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Haftgrund Asylantrag

Abschreckung durch Knast: Neue Richtlinie der Europäischen Union droht Flüchtlingen mit Dauerhaft

Von Ulla Jelpke *

Politisch Verfolgte genießen Asyl – und können in Zukunft europaweit in Gefängnisse gesteckt werden. Das sieht eine Richtlinie der Europäischen Kommission vor, die noch in diesem Jahr beschlossen werden soll.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl sammelt derzeit Unterschriften, um die EU-Parlamentarier davon abzuhalten, einer geplanten Neufassung der sogenannten Aufnahmerichtlinie zuzustimmen. Mit dieser sollen die bislang innerhalb der Europäischen ­Union höchst unterschiedlichen Standards bei der Aufnahme von Asylsuchenden »harmonisiert« werden. Dagegen haben Flüchtlingsgruppen im Prinzip nichts einzuwenden, aus ihrer Sicht orientiert sich die Vereinheitlichung aber an jenen Staaten, die eine besonders restriktive Gesetzgebung haben. Das schlägt sich in einer umfassenden Liste möglicher Gründe für eine Inhaftierung Asylsuchender nieder. Das fängt mit der Identitätsfeststellung an. »Viele Menschen erhalten in Verfolgerstaaten keine Papiere oder können nur mit gefälschten Dokumenten entkommen«, erläutert Pro Asyl – in der EU kann das dann zur Inhaftierung ausreichen. Einen Haftgrund stellt auch die »Prüfung des Einreiserechts« dar, ebenso eine »verspätete Asylantragstellung«. Für besonders bizarr hält Pro Asyl den Haftgrund der »Beweissicherung« im Asylverfahren. Eine Generalklausel zur Inhaftierung ist die »Gefährdung der nationalen Sicherheit und Ordnung«, die nicht weiter definiert wird. Die Inhaftierungsregelungen erlauben nach Ansicht von Pro Asyl, jeden Asylsuchenden zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens in Haft zu nehmen – Kinder und Jugendliche eingeschlossen.

Damit werden Zustände, wie sie etwa in Malta herrschen, praktisch zur Norm erklärt: Dort werden ankommende Flüchtlinge bis zu 18 Monate »grundsätzlich in geschlossenen Einrichtungen untergebracht«. Kinder sind – bislang – von dieser Maßnahme ausgeschlossen. Auch Griechenland sperrt Flüchtlinge gerne ein, etwa zur Identitätsüberprüfung, »insbesondere, wenn es zu einer massenhaften Einreise kommt«. Das hat die Bundesregierung auf eine aktuelle kleine Anfrage der Linksfraktion geantwortet. 12 von 27 EU-Staaten kennen Regelungen, die eine Inhaftierung von Flüchtlingen wegen »asyltypischer« Umstände vorsehen. Die neue Richtlinie faßt sie alle zusammen. Von den Innenministern der EU-Staaten ist sie bereits einstimmig verabschiedet worden, auch im zuständigen Ausschuß des Europäischen Parlaments hat sie eine Mehrheit gefunden. Eine ursprünglich im Plenum für diese Woche vorgesehene Abstimmung wurde von der Tagesordnung genommen.

Die Linksfraktion im Bundestag hat die Neuregelung scharf kritisiert. Menschen, die vor Unsicherheit und Unrecht fliehen, dürften nicht leichtfertig ihrer Freiheit beraubt werden, »als handele es sich um rechtlose Kriminelle«. Die Bundesregierung hat dazu »eine neutrale Position« eingenommen, so ihre Eigendarstellung. Sie hat außerdem angekündigt, von diesen Regelungen keinen Gebrauch zu machen. Diese Zusicherung ist allerdings für künftige Regierungen nicht bindend. Wie Pro Asyl fordert auch die Linksfraktion ein »Verschlechterungsverbot«: Die Angleichung des Asylsystems der EU-Staaten dürfe nicht dazu führen, daß neue Haftgründe eingeführt würden.

* Aus: junge Welt, Freitag, 18. Januar 2013


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