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Tag des Flüchtlings für Vertriebene

Bundestag will UN-Gedenktag am 20. Juni ausweiten *

Seit Jahren fordern Vertriebenen-Vertreter einen nationalen Gedenktag für ihr Anliegen. Die Forderung war stets umstritten – vor allem wegen des heiklen Wunschtermins. Dieser wird nun offiziell aufgegeben.

Die Koalitionsfraktionen haben bei ihrer umstrittenen Forderung nach einem eigenen Gedenktag für das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen Zugeständnisse gemacht. Der Bundestag sprach sich am Donnerstag mit der Mehrheit aus Union und FDP dafür aus, den Weltflüchtlingstag am 20. Juni um das Gedenken an die Opfer von Vertreibung zu erweitern. Die Bundesregierung solle sich dafür bei den Vereinten Nationen einsetzen, hieß es in dem Beschluss. Damit rückte die Regierungsmehrheit von ihrem früheren Wunschtermin ab. SPD und Grüne enthielten sich, die Linkspartei stimmte dagegen.

2011 hatte Schwarz-Gelb noch einen nationalen Gedenktag am 5. August gefordert – dem Jahrestag der »Stuttgarter Charta« der Heimatvertriebenen. Opposition und Zentralrat der Juden hatten dies kritisiert, da in der Charta kein Bezug auf die der Vertreibung vorangegangenen Verbrechen Nazi-Deutschlands genommen werde.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, begrüßte das Abrücken vom 5. August: »Diese Charta war wirklich eine Charta der Nichtanerkennung des geschichtlichen Kontextes«, sagte er. »Hauptsache ist, dieser Gedenktag kommt«, sagte die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, die CDU-Abgeordnete Erika Steinbach.

Das Parlament würdigte zum 60. Jubiläum des Vertriebenengesetzes die Integration der Vertriebenen in die Bundesrepublik. Das Gesetz sei bis heute ein Dokument für gelebte nationale Solidarität, erklärte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in einer Regierungserklärung. »Die Integration der Vertriebenen und Spätaussiedler ist eine ganz großartige Erfolgsgeschichte«, betonte der SPD-Innenpolitiker Rüdiger Veit.

Das Gesetz war im Juni 1953 in Kraft getreten und regelte die Rechte der Millionen Deutschen, die infolge des Zweiten Weltkriegs aus ihrer Heimat in Mittel- und Osteuropa vertrieben wurden und in der Bundesrepublik neu angefangen haben.

Das Parlament beschloss auch eine Reform des Gesetzes mit neuen Härtefallregeln. So sollen Angehörige von Spätaussiedlern aus Osteuropa künftig auch ohne deutsche Sprachkenntnisse aufgenommen werden, wenn sie wegen einer Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage sind, die Sprache zu lernen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 14. Juni 2013


Weihe für Vertreibung

Von Uwe Kalbe **

In der nächsten Woche wird der Internationale Tag des Flüchtlings begangen. Ein Datum, an dem seit vielen Jahren auf die schreienden Ungerechtigkeiten aufmerksam gemacht werden muss, denen sich Menschen ausgesetzt sehen, die vor Mord und Totschlag, aber auch aus wirtschaftlicher Not die Flucht ergreifen. Insbesondere die Abschottungsmentalität der westlichen Welt, die sich den Flüchtlingen als Festung präsentiert, weckt hier Protest.

Ausgerechnet diesen Tag hat sich die Regierungskoalition ausgesucht, um dem Schicksal der deutschen Vertriebenen nun auch international eine nachträgliche Weihe zu verleihen. Es ist geradezu infam, das zweifellos schlimme Schicksal auch der deutschen Vertriebenen für eine Art nationaler Aufwertung zu missbrauchen, von der die einstigen Flüchtlinge nichts mehr haben, die heutigen Flüchtlinge aber in den Hintergrund gedrängt werden. Nach deren Erniedrigung und Diffamierung als angebliche Schmarotzer in den deutschen Sozialsystemen folgt nun ihre erneute Herabsetzung. Denn was sonst bliebe von diesem Tag, wenn Konservative diesen zur öffentlichen Klage über das Schicksal der Vertriebenen nutzten? Alle Vorwürfe gegen den Bund der Vertriebenen und seine politischen Stützen finden hier ihre Bestätigung. Dass mit verschiedenem Maß gemessen wird. Nach den Opfern der Nazis sind es nun die heutigen Flüchtlinge, die herabgesetzt werden. Im Namen des angeblich vakanten Rechts ehemaliger Flüchtlinge.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 14. Juni 2013 (Kommentar)


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