Südafrika Anfang des 20. Jahrhunderts oder für die Malayen in Malaisien während der 40er Jahre, ohne natürlich die Nazilager zu vergessen und den sowjetischen Gulag. Guantanamo ist sozusagen eine Art geschichtlicher Verdichtung aller Erfahrungen, die im Bereich der konzentrierten Gefangenenhaltung gemacht wurden. Es ist jedoch auch ein Labor, in dem neue, dem 21. Jahrhundert angemessene, Methoden ausprobiert werden können.
  • Erstes Off-shore Konzentrationslager: Off-shore ist der Begriff, den man verwendet, um die Ölplattformen im Meer zu bezeichen und er bedeutet "ausserhalb des Territoriums". Alle anderen Konzentrationslager befanden sich immer auf einem rechtlich definierten Territorium, im allgemeinen auf Nationalgebiet oder auf annektiertem Territorium, wie zum Beispiel dem von Nazis besetzten Polen. Und alle diese Lager hatten im Allgemeinen, zumindest der Form halber, interne juristische Strukturen und Instanzen und hingen sogar von formellen juristischen Instanzen ab, obwohl dies natürlich am Schicksal der Gefangenen nicht viel änderte. Bei Guantanamo handelt es sich um die Erfindung eines karzeralen Systems, das sich jeder Rechtssprechung entzieht. Kurz gesagt befinden wir uns auf dem Mond...
  • Erstes Off-shore Konzentrationslager des Imperiums: Ja, dies ist der frappierendste Aspekt von Guantanamo. Hier befinden sich Bürger aus 42 verschiedenen Ländern der Erde, verhaftet in Afghanistan, Pakistan, Gambia oder anderswo von Soldaten und Polizisten aus den USA und an einen Ort in der Karibik deportiert, der 24 Flugstunden von ihrem Heimatort entfernt ist. Die weltweite Tragweite des Phänomens ist offensichtlich. Die weltweite und imperialistische. In Guantanamo ist ein Mitgliedsland der UNO von insgesamt fünf vertreten. Guantanamo ist das erste weltweite Gefängnis eines Imperiums, das die Weltherrschaft anstrebt.
In den Siebzigern, zur Zeit der Baader-Meinhof-Gruppe und der Roten Brigaden, hatten einige deutsche Beamte ein Projekt entworfen, das ihre europäischen Kollegen mit einer gewissen Abneigung zurückgewiesen hatten: der Bau eines zentraleuropäischen Hochsicherheitsgefängnisses für alle Terroristen aus dem "gemeinsamen Markt", wie man damals sagte. Das Projekt wurde damals rasch verworfen. Heute verkörpert Guantanamo den schlimmsten paranoiden Alptraum, den man sich nur vorstellen kann.

Doch Guantanamo ist nur das Herzstück eines weltweiten Apparats, den wir die Galaxie Guantanamo getauft haben. Genau wie der Gulag hat die Galaxie Guantanamo zahlreiche Filialen und Niederlassungen. Die einen werden direkt vom Yankee-Imperium geleitet, die anderen werden von Verbündeten und Marquis geleitet, den Verwaltern der Randgebiete des Imperiums.

Zur ersten Kategorie gehört der Luftstützpunkt von Bagram, nahe bei Kabul, auf dem eine unbekannte Anzahl von "illegalen feindlichen ausländischen Kämpfern" festgehalten wird. Und dann gibt es da noch Diego Garcia, eine Insel im Indischen Ozean, die von den Engländern an das amerikanische Militär verpachtet wird und von der die 2000 Einwohner der Insel vertrieben wurden. Auf Diego Garcia werden wahrscheinlich die “grossen Fischeł festgehalten, die man in Afghanistan und Pakistan gefangengenommen hat. Und man kann auch annehmen, dass andere geheime Gefangenenlager auf amerikanischen Militärstützpunkten in der Welt verstreut liegen.

Zur zweiten Kategorie gehört zum Beispiel das englische Hochsicherheitsgefängnis von Belmarsh, in dem seit mehr als 2 Jahren 12 moslemische Ausländer gefangengehalten werden, ohne Gerichtsverhandlung und jeglicher Rechte beraubt. Zwei weitere Gefangene, ein Libyer und ein Algerier wurden endlich vor kurzem aus diesem englischen Guantanamo freigelassen. Man kann auch noch das Gefängnis des Weissen Schwans im russischen Stavropol nennen, in dem sich 7 der 8 russischen Gefangenen aus Guantanamo befinden, die an Russland ausgeliefert wurden oder auch die Gefängnisse in Malaysia, in denen seit zwei Jahren mehr als 80 des Terrorismus verdächtigte Gefangene ohne Anklage schmoren.

