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Outsourcing der Folter

Senatsbericht über "verschärfte Verhörmethoden" bei der CIA: US-Geheimdienst ließ freiberufliche Ärzte und Psychologen Programm zum Quälen von Gefangenen entwickeln

Von Knut Mellenthin *

Es war alles noch viel schlimmer, als man es sich bisher vorgestellt hatte. Und die am Dienstag nach mehrmaligem Aufschub veröffentlichte, auf weniger als 500 Seiten herunterzensierte Fassung eines internen Senatsberichts von mehr als 6.700 Seiten über die Folterpraktiken der CIA verschweigt wahrscheinlich das Allerschlimmste. Der Senatsausschuss zur Kontrolle der US-Geheimdienste konstatiert in seinem Report, dass die Verhörmethoden, die zwischen September 2001 und Januar 2009 angewandt wurden, nicht nur »brutal« waren, sondern auch »weit schlimmer«, als die CIA gegenüber der Regierung und den Politikern zugab. Auch die Bedingungen, unter denen die Häftlinge im geheimen Anlagen über die ganze Welt verteilt gefangengehalten wurden, seien »strenger« gewesen als die CIA es darstellte. Abgesehen von den »verschärften Vernehmungen« waren die Häftlinge bei vollständiger Dunkelheit in Einzelzellen an die Wand gekettet, während sie ständig mit lauten Geräuschen oder Musik wach gehalten wurden. Das Fehlen von Heizungen führte zu Erkrankungen und in mindestens einem dokumentierten Fall zum Tod. Gefangene wurden zur Demütigung nackt herumgeführt oder mussten mit nach oben gefesselten Händen stundenlang stehen. Während der Folterverhöre wurden die Opfer bis zu 180 Stunden gewaltsam wach gehalten. In der Regel mussten sie dabei unerträgliche Stellungen einnehmen, teilweise mit über dem Kopf an die Wand geketteten Händen.

Die CIA setzte für die Planung, Steuerung und Beaufsichtigung der Folter freiberufliche Ärzte und Psychologen ein, die nicht zur Organisation gehörten und die riesige Honorare kassierten. Allein die beiden Psychologen, die das »Programm« entwarfen, weiterentwickelten und dabei »eine zentrale Rolle spielten«, wurden für ihre maßgebliche Beteiligung an den Verbrechen mit mehr als 80 Millionen Dollar entlohnt. Der Senatsbericht lässt keinen Zweifel, dass diese beiden Vertragspartner der CIA das gesamte »Programm« als ideales Feld für Menschenversuche zur Verbesserung der »Folterkunst« sahen. Auch Ärzte assistierten bei den Folterungen. Beispielsweise, indem sie Gefangene wieder »munter« machten, die aufgrund des tagelangen Schlafentzugs und des ständigen Stehens zusammenzubrechen drohten. Ab 2005 habe die CIA »buchstäblich alle Aspekte des Programms an fremde Kräfte vergeben«, heißt es im Senatsbericht.

Kein Wunder also, dass - ebenfalls dem Bericht zufolge - selbst die Spitze des Dienstes nicht über alles informiert war, was in den geheimen Folterknästen vor sich ging. Interne Kritik wurde systematisch unterdrückt, und die Kontrollabteilung der CIA, die solche Missbräuche verhindern sollte, wurde nur unzureichend informiert. Wahrscheinlich hat aber auch niemand gründlich und unerschütterlich nachgefragt und nachgeforscht. Mitarbeiter der Foltergefängnisse, die sich selbst nach den internen Regeln strafbar gemacht oder zumindest gegen ihre Dienstpflicht verstoßen hatten, wurden nur selten zur Rechenschaft gezogen.

Die »verschärften Verhörmethoden« seien darüber hinaus ineffektiv gewesen, wird im Senatsbericht bemängelt. Sie hätten im wesentlichen weder zur Verhinderung geplanter Anschläge noch zur Festnahme von mutmaßlichen Terroristen beigetragen. Viele Gefangene hätten unter der Folter falsche Angaben gemacht und dadurch beispielsweise unbegründete Alarmmeldungen ausgelöst. Die CIA habe die Effektivität dieser Methoden niemals wissenschaftlich untersucht. Interne »Einschätzungen« seien von denselben Leuten verfasst worden, die persönlich an den Folterungen beteiligt waren oder als freie Mitarbeiter riesige Summen damit verdienten.

