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Rechts in der Mitte

Jahresrückblick 2014. Heute: Flüchtlingshetze. Wenn Neonazis und "Wutbürger" gemeinsam marschieren – die neue Welle des Fremdenhasses

Von Susan Bonath *

»Nein zum Heim«-Märsche, randalierende »Hooligans gegen Salafisten« (HoGeSa) und Islamgegner, die in Dresden kurz vor Weihnachten über 15.000 Menschen mobilisierten: In diesem Jahr ist die Hemmschwelle vieler Bürger, mit Neonazis zu marschieren, weiter gesunken. Steigende Flüchtlingszahlen und soziale Verunsicherung nutzten die Rechten, um Fremdenhass in der »Mitte« zu schüren. Dies ist nicht nur im Sinne von NPD und AfD, sondern ganz auf dem Kurs von CDU und CSU.

Unter dem Deckmantel von »Bürgerinitiativen« machten sich Rechte bereits 2013 salonfähig. Über 50 Gruppen schossen bundesweit wie Pilze aus dem Boden. In einigen zogen Neonazis offen die Fäden, in anderen mimten die Organisatoren »besorgte Bürger«. Mancherorts trommelten sie Dutzende, anderswo Hunderte zu Aufmärschen gegen Flüchtlingsheime zusammen. Ihr Konzept: frustrierte Bürger zunächst bei Facebook sammeln, um sie dort gegen die vermeintlichen Verursacher allen Übels aufzustacheln: unliebsame Flüchtlinge.

Chemnitz, Plauen, Rackwitz, Rötha, Leipzig: Erfolg hatten die Rechten zu einem großen Teil in Sachsen. In die Schlagzeilen geriet die Kleinstadt Schneeberg im Erzgebirge. Dort zieht bis heute der NPD-Funktionär Stefan Hartung die Fäden in der Gruppe »Schneeberg wehrt sich«. Vor einem Jahr lotste er 1.800 Menschen zu Fackelzügen gegen eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. Neonazis und Bürger marschierten gemeinsam gegen »Überfremdung« und »kriminelle Ausländer« durch die Straßen. Zu Beginn dieses Jahres flauten die Proteste in der 14.000-Einwohnerstadt ab. Mehrere Neuauflagen Anfang und Ende 2014 zogen aber noch immer einige hundert Menschen an.

»Nein zum Heim«-Initiativen und »Bürgerwehren« hetzen bis heute im Netzwerk Facebook gegen Flüchtlinge. In Berlin, Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Bayern und Baden-Württemberg sind sie aktiv. Mit Parolen wie »Asylantenheim – nein danke« und Deutschlandfahnen erreichen sie zwischen wenigen hundert bis zu 10.000 Menschen. Ihr neues Aktionsfeld: Werbung für HoGeSa und PEGIDA (»Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes«).

Während in Nordrhein-Westfalen – unter anderem in Burbach und Essen – Fotos der von Wachleuten misshandelten Flüchtlinge auftauchten, in Halle (Saale) Roma auf offener Straße angegriffen wurden und in Berlin und Sachsen Bürger weiter gegen Asylsuchende zu Felde zogen, trommelte HoGeSa radikale, gewaltbereite Hooligans und Neonazis zusammen. Ende Oktober gelang es der Gruppe, knapp 5.000 Anhänger nach Köln zu mobilisieren. Der Aufmarsch endete mit einer Gewaltorgie: Brandsätze flogen, Medienvertreter und Polizisten wurden attackiert.