Guantanamo ist das Zentrum eines Spinnennetzes, das sich über den gesamten Erdball erstreckt.

Es hat vielfache Funktionen: Die erste besteht darin, die Terrorpropaganda voranzutreiben. Guantanamo als Bedrohung aller aufsässigen Kinder des südlichen Erdballs nach dem Motto "wenn Du nicht brav bist, dann schicke ich Dich nach Guantanamo".

Die zweite Funktion ist die Dressur. Das Ziel des Haftsystems von Guantanamo war es, moslemische Männer, von magerer Gestalt, mit Bart, als fanatisch bezeichnet, solidarisch untereinander, zwangsläufig ignorant und schlecht erzogen weil sie ja nicht einmal englisch sprechen, kurz Wilde in fette Männer, Individualisten, Hamburger-und Coca-Cola Liebhaber, Fans von Rockmusik und Pin-ups für Lastwagenfahrer, Leute, die dazu neigen, ihre Brüder zu verraten, kurz und gut in Modellkonsumenten des American Way of Life zu verwandeln. Die angeblichen Taliban sollen sich in Mister Smith verwandeln, in neue Alliierte des Imperiums. Man hat noch nicht versucht, sie zu Presbyterianern, Baptisten, Methodisten oder Episkopaliern zu bekehren, doch das kommt bestimmt noch.

Die dritte Funktion ist das Experimentieren mit neuen Gefängnis-, Disziplinar-, Befragungs-und, es muss gesagt werden, Foltermethoden. Dies fällt in den Laborbereich. Bei jedem neuen Feind hat das amerikanische imperialistische System nach neuen militärischen, politischen, ideologischen und polizeilichen Kampftaktiken gesucht. Und somit auch nach neuen Methoden zur "Überwachung, Bestrafung und Befragung".

Guantanamo ist also kein improvisiertes Lager, sondern gut erdacht und vorbereitet, sogar noch vor dem 11. September 2001 und vor dem Krieg gegen Afghanistan. Der Stützpunkt auf Guantanamo wurde in den 90ern dazu benutzt, um die Boat People aus Haiti aufzunehmen und sollte die Flüchtlinge oder Gefangenen aus dem Kosovokrieg aufnehmen, doch dieser Plan wurde im letzten Augenblick geändert. Der Stützpunkt sollte die irakischen Gefangengen aufnehmen, doch auch dieser Plan wurde geändert, nachdem man herausgefunden hatte, dass Saddam Hussein vor Ort bereits ein ausreichendes Haftsystem zur Verfügung gestellt hatte. Doch die vierte und wichtigste Funktion von Guantanamo ist diese: es handelt sich um ein strategisches Befehlswerkzeug im Dienste der kriegerischen Diplomatie des Imperiums. Von Guantanamo gehen vielzählige Nachrichten aus, Direktiven an die Länder der Gefangenen. Lassen Sie uns einige dieser Direktiven nennen:
  1. Die Befragung dieses oder jenes Ihrer Staatsbürger hat die Existenz dieses oder jenes Terroristennetzwerks in Ihrem Land bestätigt. Wir fordern Sie also mit Nachdruck dazu auf, diese oder jene Organisation oder diese oder jene Person zu bestrafen. Auf der Basis von surrealistischen Befragungen greifen das FBI und die CIA sogar in einer Reihe von Ländern direkt ein und überwachen die Verhaftungen. Das massivste Beispiel ist Pakistan und das blutigste der Yemen.
  2. Die zweite Nachricht an Länder, deren Bürger in Guantanamo festgehalten werden: wenn Sie mit uns an unseren imperialistischen Projekten zusammenarbeiten, könnten wir Ihnen eventuell Ihre Gefangenen zurückgeben. Das ist in Bezug auf eine Reihe von Ländern passiert, denen einige ihrer Gefangenen wieder zurückerstattet wurden (unter anderem Pakistan, Afghanistan, Saudi Arabien, Sudan, Dänemark, Gross-Britannien, Tadjikistan, Algerien). Colin Powell hat eine solche Nachricht letzte Woche aus Kopenhagen an Frankreich gesendet. Er hat indirekt folgendes gesagt: wenn Frankreich zustimmt Truppen in den Irak zu senden, sei es auch nur, um die Mission der UNO zu unterstützen, dann könnten die sieben französischen Gefangengen frei gelassen werden. Die Gefangenen von Guantanamo spielen also in ihrer Person die Rolle von Botschaftern, wenn man sich daran erinnert, dass, historisch gesehen, Botschafter Geiseln waren. Guantanamo ist heute, früher bekannt auf Grund eines beliebten kubanischen Liedes, zum Schimpfwort geworden. Ich nannte bereits Belmarsh, das das englische Guantanamo getauft wurde. Ich könnte auch das łLokal 1391˛ nennen, das geheime israelische Gefängnis, in dem Palästinenser und Libanesen gefangengehalten werden und das sofort von den israelischen Medien als israelisches Guantanamo bezeichnet wurde als sie letztes Jahr seine Existenz entdeckten.
Historischer Rahmen

