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Bürokratie baut Hürden

Noch immer läuft die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen nur schleppend *


Auf der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern soll ein weiteres Hilfsprogramm für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge beschlossen werden. Noch ist unklar, ob es ein zusätzliches Bundesprogramm gibt oder ob die Länder für die Aufnahme zuständig sein werden. Mit Birgit Naujoks, der Sprecherin des Flüchtlingsrates in Nordrhein-Westfalen, sprach »nd«-Redakteur Stefan Otto.


Angekündigt wurde es ja bereits durch den Außenminister Frank- Walter Steinmeier (SPD): Deutschland will einigen Tausend weiteren Schutzbedürftigen aus Syrien die Einreise erlauben. Bund und Länder wollen dafür auf der Innenministerkonferenz eine Regelung treffen. Ein positives Signal?

Ja, auf jeden Fall. Jeder einzelne Schritt hilft. Auch wenn die bisher nur wenigen Einreisen von syrischen Flüchtlingen – gemessen an der hohen Zahl der Schutzbedürftigen – wie Tropfen auf dem heißen Stein erscheinen.

Die SPD-Länder fordern bereits seit längerem, mehr syrische Flüchtlinge aufzunehmen.

Richtig. Allerdings sagen ja die SPD-Länder, so wie hier Nordrhein-Westfalen auch, dass der Bund für die Kosten aufkommen soll und nicht die Länder. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) zeigt sich immer sehr human, wenn es nicht um die eigenen Finanzen geht.

Wie viele Flüchtlinge aus Syrien leben derzeit in Nordrhein-Westfalen?

Über die Landesaufnahme sind bislang 253 Menschen eingereist. Das sind nicht sonderlich viele. Nein. Visa wurden für 1072 syrische Flüchtlinge erteilt, und Vorabzusagen gab es bislang in 3473 Fällen. Letztere werden nur erteilt, wenn bei den aufnehmenden Familien genug Geld da ist, um die Flüchtlinge zu versorgen. Wenn man sich überlegt, dass in Nordrhein-Westfalen lebende Syrer Interesse angemeldet haben, 31 500 Verwandte aufzunehmen, dann fallen die Zahlen natürlich mager aus.

Viele Kommunen sagen, dass für sie die Kosten zu hoch seien. Auch in Nordrhein-Westfalen?

Ja, die Befürchtung gibt es. Dabei tragen die Kommunen für das Landesaufnahmeprogramm gar nicht so hohe Kosten, denn die Verwandten müssen in erster Linie dafür aufkommen. Die Kommunen haben lediglich die Kosten für die Krankenbehandlungen zu tragen, da die Flüchtlinge nicht krankenversichert sind. Diese Kosten könnten sich natürlich in der einen oder anderen Stadt summieren. Dafür muss das Land NRW eine gewisse Erstattungssumme zahlen.

Zu den Programmen der Bundesregierung: Insgesamt sind auch bundesweit erst wenige Kontingentflüchtlinge aus Syrien angekommen. Was läuft schief?

Das liegt an vielen bürokratischen und Verfahrenshindernissen und -hürden, die überwunden werden müssen. Allein das Auswahlprogramm bei dem ersten bundesweiten Kontingent über 5000 Flüchtlinge hat ziemlich lange gedauert. Die Leute müssen teilweise monatelang auf einen Termin in der Botschaft warten, um ein Visum zu bekommen. Außerdem ist es recht aufwändig, die Papiere für das Prozedere zu besorgen.

Als Problem hat sich auch erwiesen, dass die Erstaufnahme über das Lager Friedland erfolgen sollte, dort stehen aber nur 500 Plätze zur Verfügung. Das hat die Einreise der Flüchtlinge zusätzlich in die Länge gezogen. In Nordrhein-Westfalen sind bisher vom ersten Aufnahmeprogramm nur 942 von erlaubten 1061 Flüchtlingen angekommen, und von dem zweiten Programm ist bisher nur eine Einreise bekannt.

Wie könnte man die Aufnahme einfacher gestalten?

Pro Asyl hat bereits gefordert, die Visumspflicht abzuschaffen. Das würde syrischen Flüchtlingen die Einreise erheblich vereinfachen. Ansonsten müsste man das Verfahren standardisieren und das Personal in den Botschaften aufstocken, um die Registrierung zu erleichtern. Aber bislang will Deutschland offenbar selbst im Rahmen schneller humanitärer Hilfsaktionen nicht auf seine bürokratischen Anforderungen verzichten.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 12. Juni 2014


Zusätzliche Aufnahme von Syrern geplant **

Die Innenminister von Bund und Ländern verhandeln auf einem Treffen in Bonn über die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus Syrien. Zudem wird die Verfolgung von Hooligans diskutiert. Bonn. Zum Auftakt der Innenministerkonferenz in Bonn haben mehrere Ressortchefs ihren Willen zur weiteren Aufnahme syrischer Flüchtlinge unterstrichen.

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte am Mittwoch im Deutschlandfunk, er sei zuversichtlich, dass sich die Ministerrunde auf eine Verdoppelung der Kontingentplätze verständigen könne. Deutschland stellt bisher 10 000 Plätze für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aus Syrien bereit. Die Innenminister von Bund und Ländern beraten von Mittwochnachmittag bis Freitag in Bonn unter anderem über dieses Thema.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) fordert auch von anderen EU-Länder mehr Engagement: »Wenn man sieht, welche Lasten die Nachbarn Syriens, wie etwa der Libanon oder die Türkei, mit der Aufnahme Hunderttausender Flüchtlinge schultern, wird klar, dass deutlich mehr Aufnahmebereitschaft aus Europa kommen muss«, mahnte er in einem Gespräch mit der »Neuen Osnabrücker Zeitung«.

Herrmann signalisierte, dass auch Bayern ein zusätzliches Landesprogramm zur Aufnahme von Verwandten in Deutschland lebender Syrer starten will. »Darüber reden wir jetzt in Bonn bei unserer Innenministerkonferenz«, sagte er. Der Freistaat ist bislang das einzige Bundesland ohne ein solches Programm.

Zur Debatte um die Kosten bei der Aufnahme von Flüchtlingen sagte der Vorsitzende der Innenministerkonferenz Ralf Jäger (SPD): »Kosten müssen immer geklärt werden, aber es darf nicht auf dem Rücken dieser Flüchtlinge geschehen.« Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) hatte gefordert, vor einer Aufnahme weiterer Flüchtlinge müsse die Verteilung der finanziellen Lasten zwischen Bund und Ländern geklärt werden.

Ein weiterer Themenschwerpunkt der zweitägigen Konferenz in Bonn wird die Bekämpfung der Hooliganszene im Fußball sein. Jäger fordert, Gerichtsverfahren gegen die Rädelsführer an einem Ort zu bündeln.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 12. Juni 2014


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