Um in der Öffentlichkeit besser dazustehen, habe die CIA streng geheime Informationen an ausgewählte Journalisten weitergereicht. Meist handelte es sich dabei um Zusammenstellungen aus Gefangenenaussagen, die unter Folter zustande gekommen waren. Das Ziel der CIA bei diesen inszenierten »Leaks« war, mit Hilfe der Medien den Eindruck zu erwecken, dass Folter gerechtfertigt sei, da sie zu hervorragenden Ermittlungsergebnissen führe. In der Ära von Präsident George W. Bush beteiligten sich auch deutsche Medien an solchen abstoßenden Geschäften mit der CIA.

Der Senatsbericht wirft den verantwortlichen CIA-Leuten - kein einziger wird namentlich genannt - darüber hinaus vor, das Weiße Haus, den Nationalen Sicherheitsrat, das Justizministerium, das Büro des Generalinspektors ihrer eigenen Organisation und beide Häuser des Kongresses durch »ungenaue Behauptungen« über die Wirksamkeit ihrer Methoden getäuscht zu haben. Der Geheimdienstausschuss des Senats habe die 20 am häufigsten genannten Beispiele von angeblich auf Folter zurückzuführenden Ermittlungserfolgen untersucht. Sie alle seien »in wesentlichen Aspekten falsch« dargestellt gewesen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 11. Dezember 2014


Beleidigte Komplizen

Die polnischen Reaktionen auf den CIA-Report sind von Heuchelei geprägt

Von Reinhard Lauterbach **


Als die CIA 2002 auf dem Gelände einer polnischen Geheimdienstschule in dem masurischen Dorf Stare Kiejkuty eines ihrer »Detention sites« (Haftorte) eröffnete, regierten in Polen die Sozialdemokraten. Aleksander Kwasniewski war Präsident, Leszek Miller Premier. Beide haben sich nach einigen Versuchen des Leugnens zu ihren damaligen Entscheidungen bekannt, der CIA den Betrieb ihres Geheimgefängnisses zu erlauben. Sie stellten diese Einwilligung als Erfordernis des polnisch-amerikanischen Bündnisses dar.

Diese Linie vertritt die polnische Politik im Grundsatz auch heute noch. In seltener Einigkeit warnen Vertreter der Sozialdemokraten, der rechtskonservativen PiS und sogar der sich als Bürgerrechtspartei darstellenden Palikot-Bewegung Twój Ruch davor, nun die polnisch-amerikanische Zusammenarbeit in Frage zu stellen - auch die in Geheimdienstangelegenheiten. Für Ärger sorgt in Warschau allenfalls, dass Polen 2006 kalt erwischt worden sei, als die US-Regierung unter George W. Bush eigenmächtig zugab, dass es die Folterzentren gab. Man fühlt sich »instrumentell behandelt« und verlangt für die Zukunft mehr »Partnerschaft« von seiten der USA. Als Schritt in die richtige Richtung wird einzig gesehen, dass US-Präsident Barack Obama zu - in Europa - nachtschlafender Zeit bei der gegenwärtigen Premierministerin Ewa Kopacz anrief und sich vorab für den »Ärger« entschuldigte, den die Veröffentlichung des Senatsberichts womöglich der polnischen Regierung bereiten werde.