Ich gehe jetzt zum historischen Rahmen über, der mir sehr wichtig erscheint, um Guantanamo richtig einzuordnen.

Alles beginnt mit dem Ursprung selbst von Guantanamo, der ein lebendiges Andenken an das erste Yankee-Imperium ist. Im Februar 1903 unterschreibt der Präsident Theodore Roosevelt mit dem kubanischen Präsidenten Thomas Estrada Palma, der ebenfalls amerikanischer Staatsbürger war, ein Abkommen für "die Übereignung von Grundeigentum zur Schaffung von Kohledepots und Marinestützpunkten" in Bahia Honda und Guantanamo. Das Bahia Honda Projekt wurde niemals verwirklicht doch Guantanamo wurde zum ständigen Marinestützpunkt. Das Abkommen, das im Juli 1903 bestätigt wurde, legte fest, dass es nur durch die gemeinsame Entscheidung der zwei Abkommenspartner aufgelöst werden könne: die abhängige Republik Kuba bevollmächtigte somit die Schiffsflotte der USA dazu, so lange auf einem Teil ihres Territoriums Station zu machen wie es das Imperium für nötig hielt. Und die Notwendigkeit hielt umso länger an, als die "Kanonenbootdiplomatie" Rooselvelts des I. wenige Monate später den Staat Panama schuf, bis zu diesem Zeitpunkt eine Provinz der Vereinigten Staaten von Kolumbien. Die kolumbianische Bundesregierung, die die Frechheit gehabt hatte eine Übereignung von Land an die USA zu verweigern, damit diese den Bau des Panamakanals wiederaufgreifen konnte, fiel einer von den USA vorangetriebenen Sezession Panamas zum Opfer. Kurz darauf wurde die Republik Panama am 3. November 1903 eingeweiht. Am 18. November gestand Panama den USA auf unbestimmte Zeit die "Nutzung, Besetzung und die Kontrolle einer Landzone für den Bau, die Unterhaltung, die Bewirtschaftung, die Sanierung und den Schutz desselben Kanals" zu.

Das karibische Meer wurde zu einer direkten Passage zwischen dem Atlantik und dem Pazifik: die strategische Bedeutung des Marinestützpunkts von Guantanamo bekam eine Tragweite, die keinerlei Widerspruch mehr fürchten musste.

Doch es ist sehr nützlich, sich die historischen Umstände wieder ins Gedächtnis zu rufen, die es den USA erlaubt hatten, die Kontrolle über Kuba zu übernehmen. Dafür müssen wir einige Jahre zurückgehen. 1895 fachte die kubanische revolutionäre Partei den Guerrillakrieg gegen die Kolonialmacht Spanien wieder an. Die spanische Krone konnte den Aufstand nicht unterdrücken und bat die USA um Hilfe. Wir wohnen also einer magischen in Szene Setzung bei: am 15. Februar 1898 explodiert das Schlachtschiff USS Maine der Yankeeflotte vor Havanna, wobei 268 Besatzungsmitglieder getötet werden mit Ausnahme aller Offiziere, die gerade an diesem Abend zu einem Dinner in der Stadt eingeladen waren. Die Explosion wurde von der Regierung und den Yankee Medien als spanischer Angriff präsentiert. 1975 bewies eine Untersuchung der amerikanischen Armee jedoch, dass die wahrscheinlichste Ursache eine Explosion im Inneren des Schiffes selbst gewesen sei. Die offizielle Darstellung gab der Hypothese den Vorzug, es habe sich um einen Unfall gehandelt, eine Explosion von Kohlestaub in einem Frachtraum in der Nähe des Munitionslagers. 105 Jahre später wird von der zweiten Hypothese gesprochen, die plausibel ist, jedoch von der militärischen Untersuchungskommission nicht beachtet wurde, nämlich die eines eventuellen Attentats, das bewusst vorbereitet wurde oder das man bewusst vorbereiten liess (das ist nur ein geringer Unterschied), um das Auslösen des Konflikts zu rechtfertigen. Zu welchem Schluss wird eine Untersuchungskommission im Jahre 2079 den 11. September 2001 betreffend kommen?

