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Selektives Schweigen

Zwei Völkermorde, die wir offensichtlich vergessen sollen: Indonesien 1965 und Osttimor 1975

Von Åsa Linderborg*

Oft wird behauptet, dass die Weltmächte die Arme in den Schoß legen, wenn in entlegenen Ländern Massaker geschehen und Menschen unterdrückt werden. Die Anschuldigung ist völlig ungerechtfertigt. Historisch gesehen, haben sie in solchen Fällen oft resolut eingegriffen – auf der Seite der Massenmörder.

Die Völkermorde in Indonesien 1965 und in Osttimor 1975 sind nur zwei Beispiele. Es ist auffallend, dass diesen Ereignissen keine Erinnerungsprogramme im Fernsehen gewidmet wurden, obwohl 2005 ein Jahr ist, in dem die Feierlichkeiten für historische Blutbäder einander ablösen. Tatsache ist, dass die Verbrechen des indonesischen Regimes kaum in den Geschichtslehrbüchern erwähnt werden.

Am 1. Oktober 1965 schlug General Suharto einen angeblichen kommunistischen Putschversuch nieder und führte eine antikommunistische Säuberung nie zuvor gekannten Ausmaßes durch. Die PKI war mit ihren drei Millionen Mitgliedern und fünfzehn Millionen Sympathisanten die größte kommunistische Partei außerhalb Osteuropas und Chinas und die einzige Massenbewegung Indonesiens. Sie bestand aus armen Bauern und Arbeitern und wurde von den Gewerkschaften unterstützt, war aber weder revolutionär soch bewaffnet, sondern arbeitete im Rahmen des bestehenden Systems für die Sache der Armen. Seit den 1950er Jahren war die Partei mit Sukarno verbündet, der sich jedoch auch zum Teil auf das Militär stützte.

Sukarnos Allianz mit der PKI beunruhigte die indonesische Oberklasse und deren Getreue innerhalb des Militärs. Die Unruhe wurde von den ausländischen Interessen geteilt. Sukarno wurde daher wie erwartet ein Problem für die USA. Nicht, weil er einst mit den holländischen Kolonialherren zusammengearbeitet hatte und dann mit den japanischen Eindringlingen, auch nicht, weil er den Parlamentarismus abgeschafft und versucht hatte, sich gut mit dem Militär zu stellen, sondern weil er die antikolonialen Bewegungen der dritten Welt anführte und genau wie die PKI Boden- und Eigentumsreformen erzwingen wollte. Washington sah voraus, dass Indonesien genau wie China an die Kommunisten verloren gehen würde. Nach der Domino-Theorie bestand die Gefahr, dass sich der Kommunismus wie ein Flächenbrand über die Philippinen, Südkorea, Thailand und, am aller schlimmsten, über Japan ausbreitete. Der Angriffskrieg der USA gegen Vietnam wurde zum Teil geführt, um einem solchen Szenario vorzubeugen. Der Kampf des Kalten Krieges gegen den Kommunismus – der weit mehr als diejenigen traf, die sich Kommunisten nannten – wurde natürlich nicht deshalb geführt, weil die USA Diktatur und Unterdrückung bekämpfen wollten. Sowohl die internationale wie die indonesische bürgerliche Klasse fürchteten eine Politik, die Ungerechtigkeit und Ungleichheit zu Lasten des Kapitals verringern würde und die die Fragen nach Macht und Eigentum zusammen mit der Nationalisierung der großen Naturreichtümer in den Mittelpunkt stellen würde.

Mit Hilfe der USA führte Suharto innerhalb von nur wenigen Monaten ein formidables Menschenabschlachten durch. Der Chef der indonesischen Sicherheitskräfte nannte im Jahr 2003 eine halbe Million Tote, eine Zahl, von der Amnesty International meinte, dass sie zu niedrig sei. In einem als geheim gestempeltes CIA-Protokoll, zitiert von Tariq Ali in „Der Kampf der Fundamentalisten“, heißt es: „Gemessen an der Zahl der Toten sind die indonesischen Massaker an PKI-Mitgliedern einer der schlimmsten Völkermorde des 20. Jahrhunderts zusammen mit den sowjetischen Säuberungen in den 1930er Jahren, den Massenmorden der Nazis im zweiten Weltkrieg und dem maoistischen Blutbad zu Beginn der 1950er Jahre.“ Die Quellenlage ist natürlich schwierig, aber in den letzten Jahren beginnt das Bild etwas klarer zu werden. Jan Halldin, Journalist bei Göteborgs-Posten, ist einer der wenigen Schweden, die sich überhaupt für den Völkermord interessiert haben. Er hat Vertreter indonesischer Menschenrechtsorganisationen interviewt, die über das Gemetzel an den Menschen forschen und Massengräber öffnen. Die schätzen die Zahl auf zwischen zwei und drei Millionen Tote (Göteborgs-Posten, 5. Februar und 20. Oktober 2002).

Amerikanische Elitemedien begrüßten den Völkermord. Nach Time Magazin war das die „Beste Nachricht seit Jahren in Asien“ und schrieb glücklich über „das heiße Blutbad, das 400 000 Leben kostete, und kaum jemand bemerkte es“. Selbst die New York Times war ganz außer sich, hat ihn aber mehrere Jahre später als „eine der barbarischten Massenabschlachtungen der Welt in der modernen politischen Geschichte“ bezeichnet.