In Dresden sprang derweil Lutz Bachmann in die Spur. Der wegen Einbruchs und Drogendelikten Vorbestrafte ist nach außen hin PEGIDA-Kopf. Auch er mobilisierte vor allem über Facebook. Zudem instrumentalisierte er den historischen »Protestmontag« für seinen »Kampf« gegen die vermeintlichen Übeltäter: radikale Islamisten, »kriminelle Ausländer«. Bachmann und Mitorganisatoren hängten sich den bürgerlichen Mantel um. Ein 19-Punkte-Programm skizziert auffällig seicht das Feindbild. Anfangs spricht man sich dort für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus. Um später zu dekretieren: Null Toleranz, schnellere Abschiebung, mehr Polizei und natürlich gegen den Islam. Die »christlich-jüdische Kultur des Abendlandes« müsse erhalten werden, heißt es. PEGIDA wuchs in nur neun Wochen: Alte, Junge, Mütter und Väter mit Kindern und Gruppen organisierter Neonazis marschierten Hand in Hand. Aufgestellt als Montagsevent für den Erhalt »deutscher Kultur« wirbt Bachmann mit PEGIDA-Kärtchen und aktuell mit einem »Weihnachtssingen« am kommenden Montag.

Interessant ist der politische Umgang mit PEGIDA. Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) sucht den Dialog. Sie will ein Bürgertelefon zum Thema Asylbewerber schalten. Auch Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) zeigt »Verständnis«. Die Innenminister der Länder beließen es bisher bei einer Distanzierung, ihr Bundeschef Thomas de Maizière will PEGIDA »die Hand reichen«. Die NPD und Teile der AfD werben offensiv um die Islamgegner.

Die Politik hat, 20 Jahre nach der von Medien konzertierten Hetzkampagne »Das Boot ist voll«, ihren Anteil am Hass auf den Islam. Die Bundesregierung schränkte das Asylrecht weiter ein, schürt Angst vor »Salafisten«, fordert »Sondereinheiten« gegen »kriminelle Ausländer« und Sonderausweise für »Islamisten«, sorgt für marode Massenunterkünfte in sozialen Brennpunkten, in denen Flüchtlinge oft über Jahre hausen müssen, und übergeht die schlechte Finanzierung der Kommunen.

Vor allem die CSU fungiert als mainstreamfähiges rechtes Sprachrohr. Im Juni gründete sich in ihren Reihen die Initiative »Konservativer Aufbruch«, die sich vor allem auf Migranten stürzt. Die sich als »Basisbewegung für Werte und Freiheit« verstehende Gruppe wettert gegen einen vermuteten »Linksruck« in CDU und CSU. Mit Forderungen nach mehr Markt will sie zu »deutschen Werten« zurück. Zudem fischt sie im braunen Sumpf der AfD, sucht Gespräche mit deren Protagonisten. Ihr Schlachtruf lautet: »Illegale Einwanderung stoppen«. »Hartes Durchgreifen«, Erhalt der Massenunterkünfte und »strikte Durchsetzung des Dublin-Abkommens«, wonach Flüchtlinge in das europäische Erstaufnahmeland zurückgewiesen werden müssen, stehen auf dem Programm des »Konservativen Aufbruchs«. Auch Balkan-Flüchtlinge seien schnellstens auszuweisen. Und die CSU zieht nach: »Wir können nicht alle aufnehmen, die zu uns wollen«, tönte im November der Generalsekretär der Partei, Andreas Scheuer, in einem Papier. Jüngst feierte der rechte Flügel die Forderung der Christsozialen, Migranten dazu zu zwingen, nicht nur auf der Straße, sondern auch zu Hause deutsch zu sprechen.

Und während in Bayern Anfang Dezember Asylbewerberunterkünfte brannten, in Berlin-Marzahn wöchentlich »besorgte Bürger« gegen Migranten demonstrieren, immer neue Gruppen gegen die Ärmsten der Armen wüten und Deutschland weiter Waffen in Kriegsgebiete liefert, tauchte kürzlich »Rassenkundler« Thilo Sarrazin aus der Versenkung auf. Diesmal fabulierte er nicht über »dumme Araber«, »schlaue Westdeutsche« oder undankbare Hartz-IV-Bezieher. Vielmehr wetterte er über eine angebliche »Überfremdung« der Berliner Polizei. Die soll schließlich Jagd auf Fremde machen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 19. Dezember 2014


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