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Die Münchner Flüchtlinge im trockenen Hungerstreik wollten sogar ärztliche Versorgen verweigern *

Um ein menschenwürdiges Leben in Deutschland zu erkämpfen, riskieren die Flüchtlinge in München ihren Tod.

Die Situation der protestierenden Flüchtlinge wird immer dramatischer. In der Nacht zum Freitag mussten zwei der rund 50 Hungerstreikenden, die auch nichts trinken, wiederbelebt werden, mindestens 20 wurden in Krankenhäusern wegen Austrocknung und Kreislaufproblemen behandelt. Dies geschehe, »während die Regierung zahlreiche Versuche unternimmt, diesen Protest ohne jegliche Gegenleistung zu stoppen, anstatt Verantwortung zu übernehmen und eine Lösung zu finden«, heißt es in einer Erklärung.

»Die deutsche Regierung muss erkennen, dass politische Spiele vorüber sind und dass es nur zwei Einbahn-Straßen zu beschreiten gibt«, teilte die Gruppe mit, die auch auf das Schicksal von Bobby Sands und Holger Meins verweist. Der IRA-Mann Sands war 1981 nach 66 Tagen an den Folgen seines Hungerstreiks in einem Gefängniskrankenhaus gestorben; Meins gehörte der RAF an und starb 1974 an den Folgen seines wochenlangen Hungerstreiks.

Auf die radikale Führung ihres Protests und die Ankündigung der Flüchtlinge, ärztliche Behandlungen zu verweigern, reagierte Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) am Freitag mit der Einsetzung eines sogenannten Stabs für außergewöhnliche Ereignisse. In diesem sind das Sozialreferat, das Jugendamt, das Referat für Gesundheit und Umwelt, die Polizei, die Regierung von Oberbayern, das bayerische Sozialministerium sowie das Innenministerium und die Kassenärztliche Vereinigung vertreten.

Ziel sei es sicherzustellen, »dass die ärztliche Betreuung der stark geschwächten Flüchtlinge wie auch das Wohl der Kinder gewährleistet ist«. Das Kreisverwaltungsreferat habe einen Bescheid erlassen, »dass Ärzten, den Mitarbeitern von Rettungsdienst und Feuerwehr sowie dem Stadtjugendamt jederzeit der Zutritt zum Lager zu gewähren ist. Zudem wurde eine weitere Verstetigung des Lagers untersagt.« Am Nachmittag ließen die Flüchtlinge dann wieder medizinische Betreuung zu. »Es hat keine Probleme gegeben«, sagte Stadtsprecher Stefan Hauf am Abend. Ärzten sei der Zugang nicht verwehrt worden.

In Düsseldorf wurde am Freitag aus Solidarität die Ausländerbehörde für mehrere Stunden besetzt. »Ziel dieser Besetzung ist es, Aufmerksamkeit auf den Hungerstreik von Asylsuchenden in München zu lenken«, hieß es in einer Information auf Twitter. In Berlin war für den Freitagnachmittag eine Solidaritätskundgebung vor der bayerischen Landesvertretung angekündigt.

Die LINKE im Freistaat hat inzwischen Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) scharf kritisiert. Die CSU-Frau agiere »ohne Mitgefühl und Verantwortung«, erklärte die Landesvorsitzende Eva Bulling-Schröter. Die Ministerin zeige zudem nicht zum ersten Mal, dass sie die Notlage von Flüchtlingen nicht im Geringsten nachvollziehen kann. Ohne Grund beginne niemand einen lebensgefährlichen Hungerstreik, so Bulling-Schröter. Haderthauer hatte den Abbruch des Protestes gefordert. »Hierzulande ist Politik nicht erpressbar, wir leben in einem Rechtsstaat, wo man sich nicht durch Hungerstreiks eine Vorzugsbehandlung erzwingen kann«, so die CSU-Politikerin.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 29. Juni 2013


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