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"Man wird ihn zum Schweigen bringen wollen"

Heute Abschiebung in den Sudan geplant. Gegen dessen Präsidenten liegen internationale Haftbefehle vor. Ein Gespräch mit Maissara M. Saeed *


Maissara M. Saeed flüchtete 2010 aus dem Sudan und hat im September 2012 politisches Asyl in Deutschland erhalten. Als Mitglied der sudanesischen Community in Deutschland klärt er über die Zustände in seinem Herkunftsland auf.

Am heutigen Freitag will die Ausländerbehörde Bitterfeld den 38jährigen Osman Tigani in den Sudan nach Darfur abschieben lassen. Dabei rät selbst das Auswärtige Amt aufgrund der militärischen Auseinandersetzungen von Reisen dorthin ab. Wie ist dort die aktuelle Situation?

Nicht nur die Darfur-Re­gion brennt lichterloh. Seit der Teilung des Sudan ziehen sich entlang des gesamten Grenzgebietes und weiter Landesteile schwere gewaltsame Konflikte. Auch die Blue Nil Region, Südkordofan und weitere Regionen befinden sich im Kriegszustand. Der sudanesische Präsident Omar Al-Bashir ist ein Verbrecher. Seine Milizen sind verantwortlich für die Ermordung von Kindern und Studenten, die Vergewaltigung von Frauen, Folter und die Verletzung von Menschenrechten. Beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag liegen gegen ihn Haftbefehle vor, veröffentlicht am 4. März 2009 und am 12. Juli 2010. Vorgeworfen werden ihm innerhalb des Darfur-Konflikts seit 2003 Völkermord, Vertreibung, Zwangsumsiedlung und Folter.

Die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge Hamburg hat am Donnerstag im offenen Protestbrief an das Innenministerium Sachsen-Anhalt davor gewarnt, Osman Tigani in ein Land zu schicken, wo ihn der sichere Tod erwartet.

Wir fordern, diese Abschiebung sofort zu stoppen. Zu erwarten ist, daß Sicherheitskräfte Osman in Darfur unmittelbar nach seiner Ankunft festnehmen und ermorden werden. Bekannt ist dort nämlich, daß er gemeinsam mit unserer sudanesischen Community in Deutschland über die Verbrechen der Regierung Sudans gegen die Zivilbevölkerung informiert. Man wird ihn zum Schweigen bringen wollen.

Es ist ein Skandal, daß ein Flüchtling in ein Land abgeschoben werden soll, dessen Präsident mit internationalem Haftbefehl gesucht wird. Schlimmer noch! Festzuhalten ist: Der Sudan wird von einer Gruppe Krimineller regiert. 51 Personen stehen im Fall Darfur beim IStGH unter Tatverdacht, mehrheitlich in der sudanesischen Regierung vertreten. Auch der sudanesische Verteidigungsminister ist vorgeladen worden. All das ignoriert die Ausländerbehörde Bitterfeld. Sie will Osman Tigani, der 2004 aus dem Kriegsgebiet nach Deutschland floh, um 21.40 Uhr im Flughafen Berlin-Schönefeld ins Flugzeug setzen. Seit acht Jahren hat er gehofft, sein Leben hier neu beginnen zu können. Jetzt ist er in Lebensgefahr.

Stehen Sie mit ihm in Kontakt?

Seit zwei Tagen haben wir keinen Kontakt mehr zu ihm. Er sitzt in Abschiebehaft im Dessauer Gefängnis. Anfang der Woche wurde er im Ausländeramt Bitterfeld festgenommen, als er seine »Duldung« verlängern mußte. Jetzt beabsichtigt man, ihn auf die Schnelle zu deportieren – um erst gar keine größeren Proteste aufkommen zu lassen. Dennoch haben viele Aktivisten bereits im Innenministerium angerufen – und auf einen Abschiebestopp in den Sudan bestanden.

Auf Nachfrage von junge Welt hat der zuständige Abteilungsleiter für Verwaltungs- und Hoheitsangelegenheiten im Innenministerium Sachsen-Anhalt, Klaus-Dieter Liebau, zugesagt, aufgrund der Proteste die Sachlage intensiv zu prüfen. Man wolle Auskünfte vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einholen, vom Ausländeramt Bitterfeld, sowie vom Auswärtigen Amt. Bei Redaktionsschluß war die Prüfung noch nicht abgeschlossen.

Wir sind entsetzt darüber, daß man im Innenministerium so tut, als sei man über die Situation im Sudan nicht im Bilde. Wir fordern alle Unterstützer dazu auf, den Innenminister Holger Stahlknecht weiterhin mit Protestanrufen zu erinnern: Wir werden es nicht hinnehmen, daß er sich auf diese Weise aus der Verantwortung stehlen will. In dem Zusammenhang ist zu sagen: Erst Anfang vergangener Woche, am 29. Januar, hatte die sudanesische Community in Berlin demonstriert, weil das deutsche Außenministerium zu einer Konferenz eingeladen hatte, bei der der sudanesische Außenminister zu Gast war. Dabei ging es um die finanzielle Unterstützung der Regierung des Präsidenten Omar Al-Bashir. Unserer Meinung nach beteiligt sich Deutschland auf diese Weise am Morden und Foltern im Sudan.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, Freitag 8. Februar 2013


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