Eine Ursache für die ausländische Einmischung war, außer der Domino-Theorie, der Reichtum Indonesiens an Öl und Mineralien. 1967 war Genf Gastgeber einer Konferenz, auf der die Großunternehmen die Naturreichtümer des Landes unter sich aufteilen durften – ein bisschen so wie in unseren Tagen der Wettlauf der Unternehmen im Irak.

Zehn Jahre später setzte Suharto seine Mordorgien in Osttimor fort. Das Motiv dafür waren dessen Unabhängigkeitserklärung und große Naturschätze. Nach Amnesty International kostete die indonesische Invasion am 7. Dezember 1975 einem Drittel der rund 600 000 Einwohner Osttimors das Leben. Die Invasion begann einen Tag, nachdem der Präsident der USA, Gerald Ford und Außenminister Henry Kissinger Jakarta besucht und Suharto ihre Unterstützung versprochen hatten. Der nächste Präsident Jimmy Carter gewährte Indonesien die entscheidende militärische Unterstützung, im direkten Gegensatz zu seiner offiziellen Linie, keine Regimes zu unterstützen, die gegen die Menschenrechte verstoßen. Großbritannien schickte mehrere Jahre lang Hawk-Kampfflugzeuge, während man gleichzeitig versicherte, dass die Zahl der Toten „übertrieben“ sei.

Die Generalversammlung der UNO verurteilte die Invasion, obwohl die USA und der größte Teil der amerikanischen Klientelstaaten in Europa, darunter Großbritannien, sich der Stimme enthielten. Schweden, das damals zum Unterschied zu jetzt fast immer die Befreiungsbewegungen in der dritten Welt unterstützte, stimmte für das Recht Osttimors auf Selbständigkeit. Aber Schweden begann bald, eine andere Rolle zu spielen.

1977 begann Indonesien, das auf einen massiven Widerstand des Volkes in Osttimor in Form von sogenannten Terroristen stieß, Waffenmangel zu leiden. Um ihnen zu helfen, schickte die Regierung Fälldin (damalige bürgerliche schwedische Regierung – Anm. d. Übers.) eine Ladung Bofors-Kanonen, weshalb das sozialdemokratische Reichstagsmitglied Mats Hellström die Regierung beschuldigte, sie verschließe die Augen vor dem „Völkermord“. Der zur Volkspartei gehörende Außenminister Hans Blix versuchte, ihn mit spitzfindigen Versicherungen zu beruhigen, in der Region gebe es weder Unruhen, Okkupation oder Krieg und die Waffen seien ausschließlich „defensiv“.

Wie aus der Anthologie „Das grausame Spiel“ (herausgegeben von Björn Larsson, 1985) war der schwedische Reiseverkehr nach Jakarta rege. Der zur Volkspartei gehörende Handelsminister Hadar Cars reiste 1977 mit einer Gang eifriger Waffenhändler von Bofors. Förenade Fabriksverken, Nitro Nobel, Saab und L.M. Ericsson. 1981 besuchten Prinz Bertil und Prinzessin Lilian (Angehörige des schwedischen Königshauses – Anm. d. Übers.) das Land aus gleichem Anlass. Drei Jahre später machte Finanzminister Kjell-Olof Feldt (Sozialdemokrat – Anm. d. Übers.) einen Tripp, der zu folgender Tagebuchnotiz führte: „Das soziale und politische System, das dieses (Indonesien) zusammenhält, verdient unseren Respekt, auch wenn seine Methoden nicht immer unserem Ideal entsprechen“.

Während Suhartos beiden letzten Jahren an der Macht exportierte die Regierung Persson (sozialdemokratisch – Anm. d. Übers.) immer noch Waffen, wenn auch der Umfang unbekannt ist, und tut es immer noch in ein Land, das zwar seinen Henker losgeworden ist, dessen Regime sich aber immer noch auf Bajonette stützt.

Was die Katastrophen der Jahre 1965 und 1975 zeigen, ist natürlich die wirkliche Außenpolitik der Westmächte jenseits aller Floskeln und Phrasen. Frappierend ist, dass Schwedens Waffenindustrie und Regierungen, gleich welcher Couleur, niemals daran gezweifelt haben, mit einer der grausamsten Militärdiktaturen zu verkehren.

Aber das Beispiel macht auch die Parallelen Antikommunismus-Antiterrorismus deutlich. Während des Kalten Krieges wurden alle, die sich den ökonomischen und strategischen Interessen widersetzten – Gewerkschafter, Bürgerrechtskämpfer, radikale Priester und Nonnen, Landlose, Nationalisten – zu „Kommunisten“ gestempelt. Ein Teil von ihnen nannte sich Kommunisten, aber auch innerhalb der Kategorie fand sich eine bunte Mischung aus Aktivisten, Parteien und Bewegungen mit unterschiedlichem Verhältnis sowohl zu Moskau wie auch zu Peking. Ebenso elastisch wird heute der Begriff „Terrorist“ benutzt (wofür Indonesien wiederum ein vergessenes Beispiel ist). Die Lehre ist gerade dieses selektive Schweigen. Das Gemetzel an Kommunisten und Terroristen – eingebildeten oder tatsächlichen – ist etwas, was niemals Gegenstand von Bildbänden oder Infotainmentsendungen des schwedischen Fernsehens am Sonnabendabend wird.

Übersetzung aus dem Schwedischen: Renate Kirstein

* Aus: Aftonbladet, Stockholm, 27. Oktober 2005



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