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Immer mehr Tote

Flüchtlingsdrama in Ceuta: Zahl der Opfer steigt auf mindestens 13

Von André Scheer *

Die Zahl der am Donnerstag bei dem Versuch, die Grenze zwischen Marokko und der spanischen Kolonie Ceuta zu überwinden, getöteten Menschen (jW berichtete) ist bis Freitag auf mindestens 13 gestiegen, meldete der spanische Rundfunk RTVE. Und noch immer werden mehrere Personen vermißt.

Inzwischen verdichten sich die Anzeichen dafür, daß die spanische Guardia Civil direkt mitverantwortlich für die Katastrophe ist. Zunächst hatten die Behörden behauptet, an der Abwehr der Flüchtlinge seien nur marokkanische Sicherheitskräfte beteiligt gewesen. Inzwischen mußte die Regierung jedoch einräumen, daß die spanischen Beamten mit Gummigeschossen und Rauchbomben auf die Fliehenden gefeuert haben. Während Madrid darauf beharrt, daß die Polizisten nur zur Warnung in die Luft geschossen hätten, als sich die Menschen noch an Land befanden, veröffentlichte das Internetportal eldiario.es Aussagen von Überlebenden. So berichtete der aus Kamerun stammende Louis: »An diesem Morgen versuchten wir, 250 Personen, die im Gebirge in Grenznähe leben, den Übergang zu betreten und stießen dabei mit der Polizei zusammen. Sie haben uns nicht durchgelassen, und daraufhin gab es einige Tumulte. Danach sind wir zum Strand gelaufen, und rund 200 von uns sind ins Wasser gesprungen. Die Guardia Civil hat uns aufgehalten, sie hat uns viel stärker attackiert als die marokkanische Polizei. Sie haben Gummigeschosse abgefeuert, die die Reifen zerstört haben, an denen sich einige von uns festhielten. Zudem haben sie Tränengas auf uns abgeschossen.« Ein weiterer Flüchtling wies die Darstellung der spanischen Behörden zurück, man habe so gewaltsam vorgehen müssen, weil sich die Menschen aggressiv verhalten hätten: »Wir kamen mit leeren Händen, wir hatten keine Gegenstände dabei.«

Der Regierungschef von Ceuta, Juan Vivas, wies diese Berichte im Rundfunksender Onda Cero zurück. Zwar seien »Räumungsmittel« eingesetzt worden, um »die Ordnung wiederherzustellen«, aber diese hätten sich »in keinem Fall gegen die Immigranten gerichtet, um ihnen Schaden zuzufügen, sondern sie sollten die Unversehrtheit der Grenze sicherstellen«.

Einem Bericht der rechten Tageszeitung ABC zufolge warten derzeit rund 1000 Menschen an der Grenze zu Ceuta auf marokkanischem Gebiet auf eine Möglichkeit, in das Gebiet der Europäischen Union zu gelangen. Ihre Lage ist verzweifelt: Während die marokkanische Polizei immer wieder gegen die Camps der Flüchtlinge vorgeht und diese in die Wüste treibt, werden die von der EU finanzierten Grenzanlagen immer undurchdringlicher. Zudem hat die Guardia Civil als Reaktion auf die Ereignisse vom Donnerstag die Überwachung der Grenze weiter verschärft, um »einen weiteren Überfall zu verhindern«, wie es im Behördenjargon heißt. Es fehlte auch nicht die Erfolgsmeldung, daß »keiner der Immigranten sein Ziel erreicht hat, nach Ceuta zu kommen«.

Zahlreiche Organisationen und die Oppositionsparteien im spanischen Parlament haben darauf mit Empörung reagiert. So warfen die Flüchtlingsschutzkommission ­CEAR und die Kinderrechtsorganisation ­PRODEIN der spanischen Regierung schwere Menschenrechtsverletzungen vor. Während die sozialdemokratische PSOE verlangte, Innenminister Jorge Fernandez Díaz solle sich vor dem Parlament rechtfertigen, forderte die Vereinigte Linke (IU) direkt dessen Rücktritt sowie eine internationale Untersuchung des Dramas durch die Vereinten Nationen. »Es ist kein Zufall, daß diese Ereignisse mit der erneuten Massenankunft von Migranten in Lampedusa und an anderen europäischen Grenzen zusammenfallen. Afrika wird verwüstet durch die Ausplünderung seiner Bodenschätze, durch die ungerechten Handelsbeziehungen und durch Kriege und Interventionen, die in einigen Fällen von der Europäischen Union getragen werden. Angesichts dieser Realität beweist die EU ihren egoistischen und verlogenen Charakter. Während sie einen Diskurs des Respekts für die Menschenrechte führt, errichtet sie eine Festung Europa, die nur mit Repression auf die Migra­tion an ihrer Grenze reagiert«, heißt es in der Stellungnahme der IU.

