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Kosovo - Ein Jahr nach dem Krieg

Ein Fiasko

Unter dem Titel "Totales Fiasko" veröffentlichte die Tageszeitung "junge welt" am 10. Juni 2000, genau ein Jahr nach dem formellen Ende des NATO-Kriegs gegen Jugoslawien, einen kritischen Kommentar zu den Ergebnissen des Krieges und der Besatzungszeit. Der Autor, Hans Werner, schreibt aus der Perspektive Belgrads, einer Perspektive, die in den herrschenden Medien hierzulande nicht zu besorgen ist. Doch auch der Westen müsste sich allmählich fragen, was er mit dem Krieg eigentlicht bewirkt bzw. angerichtet hat.

Belgrad: Die UN-Mission im Kosovo ist gescheitert. KFOR- Abzug gefordert

Am 10. Juni vor einem Jahr verabschiedete der UN- Sicherheitsrat die Resolution 1244, mit der die völkerrechtswidrige Aggression der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien (BRJ) beendet wurde. Seit dem 24. März 1999 hatten NATO-Kampfflugzeuge 78 Tage lang in Tag- und Nachteinsätzen ungeheure Zerstörungen angerichtet, denen in erster Linie Zivilisten und nichtmilitärische Objekte zum Opfer fielen. Im Interesse des Friedens und der Verhinderung weiterer sinnloser ziviler Opfer stimmten Präsident Slobodan Milosevic und das Parlament der Republik Serbien schließlich einer Stationierung von NATO-Truppen im Rahmen einer UNO-Friedenstruppe im Kosovo (KFOR) zu.

Am Mittwoch dieser Woche forderte nun der jugoslawische Ministerpräsident Momir Bulatovic vom UN-Sicherheitsrat, die KFOR und die UN-Kosovoverwaltung (UNMIK) wegen systematischer Verletzung der Resolution 1244 abzuziehen. Überraschend kommt diese Forderung nicht, hat doch die jugoslawische Regierung in den letzten zwölf Monaten immer wieder auf die Nichterfüllung und flagrante Verletzungen der UN-Resolution und auch des militärisch-technischen Abkommens mit der NATO aufmerksam gemacht. Dabei geht es in erster Linie um die Mißachtung der Souveränität und territorialen lntegrität der BRJ, deren Unverletzbarkeit die Grundlage für die Resolution 1244 bildet. In insgesamt fünf Memoranden an den Sicherheitsrat und Kofi Annan, den Generalsekretär der UNO, hat Belgrad immer wieder nachgewiesen, daß die Tätigkeit von UNMIK-Chef Bernard Kouchner darauf gerichtet ist, alle Verbindungen zwischen Kosovo und der Republik Serbien und der BRJ zu unterbrechen bzw. auf die Herauslösung der Provinz aus dem Verfassungs- und Rechtssystem, der Wirtschafts- und Finanzordnung und dem Verwaltungsapparat Jugoslawiens hinzuarbeiten.

Die Tätigkeit von UNMIK und KFOR sei darauf gerichtet, die mit militärischen Mitteln nicht erreichte Okkupation des Kosovo nachträglich zu realisieren. Dazu gehörten die Bildung eines provisorischen Administrationsrates (de facto eine Gebietsregierung), der sich fast ausschließlich aus Albanern zusammensetzt, die Ausgabe von neuen Personaldokumenten unter Mißachtung der Zuständigkeit der jugoslawischen Organe und die Schaffung eines eigenen Rechtssystems, obwohl die Resolution 1244 die Zuständigkeit des jugoslawischen ausdrücklich bestätigt. Eine grobe Verletzung der Souveränität Jugoslawiens stelle auch der Aufbau von Militärbasen durch die KFOR - z.B. das US-Camp Bondsteel - und die Durchführung von Militärmanövern ohne Zustimmung jugoslawischer Behörden dar. Die Errichtung ausländischer paradiplomatischer und konsularischer Vertretungen in Pristina, selbst von Staaten, mit denen die BRJ keine diplomatischen Beziehungen unterhält, sei zudem eine Verletzung der Wiener Konvention über diplomatische und konsularische Beziehungen, heißt es im letzten Belgrader Schreiben an die UN von Ende Mai.

Eine besonders folgenschwere Verletzung der Resolution 1244 sei die Umwandlung der terroristischen UCK in das sogenannte Kosovo-Schutzkorps gewesen. Dies komme einer Legalisierung der »Kosovo-Befreiungsarmee« gleich und sei die Hauptursache für die ständige Verschärfung der Krise in dem Gebiet. Nach Belgrader Angaben wurden seit dem 10. Juni 1999 insgesamt 350 000 Menschen, davon mehr als 200 000 Serben aus dem Kosovo vertrieben und über 1 000 Menschen ermordet, darunter auch Albaner, die sich nicht der UCK-Herrschaft unterwerfen wollten. Mehr als 900 Menschen seien verschleppt worden und würden in Arbeitslagern und Gefängnissen der UCK unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten. Trotz zahlreicher konkreter Hinweise darauf, wo sich diese Lager befänden, sei bisher nichts unternommen worden, um diese Menschen zu befreien. Hinzu käme, daß Serben und Angehörige anderer nichtalbanischer Volksgruppen systematisch von ihren Arbeitsplätzen vertrieben worden seien. Dies werde von UNMIK nicht nur toleriert, sondern teilweise sogar offen unterstützt.

Menschenrechtsverletzungen, die durch die NATO-Präsenz ursprünglich unterbunden werden sollten, gehören zum bitteren Alltag in Kosovo. Die jugoslawische Regierung bezeichnet die UN-Mission im Kosovo daher mit Recht als »totales Fiasko«.

Hans Werner
Aus: junge welt, 10.06.2000

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