Offiziell stellt sich Polen trotz seines Strebens nach mehr Mitsprache - und das bedeutet auch Mitwisserschaft - als betrogene Unschuld dar, die über das, was sich in Stare Kiejkuty abspielte, durch die USA im unklaren gelassen worden sei. Dass das wohl von Anfang an nicht gestimmt hat, zeigen die Angaben, die der Senatsbericht über das Verhalten des - aus dem Kontext als Polen erkennbaren - »Landes X« während der Betriebszeit des Geheimgefängnisses macht: Danach hätten die Gastgeber die Zusammenarbeit zunächst schon nach einigen Monaten beenden wollen, seien dann aber durch eine Intervention des US-Botschafters in Warschau »ganz oben« umgestimmt worden. Eine Rolle dabei spielten offenbar auch 15 Millionen Dollar in bar, mit denen die Warschauer US-Botschaft die Schwarzgeldkasse des polnischen Geheimdienstes auffüllte.

Als besondere historische Ungerechtigkeit sieht Polen die Tatsache, dass es in der Zwischenzeit vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg einen Prozess verloren hat, den zwei frühere Häftlinge des polnischen Foltergefängnisses gegen Warschau angestrengt hatten. Das Land wurde verurteilt, jedem von ihnen rund 300.000 US-Dollar Haftentschädigung zu zahlen. Als dieses Urteil im Juli verkündet wurde, war die Entrüstung in Polen groß: Das Geld würde doch ohnehin nur in neue Anschläge gesteckt, lamentierten Politik und Presse unisono. Die konservative Zeitung Rzeczpospolita kommentierte den aktuellen Bericht im gleichen Sinne: Die USA seien seinerzeit in einer Notwehrsituation gewesen, und Not kenne eben kein Gebot. Einer der Zentralsprüche des polnischen Patriotismus lautet: »Für unsere und eure Freiheit.« Offenbar auch die zu foltern.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 11. Dezember 2014


Bush in den Bau

Reaktionen ***

Nach der Veröffentlichung des Senatsberichts über die Folterverhöre des US-Geheimdienstes CIA haben die Vereinten Nationen strafrechtliche Konsequenzen gefordert. »Jetzt ist die Zeit zu handeln - die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden«, forderte der UN-Sonderberichterstatter für Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte, Ben Emmerson, am Mittwoch. Der »Torture Report« belege, dass »systematische Verbrechen und grobe Verletzungen der internationalen Menschenrechtsgesetze« begangen worden seien. Amnesty International sprach von einem »Weckruf«. Jetzt müssten die ganze Wahrheit öffentlich gemacht, die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden und den Opfern Gerechtigkeit widerfahren.

Die US-Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) erklärte, es sei »empörend«, dass die US-Regierung unter Präsident George W. Bush »an diesen schrecklichen Verbrechen beteiligt« gewesen sei. Die britische Organisation Cage, die sich dem Kampf gegen den »Krieg gegen den Terror« verschrieben hat, erklärte, es gebe »klare Beweise«, die eine Strafverfolgung rechtfertigten.

Die chinesische Regierung forderte die USA zum Umdenken auf. Die Volksrepublik habe Folter stets abgelehnt, erklärte das Außenministerium in Peking am Mittwoch. »Wir glauben, die US-Seite sollte darüber nachdenken und ihre Methoden korrigieren sowie aufrichtig die Regeln entsprechender internationaler Konventionen respektieren und befolgen.« Die EU lobte derweil die Veröffentlichung als »positiven Schritt« bei der Anerkennung von Fehlern.

Frühere CIA-Agenten kritisierten den Bericht und verteidigten ihr Vorgehen. Der Report enthalte »Fehler« hinsichtlich Fakten und Interpretation der CIA-Arbeit und widerspreche »der Realität«, erklärte eine Gruppe früherer Agenten auf der Internetseite CIASavedLives.com (Die CIA hat Leben gerettet). Das CIA-Programm habe auch dabei geholfen, Al-Qaida-Chef »Osama bin Laden zu finden«. Die CIA-Vertreter betonten außerdem, dass Weißes Haus und Justizministerium von Beginn an eingebunden gewesen seien. Ex-CIA-Chef George Tenet erklärte, der Präsident habe das Programm geleitet. Auch die Kongressführung sei unterrichtet worden. In dem Senatsbericht heißt es hingegen, Bush habe erst im April 2006 von den »Verhörmethoden« erfahren.

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 11. Dezember 2014


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