Nach der Schule zur Schicht
Arbeitende Kinder kämpfen für politische Anerkennung
Von Jutta Blume
Trotz weltweiter Ächtung von Kinderarbeit müssen Millionen von Kindern Geld verdienen. Die
Bewegung arbeitender Kinder fordert daher Arbeit unter würdigen Bedingungen statt Verboten.
Aida hat mit zehn Jahren mit der Jobsuche begonnen. Sie braucht den Job nicht, um Geld zu
verdienen. »Nach der Schule zu Hause herumzusitzen, war mir zu langweilig«, erzählt die Elfjährige
aus Deutschland. Anders als die meisten arbeitenden Kinder in den Ländern des Südens ist die
Arbeit für Aida keine ökonomische Notwendigkeit. Gemeinsam mit den Kindern armer Länder ist ihr
aber, dass sie per Gesetz nicht arbeiten darf.
Um arbeitende Kinder im Norden und Süden ging es bei einer Veranstaltung des Berliner Vereins
ProNATs anlässlich des »Welttags der arbeitenden Kinder«. ProNATs engagiert sich seit 2005 als
Verein für die Rechte arbeitender Kinder weltweit. Die erwachsenen Unterstützer wollen allerdings,
dass die Kinder grundsätzlich für sich selbst sprechen.
Kinderarbeit anerkennen
Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) arbeiten weltweit etwa 350
Millionen Kinder, die meisten von ihnen in der Landwirtschaft. In vielen Ländern der Welt ist die
Kinderarbeit in armen Familien eine ökonomische Notwendigkeit. Die internationale Anerkennung
des Rechts zu arbeiten forderten Kinder und Jugendliche erstmals vor elf Jahren auf einem Treffen
arbeitender Kinder im indischen Kundapur.
Um an ihre von den Regierungen der Länder ungehört gebliebene Forderung zu erinnern, rief die
Bewegung außerdem den »Welttag der arbeitenden Kinder« am 9. Dezember aus. Damit grenzt sie
sich bewusst vom »Welttag gegen Kinderarbeit« im Juni ab. Denn die Kinder möchten nicht ihre
Arbeit abgeschafft wissen, sondern fordern deren gesellschaftliche Anerkennung. Sie streiten für
eine Arbeit unter würdigen und kindgerechten Bedingungen. In der Abschlusserklärung von
Kundapur fordern die arbeitenden Kinder unter anderem: »Wir sind gegen die Ausbeutung unserer
Arbeit, wir wollen in Würde arbeiten und Zeit zum Lernen, Spielen und Ausruhen haben.« Aber auch:
»Wir sind gegen den Boykott von Waren, die von Kindern gemacht wurden.«
Vom Unterricht in die Bäckerei
In dem Dokumentarfilm »Lisandro will arbeiten« von Manuel Fenn wünscht sich der vierzehnjährige
Lisandro aus Peru Schulzeiten, die auf die Bedürfnisse berufstätiger Kinder zugeschnitten sind. Für
die Beschäftigung der Kinder müsse es Schutzbestimmungen geben, meint der Vertreter einer
Vereinigung arbeitender Kinder. So dürften sie nicht mehr als vier Stunden am Tag arbeiten, damit
ihnen genug Zeit zum Lernen und Spielen bliebe.
In Lisandros Viertel in Lima sind die meisten Kinder auf eine Lohnarbeit angewiesen. Lisandro selbst
arbeitet nach dem Unterricht in einer Bäckerei, verpackt die Brötchen und verkauft sie in der
Nachbarschaft. Von seinem Verdienst bezahlt er seinen Schulbesuch, hilft aber manchmal auch der
Mutter mit dem Haushaltsgeld.
»In Peru gibt es ein Gesetz, das den Kindern das Recht zu arbeiten gibt«, berichtet der Soziologe
Manfred Liebel. Damit verbunden seien auch Arbeitsschutzrechte, die auf Kinder zugeschnitten sind
und den Schulbesuch ermöglichen sollen. Nach Auffassung von ProNATs ist dies ein richtiger
Schritt, da die Kinder so offiziell für ihre Rechte eintreten können. Trotz rechtlicher Regelungen
arbeiten in Peru allerdings auch viele Kinder ganztägig unter körperlich harten Bedingungen, etwa in
Bergwerken.
In Lateinamerika reichen die Wurzeln der Bewegung arbeitender Kinder und Jugendlicher, der
»NATs«, bis in die 70er Jahre zurück. Die NATs halten regelmäßig Delegiertentreffen für den
gesamten Kontinent ab. In der Deklaration des Treffens 2001 wenden sie sich explizit gegen die ILOKonventionen
138 und 182 sowie dagegen, dass man Kinder verfolgt, nur weil sie arbeiten. Die
Vereinbarung 138 legt das Mindestalter für die Beschäftigung mit 15 Jahren fest, wobei auch 13- bis
15-Jährige leichte Arbeiten verrichten dürfen, sofern diese ihnen nicht schaden und den
Schulbesuch nicht beeinträchtigen. Die Konvention 182 bezeichnet das Übereinkommen über die
Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, dazu zählen Sklavenarbeit und Prostitution.
Die Kinder verstehen die in der Konvention 182 genannten Tätigkeiten allerdings nicht mehr als
Arbeit, sondern als Verbrechen gegen Kinder. »Die Bewegung hat konkrete Vorstellungen, was
Alternativen zur ILO-Konvention wären«, erläutert Manfred Liebel. Die Organisationen der Kinder
hätten auch versucht, in der ILO mit Sitz und Stimme vertreten zu sein, vor allem europäische
Gewerkschaften hätten sich aber dagegengestellt. Nach Liebels Auffassung fußt das
Kinderarbeitsverbot auch auf dem Gedanken, dass man die Konkurrenz von Kindern auf dem
Arbeitsmarkt ausschließen wolle.
Indien Vorreiter in Sachen Organisation
In Asien sind die Bewegungen vor allem in Indien aktiv, wo Kinder und Jugendliche gleich ihre
eigenen Gewerkschaften gegründet haben. Bal Mazdoor Sangh, die Vereinigung der arbeitenden
Straßenkinder, hat heute über 300 Mitglieder und eine Organisations-struktur, die dem indischen
Gewerkschaftsgesetz entspricht. Bhima Sangha erreicht sogar 13 000 Kinder und Jugendliche im
Raum Bangalore. Auch in Afrika gibt es seit den 90er Jahren eine Bewegung arbeitender Kinder. Im
vergangenen Jahr fand das dritte Weltdelegiertentreffen im italienischen Siena statt, auf dem die
Kinder einmal mehr verlangten, in Würde arbeiten zu können. Ein Appell, der bisher ungehört
verhallt.
* Aus: Neues Deutschland, 8. Januar 2008
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