Am 25. April 1898 erklärt also der Präsident McKinley, dem Wunsch der grossen Pressegruppen, der ersten grossen Industrievereinigungen und der Rüstungsfirmen folgend, Spanien den Krieg. Unter dem Motto "Wir dürfen die Maine nicht vergessen" zerstörte das Geschwader des Kommodore Dewey am 1. Mai die spanische Flotte der Philippinen ohne einen einzigen Mann zu verlieren. Sozusagen ein chirurgischer Krieg. Am 3. Juli wird die Flotte von Admiral Cervera - darunter das Schiff Cristobal Colón - vor der Bucht von Santiago de Cuba, immer noch in Erinnerung an die Maine, versenkt. Dies war ein buchstäblicher "Blitzkrieg": ohne Flugzeuge und ohne Panzer standen 20 000 Yankees 300 000 spanischen Soldaten gegenüber und erreichten innerhalb von weniger als 3 Monaten die Kapitulation der Armeen von Königin Elisabeth von Spanien. Der Vertrag von Paris im Dezember 1898 stellt eine simple Machtübergabe gegen Zahlung einer Entschädigung von der spanischen Krone an die amerikanische Regierung dar, betreffend die kubanischen Inseln, Puerto Rico, Guam und das philippinische Archipel.

Im Gegensatz zur Insel Puerto Rico, die annektiert wurde und bis 1952 unter direkter Herrschaft des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerikan stand und im Gegensatz zu den Philippinen, die erst 1946 unabhängig wurden, befand sich Kuba unter der Verwaltung einer militärischen Besatzerregierung. Die Yankee Regierung ersetzte die spanische Armee, hatte aber dieselbe Mission, nämlich die kubanische Revolution zu beenden. Die amerikanische Regierung widmete sich dem Ersatz der Befreiungsarmee durch eine ländliche Wache, die sie leicht kontrollieren konnte und sie widmete sich der Vernichtung der "repräsentativen Versammlung der bewaffneten kubanischen Bevölkerung", die die von der spanischen Besetzung befreiten Territorien verwaltete. Erst wenn diese konterrevolutionäre Politik von der Besatzerarmee angewendet würde, könnte die Yankee Regierung die Möglichkeit erwägen, die Bildung einer kubanischen Republik zu dulden. Eine verfassungsbildende Versammlung wird im November 1900 gewählt und über die Verfassung der Republik Kuba wird im Februar 1901 abgestimmt. Da das kubanische Volk nun eine Verfassung besass, die es ihm erlaubte seine Souveränität auszuüben, konnten die Yankees nun ihre Truppen von der Insel abziehen in dem Gefühl, dass sie ihre Aufgabe erfüllt hatten: die europäische Kolonialmacht war einer neuen amerikanischen Republik gewichen. Doch dies entsprach nicht den Wünschen des Imperiums.

Am 27. Februar 1901 wird der Verfassungszusatz, vorgeschlagen von Senator Orlando Platt, vom amerikanischen Senat angenommen: Artikel 3 dieses Zusatzes bestimmt, dass die kubanische Regierung den USA erlaubt "zu Gunsten der Aufrechterhaltung der kubanischen Unabhängigkeit und einer Regierung, die unter dem Zeichen des Schutzes von Leben, Eigentum und individueller Freiheit steht, einzugreifen". Um das Ausüben dieses Rechts "einzugreifen" zu gestatten, sieht Artikel 7 vor, dass die USA Land von der kubanischen Regierung kaufen oder pachten können, das dazu dienen soll "Kohledepots und Marinestützpunkte einzurichten an gewissen Punkten, die zusammen mit dem Präsident der USA bestimmt werden müssen".

