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Koloniale Interessen

Konferenz der Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg: Eigenständiges Afrika widerspricht Profitstreben der EU

Von Martin Dolzer *

Am Sonnabend nahmen 200 Menschen im Akonda-eine-Welt-Café in Hamburg am zweiten Tag einer Konferenz der libyschen Kriegsflüchtlinge »Lampedusa in Hamburg« unter dem Motto »Der Europäische Krieg gegen Flüchtlinge – das stille Sterben in den Lagern« teil. Am vergangenen Wochenende hatte die Konferenz mit dem Schwerpunkt »Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört« begonnen. Im Foyer des Tagungsraums war nun die Ausstellung »We want our life back« zu sehen, die Mitglieder der Lampedusa-Gruppe im Rahmen einer Wahrheitskommission erstellten. Auf zwölf Tafeln werden deren Fluchtgeschichte, die Situation für Flüchtlinge in Italien sowie die Hintergründe des Krieges in Libyen gezeigt.

In ihrem Einführungsbeitrag skizzierte die Schriftstellerin Rosa Amelia Plumelle-Uribe u.a. Auswirkungen deutscher Kolonialpolitik in Afrika. »Unter General von Trotha z.B. führten deutsche Truppen 1904 einen Genozid gegen die Herero und die Nama in Namibia durch. 80 Prozent der Hereros wurden systematisch ermordet und in die Wüste getrieben, während man gleichzeitig die Brunnen vergiftete. Die wenigen Überlebenden hielt man in Konzentrationslagern gefangen.« Leitlinien der Kolonialpolitik seien die Sicherung von Ressourcen durch Unterwerfung oder Ausrottung der Urbevölkerung und systematische Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen. Deutschlands Kolonialpolitik konnte erst im Ergebnis des Ersten Weltkriegs eingedämmt werden.

Berichte über die Auswirkungen der Ideologie der Ausbeutung tilgen sämtliche europäischen Kolonialmächte aus den Geschichtsbüchern. Politiker, die eine afrikanische Entwicklung voranbringen wollten, ließen die Hegemonialmächte immer wieder ermorden. »Die EU und die NATO führten den Krieg in Libyen, um eine eigenständige Entwicklung des Kontinents zu verhindern. Libyen war im Begriff, gemeinsam mit weiteren Staaten eine unabhängige Afrikanische Zentralbank samt eigener Währung aufzubauen. Das konnte in der profitorientierten Logik der Politik der EU, der USA sowie des IWF nicht zugelassen werden«, so Uribe.

Conni Gunßer vom Flüchtlingsrat Hamburg referierte über die europäische Abschottungspolitik durch Frontex und Eurosur: »Um zu verhindern, daß Flüchtlinge Europa erreichen, arbeiten Polizei und Militär immer intensiver mit den Behörden afrikanischer Staaten zusammen, in denen Folter an der Tagesordnung ist.« Frontex habe mittlerweile eingestanden, daß regelmäßig Flüchtlinge durch völkerrechtswidrige »push-back-Operationen« auf offener See aufgebrachte Boote zur Umkehr gezwungen wurden. In den letzten zehn Jahren starben 12000 Menschen an den europäischen Außengrenzen.

Flüchtlinge aus Lagern in Parchim und Feldberg beschrieben die menschenverachtenden Verhältnisse in den Einrichtungen. »Viele leben seit zehn oder 15 Jahren in Lagern. Psychische Probleme sind Folgen des zermürbenden Systems. Menschen sehen keine Perspektive auf ein würdiges Leben. Sie und ihre Kinder werden ständig degradiert«, schilderte eine Vertreterin. »In Feldberg riefen wir den Krankenwagen, weil ein Bewohner schwer krank war. Die Einsatzleitung verweigerte Hilfe, da keiner der Verwalter anwesend gewesen sei. Der Betroffene starb, weil er viel zu spät ins Krankenhaus gebracht wurde. Wir wissen bis heute nicht, wo er begraben wurde.«

Rex Osa von »The Voice« bekräftigte, »die Logik der Isolation und die ständige Erniedrigung töten dich, bevor du es merkst. Dagegen müssen wir uns bundesweit vernetzen.« Vertreter von Migrantenorganisationen aus Italien betonten die Notwendigkeit, daß Migranten aus allen Kontinenten vereint und weltweit für ihre Rechte kämpfen. »Wir lassen uns nicht mehr durch die zynische Logik der europäischen Flüchtlingspolitik, die Ursache und Wirkung verschleiert, in die Irre führen«, schloß Friday Emitola, ein Sprecher der Lampedusa-Gruppe, die Konferenz.

* Aus: junge welt, Montag, 10. Februar 2014


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