* Aus: junge Welt, Samstag, 8. Februar 2014


Krieg gegen Flüchtlinge

Tote in Ceuta und Hamburg

Von Carmela Negrete **


Die Tatsache, daß die meisten überregionalen Tageszeitungen in Deutschland am Freitag darauf verzichtet haben, den Brand in einer Flüchtlingsunterkunft in Hamburg, bei dem drei Menschen getötet wurden, auf ihre Titelseiten zu nehmen, mag man damit entschuldigen, daß bei Redaktionsschluß noch nicht offiziell bekannt war, daß es sich offenbar um Brandstiftung gehandelt hat. Doch daß dieselben Medien den Tod von mindestens 13 Menschen an Europas Südgrenze kaltschnäuzig ignoriert haben, ist ein echter Skandal. Insbesondere, weil inzwischen immer klarer wird, daß das Eingreifen der spanischen Guardia Civil, die mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Flüchtlinge in Ceuta vorgegangen ist, eine entscheidende Rolle für das Ausmaß der Katastrophe gespielt hat. Mehrere Augenzeugen haben berichtet, daß die Polizei auch noch auf die im Wasser schwimmenden Menschen geschossen hat.

Nach dem ersten Schock kamen am Donnerstag und Freitag praktisch stündlich neue, immer erschreckendere Einzelheiten über die Ereignisse ans Licht. So mußte das Innenministerium in Madrid nach erstem Leugnen den Einsatz von Aufstandsbekämpfungswaffen zugeben.

Am gesamten Verlauf der Grenze zwischen Ceuta und Marokko sind hochmoderne Kameras installiert worden, für die 1,2 Millionen Euro ausgegeben wurden, und die sogar die Körpertemperatur der Menschen messen, die versuchen, die Sperranlagen zu überwinden. Trotzdem werden von den Ereignissen des Donnerstags keine Bilder veröffentlicht. Statt dessen vertröstet Spaniens Innenminister auf den kommenden Donnerstag, dann werde er die »Tragödie« erklären. Dieses Wort, das die spanischen Medien unverändert aus den Pressemitteilungen der Regierung übernommen haben, erweckt den Eindruck, daß es sich um ein unvermeidliches Unglück gehandelt habe. Tatsächlich aber sind die Katastrophe und der Tod von mindestens 13 Menschen jedoch das Ergebnis einer Situation, die »Ärzte ohne Grenzen« und andere humanitäre Organisation seit langem anprangern.

Erst Lampedusa und nun Ceuta. Doch schon seit geraumer Zeit kennt jeder, der die meist in den Randspalten der europäischen Zeitungen versteckten Meldungen verfolgt, Begriffe wie illegale Abschiebung, Tod in der Wüste, Mißhandlungen durch die Polizei, Hunger, Durst, Folter. Viele Menschen in Europa – auch solche, die sich für Linke halten – kritisieren gerne die USA und deren Migrationspolitik an der Grenze zu Mexiko. Zugleich schweigen sie aber zu dem, was an den Südgrenzen Europas passiert, in den von tödlichen, mit Stacheln gespickten Zäunen umgebenen Städten unter spanischer Kontrolle. Nach und nach greift EU-Europa zu immer schrecklicheren Praktiken – und führt einen Krieg gegen Menschen, deren einziges Verbrechen es ist, arm zu sein und zu versuchen, vor Elend und Krieg in die reiche Welt zu fliehen.

** Aus: junge Welt, Samstag, 8. Februar 2014


Brandstiftung wahrscheinlichste Ursache

Nach dem Feuer in einem Hamburger Flüchtlingsheim mit drei Toten gestaltet sich die Aufklärung schwierig

Von Claudia Wrobel ***


Bei dem Feuer in einer Flüchtlingsunterkunft in Hamburg am Mittwoch abend, bei dem eine Frau und zwei Kinder starben (jW berichtete), vermutet die Polizei Brandstiftung als wahrscheinlichste Ursache. Dies bestätigte der Sprecher der Behörde, Holger Vehren, am Freitag gegenüber junge Welt. »Auch ein technischer Defekt kann noch nicht vollständig ausgeschlossen werden«, so Vehren weiter. Deshalb wird sowohl wegen vorsätzlicher wie auch wegen fahrlässiger Brandstiftung ermittelt.

Christiane Schneider, flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, sagte im Gespräch mit junge Welt: »Auch wenn wir die Ursache für das schreckliche Feuer noch nicht genau kennen, bin ich sehr besorgt wegen der bedrohlichen Entwicklung – bundesweit und hier in Hamburg.« Selbst wenn sich herausstellen sollte, daß es sich um einen technischen Fehler gehandelt habe, sieht Schneider die politisch Verantwortlichen in der Pflicht: »Bewohner des Hauses haben mir geschildert, wie marode das Gebäude war. Generell sind die Lebensbedingungen in den Flüchtlingsunterkünften sehr beengt und sehr schlecht.« Sie könne sich auch vorstellen, daß der schlechte Zustand des Hauses dazu beitrage, daß die Brandursache immer noch nicht restlos geklärt werden könne.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl verweist in einer Erklärung darauf, daß sich die Zahl der rassistisch motivierten Attacken auf Unterkünfte von Asylsuchenden 2013 im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt hatte. Bis Ende November 2013 registrierte die Bundesregierung 42 Angriffe und Anschläge, 2012 waren es 24.

Am Donnerstag abend versammelten sich nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa rund 150 Menschen vor der Brandruine und gedachten der Toten. Für Samstag rufen verschiedene Gruppen gemeinsam zu einem Trauermarsch auf.

*** Aus: junge Welt, Samstag, 8. Februar 2014


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