Vor allem, und dies war die destruktivste Massnahme der kubanischen Souveränität, stellte der Zusatz von Platt fest, dass der amerikanische Präsident dem kubanischen Volk die Regierungsgewalt und die Kontrolle über die Insel nur dann zugestehen würde, wenn dieser Verfassungszusatz, dem von einer Yankee Institution zugestimmt worden ist, "ganzheitlich Teil" der Verfassung der kubanischen Republik würde.

Theodore Roosevelt setzte den Zusatz von Platt in die Tat um. Theodore Roosevelt hatte den Krieg gegen Spanien in seiner Funktion als stellvertretender Sekretär der Marine vorbereitet. Er wurde zum Vize Präsidenten durch die Mediatisierung seines Engagements in Kuba, wo er Reporter unter sein Freiwilligenkorps, die sogenannten Rough Riders (die "Harten Reiter"), mischte. Die Ermordung von McKinley erlaubte es ihm, die Präsidentschaft anzutreten. Roosevelt II (Franklin Delano) bestätigte mit dem Vertrag von 1934, dass es keinen neuen "deal" Kuba betreffend geben würde: die Grenzen der Basis von Guantanamo blieben "solange in Kraft bis die USA den Marinestützpunkt nicht mehr benötigten". Die zweite kubanische Revolution von 1959 und der Protest der Castro Regierung gegen den Verstoss gegen die kubanische Souveränität schadete der ältesten Überseebasis des Imperiums nicht. Die Basis erlangte sogar völlige Autonomie durch die Ausstattung mit einer Wasserentsalzungsanlage und wurde somit völlig zu einer amerikanischen Enklave auf kubanischem Boden.

Und genau diese Enklave diente dem ersten Yankee Imperium (1898 - 1941) als Versuchslabor noch bevor die Militärbasen sich vermehrten und über die strategischen Punkte des zweiten (1941 - 2001) und dritten Imperiums (2001 - ?) verteilt wurden. Hier liegt die Verbindung zwischen Guantanamo und der Geschichte des Yankee Imperiums: in Guantanamo wurde das imperialistische Modell getestet.

Wie soll man das Modell der imperialistischen Yankee Domination beschreiben? Man kann es in einem simplen Schema zusammenfassen: “Attentatł > Krieg > Besetzungszustand > Militärstützpunkten.

