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Es geht nicht nur um die "Käfighaltung" - Es geht um den Krieg

Die Bush-Administration muss sich entscheiden - Ein Kommentar

Die "Käfighaltung" der Gefangenen auf Guntánamo stürzen die USA in mehr Erklärungsnöte, als ihnen lieb sein kann. Dabei steht nicht nur das Menschenrechtsverständnis der westlichen Führungsmacht auf dem Prüfstand, sondern auch die offizielle Legitimierung des "Kriegs gegen den Terror".

Die Menschenrechtspolitik der Vereinigten Staaten nach Innen und nach Außen hatte immer schon ihre problematischen Seiten. So haben die USA von den 23 wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen bisher lediglich sieben ratifiziert (zum Vergleich: Die Bundesrepublik Deutschland hat 20 ratifiziert) und steht damit im internationalen Vergleich auf einer Stufe mit Ländern wie Afghanistan, Ruanda, Burundi, Sudan oder Libanon und noch unter solchen "Schurkenstaaten" wie Irak oder Iran. Vor einem Jahr wurde den USA der Sitz in der UN-Menschenrechtskommission entzogen, der sie seit 1947 ununterbrochen angehört hatten. Einer der Gründe für diesen Aufsehen erregenden Schritt ist in dem arroganten und selbstbezogenen Verhalten der USA zu sehen. Beispielsweise stimmen die USA - häufig als einziges Land - mit großer Regelmäßigkeit gegen alle UN-Resolutionen, die sich auf eine Stärkung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte aller Menschen gemäß dem seit 1976 geltenden "Sozialpakt" beziehen. Nicht einmal ein "Recht auf Nahrung" wollen die USA den Menschen zugestehen. Ein zweiter Grund für die Abwahl war die hartnäckige Weigerung der USA, der Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes der Vereinten Nationen zuzustimmen.

Auch was die Einhaltung des "humanitären Kriegsvölkerrechts" betrifft (Genfer Konvention und Zusatzprotokolle), haben die USA sowohl im Jugoslawien-Krieg 1999 als auch im gegenwärtigen Afghanistan-Krieg keine gute Figur gemacht. Die Häufung so genannter "Kollateralschäden" mit Hunderten (Jugoslawien) und Tausenden (Afghanistan) von toten Zivilpersonen deutet mindestens auf eine fahrlässige Kriegführung, wenn nicht sogar auf die gezielte Bombardierung von Wohnhäusern, Dörfern und zivilen Einrichtungen hin. Das aber sind nach herrschender Rechtsauffassung Kriegsverbrechen.

Dass Kriegsgefangene oder vermeintliche Terroristen nicht mit Samthandschuhen angefasst werden müssen, ist eine Sache. Eine andere Sache ist es aber, sie wie Tiere in Käfigen zu halten, ihnen keinen Rechtsbeistand zuzubilligen und sie insgesamt als außerhalb jeglichen Rechts stehend zu betrachten. Dies ist einer führenden Nation, die sich "Freedom and Democracy" auf die Fahnen geschrieben hat, unwürdig. Die Verfrachtung der in Afghanistan gemachten Gefangenen auf den US-Stützpunkt Guantánamo (Kuba) ist ein übler Trick US-amerikanisches Recht zu umgehen. US-Verteidigungsminister Rumsfeld will die gefangenen Taliban- und Al-Qaeda-Mitglieder von Militärkommissionen auf Kuba aburteilen lassen. Da der US-Militärstützpunkt nicht auf amerikanischem Boden liegt, hätten die Verurteilten keine Möglichkeit, Berufung vor einem ordentlichen US-Gericht einzulegen.

Trickreich versucht sich die US-Regierung auch gegen Vorwürfe zu verteidigen, die Gefangenenaufbewahrung ("Käfighaltung") falle "hinter den Minimalstandard menschlicher Behandlung" zurück (so der Vorwurf von amnesty international). Gelten doch für den Umgang mit Kriegsgefangenen nach der Genfer Konvention und nach US-Recht strenge Regeln. Der Vorwurf ficht die USA indessen nicht an, weil sie die gefangenen Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer nicht als Kriegsgefangene betrachten, sondern als "unrechtmäßige Kämpfer" (US-Verteidigungsminister Rumsfeld).

Das ist eine interessante Erklärung, weil sie den bisherigen Verlautbarungen der US-Regierung diametral widerspricht. US-Präsident Bush hatte die Terroranschläge des 11. September ausdrücklich als "Krieg", als "bewaffneten Angriff" auf die USA bewertet. Daraus leitete er das "Recht" ab, auf den Terror nicht mit den Mitteln der Verbrechensbekämpfung, sondern seinerseits mit einem Krieg zu antworten. Wenn es aber ein Krieg war, dann müssen die daran Beteiligten auch nach dem Kriegsrecht behandelt werden.

Der einzige Staatsmann in der US-Administration, dem bei der ganzen Angelegenheit nicht wohl ist, scheint Außenminister Colin Powell zu sein. Seine Forderung, die Praktiken bei der Gefangenenbehandlung auf Guantánamo zu überdenken und in jedem Fall mit der Genfer Konvention kompatibel zu machen, traf die US-Regierung an einer empfindlichen Stelle. Der Schritt war nicht abgesprochen und beschäftigte am 28. Januar 2002 sogar den nationalen Sicherheitsrat der US. Der stellte zwar fest, dass es sich bei den Gefangenen um "illegale Kämpfer" handle und somit deren Behandlung außerhalb des Kriegsvölkerrechts korrekt sei, doch regt sich in der amerikanischen Öffentlichkeit immer mehr Unmut. Nicht unbedingt deswegen, weil Mitleid mit den Gefangenen sich breit machen würde, sondern vor allem wohl deswegen, weil das Bild der USA in der Welt beschädigt werden könnte.

Die US-Administration ist in einer delikaten Zwickmühle: Führt sie einen "Krieg" gegen den Terror, dann muss sie ihre Gegner auch nach dem Kriegsrecht behandeln. Dies käme den Gefangenen zugute und wäre folglich nur recht und billig. Stellt sie dagegen ihre Gefangenen auf Guantánamo weiterhin außerhalb des (Kriegs-)Rechts, dann gibt sie damit ungewollt zu, dass der Terror des 11. September eben auch kein Krieg war. Ihre eigenen militärischen Reaktionen wären damit aber ebenfalls nicht Rechtens gewesen - eine Position, die ich immer schon eingenommen habe. Doch vom Standpunkt der Menschlichkeit ist es letztendlich ganz gleichgültig, zu welchem Standpunkt sich die USA durchringen mögen. Ob Kriegsgefangene oder "normale" Gefangene: Rechtsstaatliche Grundregeln wie die Unschuldsvermutung, das Recht auf Rechtsbeistand, das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit oder das Recht auf eine menschenwürdige Behandlung müssen von allen Staaten der Erde gegenüber allen Menschen eingehalten werden.

Peter Strutynski


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