Dieses Schema ergibt sich aus folgender Entwicklung:
  1. Ein "Attentat" trifft ein amerikanisches Ziel, ein möglichst symbolträchtiges (je nach historischem Kontext) um die amerikanische Öffentlichkeit aufzurütteln und vielleicht sogar die Weltöffentlichkeit;
  2. Die amerikanische Regierung, im Namen des Rechts der Opfer auf Verteidigung gegen einen Angriff (und ohne die Ergebnisse irgendeiner Untersuchung abzuwarten), erklärt einem Staat den Krieg, der gegen die Menschenrechte und die Interessen des Imperiums verstösst (diese Übereinstimmung zwischen Menschenrechten und Interessen des Imperiums ist doch der Beweis dafür, dass es sich um das Gute Imperium handelt?);
  3. Die Armeen des Imperiums tragen den Sieg durch Kapitulation davon, der es ihnen erlaubt, das besiegte Land zu besetzen und dort eine "Yankeephile" Regierung einzusetzen;
  4. Diese von der Besetzungsarmee eingesetzte Regierung übergibt schnell den USA Militärstützpunkte für eine fast permanente Dauer, damit diese die Unabhängigkeit des gerade befreiten Volkes beschützen können (denn die USA, genau wie Napoleon I. führen nur Befreiungskriege).
Wir sollten uns Fragen stellen über diese sich immer wiederholenden Abläufe der Domination, die bei allen drei Expansionswellen des Yankeeimperiums befolgt wurden:
  1. Die Explosion der Maine rechtfertigte die Invasion Kubas und der Philippinen und die Eliminierung ihrer revolutionären Bewegungen, das Aufzwingen des Verfassungszusatzes Platts in Kuba, die Öffnung der kubanischen Wirtschaft für das Yankee Kapital und die Errichtung des Stützpunktes in Guantanamo;
  2. Der Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 ermöglichte eine breite Offensive im Pazifik, die Eliminierung der Konkurrenz des japanischen Imperiums, seinen Ersatz durch eine "industrielle Demokratie" und die Nutzung Japans als Kontroll-und Überwachungsbasis des kommunistischen China. Eine Bemerkung nebenbei zu Pearl Harbor: Der Angriff wurde erst kürzlich nach den Attentaten vom 11. September 2001 dargestellt als ein “Attentatł, als ein Überraschungsangriff, da das japanische Imperium dem Yankee Imperium nicht offiziell den Krieg erklärt hatte. Dieses Argument muss ernsthaft überdacht werden, wenn man weiss, dass die amerikanische Regierung im Sommer 1941 ein totales Öl-und Eisenversorgungsembargo über Japan verhängt hatte; dies waren Massnahmen, die Radhabinod Pal, einer der Richter im Prozess um die Kriegsverbrechen der japanischen Verantwortlichen, als "eine klare und reelle Bedrohung der Existenz Japans" bezeichnete, im Widerspruch zum Endurteil. In Wirklichkeit hatte die amerikanische Regierung diesen Krieg vorausgesehen und auch gewollt: der Luftangriff gegen die hawaiianische Basis liess die öffentliche Meinung umschlagen, die sich bis dahin gegen jede feindselige Handlung ausgesprochen hatte. Pearl Harbor gab der amerikanischen Regierung ebenfalls die Gelegenheit, einen gigantischen Militär-und Industriekomplex zu bilden, mit Hilfe dessen die amerikanischen Streitkräfte gleichzeitig im Pazifik, in Nordafrika und in Europa eingreifen konnten im Verlauf des zweiten Weltkriegs und sich als einziges kapitalistisches Imperium durchzusetzen - das zweite Yankee Imperium dem sowjetischen Reich gegenübergestellt.
    Schliesslich erinnern wir uns daran, dass der Angriff auf Pearl Harbor unter Präsident Franklin D. Roosevelt stattfand, einem Cousin von Theodore Roosevelt und, genau wie er, ehemaliger stellvertretender Marinesekretär. Der Angriff musste ebenfalls als Rechtfertigung für die Internierung in Konzentrationslagern mehrerer Zehntausender amerikanischer Staatsbürger japanischen Ursprungs herhalten.
  3. Ein ähnlicher Mechanismus kann bei der Auslösung des amerikanischen Militäreingriffs in Vietnam beobachtet werden. Zwischen dem 2. und dem 4. August 1964 wurden zwei amerikanische Zerstörer, die Maddox und die Turner Joy, die sich in die Gewässer Nordvietnams vorgewagt hatten, von den Nordvietnamesen beschossen. Das behaupten zumindest die Geheimdienste in Washington (die Besatzung der zwei betroffenen Schiffe leugneten später die Angriffe). Dieser Vorfall im Golf von Tonkin lieferte Präsident Johnson den nötigen Vorwand für einen Militäreingriff. Am 4. August beginnt er mit den ersten Angriffen auf kommunistische Positionen in Südvietnam und erhält am 7. August vom Kongress alle militärischen Vollmachten, um gegen Nordvietnam zu agieren. Die Folgen sind allseits bekannt: 10 Jahre Krieg und die grösste Niederlage in der gesamten imperialistischen Geschichte der USA.
  4. Die Attentate des 11. September 2001 haben, schliesslich, für den Moment die Invasion Afghanistans und des Irak gerechtfertigt, die Eliminierung zweier Regime, die sich weigerten auf die Forderungen der USA einzugehen betreffend (eine Ölpipeline was die Taliban betrifft und die welweit zweitgrössten Ölreserven was Saddam Hussein betrifft), die Einführung von USA-freundlichen Regierungen in Kabul und Bagdad (am Ende einer amerikanisch-militärischen Verwaltungsperiode, die von ein paar Monaten bis zu mehreren Jahren dauern könnte) und die Einrichtung oder Verstärkung von mehreren Militärstützpunkten in Zentralasien und im Nahen Osten.
Ich hielt es für nötig, diese Punkte aufzuzählen, um einen allgemeinen Rahmen zu zeichnen, in dem unsere Arbeit um Guantanamo passieren muss. Ich wollte Ihnen hiermit einen globalen Eindruck über die Motive der Arbeit des Collectif guantanamo vermitteln. Und ich erlaube mir, Sie abschliessend daran zu erinnern, dass nur die menschliche Vielfalt mit ihren unterschiedlichen Farben, ihrem geistigen Einsatz und einer guten Organisation das Imperium und seinen tropischen Gulag zu Fall bringen können. Ich denke, dass wir über diesen Aspekt der Problematik, die uns alle vereint, diskutieren müssen.

Quelle: http://www.gwadaoka.org/guantanamo.htm


Zurück zur Seite "Menschenrechte"

Zurück zur Homepage