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Kriegsrendite

German-Foreign-Policy über die Neuregelung der Energiemärkte auf dem Balkan seit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien

18.08.2005

WIEN/BONN/BERLIN (Eigener Bericht) - Sechs Jahre nach dem Überfall auf die Bundesrepublik Jugoslawien erhalten deutsche Energiekonzerne Zugriff auf wesentliche Anteile der Strom- und Gasmärkte in Südosteuropa. Das entsprechende Abkommen, das die vormaligen Nationalunternehmen der westlichen Konkurrenz ausliefert, soll am 26.Oktober unterzeichnet werden. Betroffen sind sieben Balkanstaaten, die sich verpflichten müssen, ihre Hoheitsgebiete den EU-Energieunternehmen endgültig zu öffnen. Die Übernahme wird von einer Kontrollbehörde außerhalb des Protektoratsgebiets überwacht. Bereits jetzt orientieren mehrere Balkanländer ihre Regelwerke für den Gassektor an deutschen Standards und geraten dabei in Abhängigkeit von Lieferfirmen aus der Bundesrepublik. Der Angliederung des südosteuropäischen Energiemarktes wird wegen der geografischen Brückenlage zum Mittleren Osten und nach Zentralasien hohe Bedeutung zugeschrieben.

Den vom Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft lebhaft befürworteten Anschluss an den Energiemarkt der EU haben Albanien, Bulgarien, Rumänien sowie vier ex-jugoslawische Folgestaaten (Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien und Montenegro, Mazedonien) ab Ende Oktober vorzunehmen. Tatsächlich ist die Aneignung durch westliche Großunternehmen längst beschlossen. Eine Studie der Weltbank rechnet mit einem unmittelbaren Kapitaltransfer in Höhe von mehreren Milliarden Euro. Die Durchsetzung der Vertragsbestimmungen soll in Wien sichergestellt werden, wo sich Österreich eine bestimmende Kontrollfunktion im Finanzwesen gesichert hat (Financial/Legal Advisor). Beobachter rechnen mit Auseinandersetzungen um die Person des zukünftigen Direktors der Behörde, der aus einem EU-Kernstaat stammen wird.

Drehscheiben

Deutsche Energiekonzerne haben sich in den vergangenen Jahren günstige Ausgangspositionen für die Übernahme geschaffen und bauen dabei teilweise auf österreichische Unternehmen. So nutzt RWE für die Südosteuropa -Expansion den Kärntner Kelag-Konzern, an dem die Essener Firma im Jahr 2001 rund ein Drittel der Anteile übernommen hat. In Ungarn, das seit dem Zusammenschluss der beiden europäischen Stromnetze im Oktober 2004 [1] als günstiger Standort für die Eroberung des südosteuropäischen Strommarktes gilt, kontrolliert RWE zwei Stromversorger (ELMÜ, EMASZ) und hält Anteile an Gasversorgern (TIGAZ, DDGAZ). Die Düsseldorfer Eon AG schreibt Ungarn eine "Drehscheibenfunktion" [2] auch für das Gasgeschäft in Südosteuropa zu und hat dort bedeutende Übernahmen getätigt [3]. Wie ein Konzernsprecher gegenüber german-foreign-policy.com bestätigt, will die deutsche Eon AG ihre Position in Ungarn, Rumänien und Bulgarien weiter ausbauen.

Vorlage

Die vier ex-jugoslawischen Folgestaaten Serbien und Montenegro, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien orientieren sich bei der Neuorganisation ihrer Gasversorgung seit mehreren Jahren unmittelbar an Deutschland. Die Deutsche Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) setzt den Vertretern aus Ministerien, Gasvereinigungen und Gasunternehmen der vier Länder seit 2002 Standards, mit denen die jeweiligen Ordnungsrahmen für den nationalen Gassektor restrukturiert werden. "Das deutsche Regelwerk wird dabei als Vorlage genommen", heißt es auf Anfrage dieser Redaktion. Gleichzeitig übermitteln die deutschen Spezialisten Organisationskriterien, deren Übernahme spätere Detaileinblicke in die nationalen Restbestände der einst autonomen Energiestrukturen erlaubt - ideale Voraussetzungen für deutsche Beteiligungen oder Aufkäufe. In den Balkanstaaten gebe es "viel Potenzial für Investoren", erklärt der Chairman des DVGW-"Koordinierungsausschusses Südosteuropa! ", der in enger Abstimmung mit deutschen Ministerien tätig ist.[4]

Athen-Prozess

Die bevorstehende Übernahme ist ein Ergebnis des "Stabilitätspaktes für Südosteuropa", der noch während der Dauerbombardements auf jugoslawische Städte und Dörfer im Auswärtigen Amt (AA) entworfen wurde. Die Federführung hatte der damalige Außenminister Fischer. Darin fordert das AA "ausbaufähige Absatzmärkte, Investitionsstandorte" und "Anreize für int. Unternehmenskooperation" auf dem Balkan.[5] In Erfüllung dieser Vorgaben fand im folgenden Jahr eine "Energietagung Südosteuropa" statt, in deren Mittelpunkt die "Reorganisation und Neustrukturierung der Energiemärkte" stand. Ausrichter war die Berliner NBLD Ost Consult Holding GmbH, die im osteuropäischen Energiegeschäft für deutsche Firmen tätig ist. Im März 2002 legte die EU-Kommission entsprechende Vorschläge vor, im November 2002 hatten die betroffenen Länder eine diesbezügliche Vereinbarung zu unterzeichnen ("Athen-Prozess"). Eine neuerliche Vertragsbindung schließt am 28. Oktober die Normierungsphase a! b, so dass anschließend mit der Umsetzung begonnen werden kann - unter den Augen der in Wien residierenden Kontrollbehörde über das Balkan-Protektorat.

Outcasts

Der Eingliederung des südosteuropäischen Energiemarktes messen Berlin und Brüssel hohe strategische Bedeutung bei. Sie werde "Energieverbindungen mit Südosteuropa und darüber hinaus mit dem Mittleren Osten und der Kaspischen Region" schaffen, heißt es bei der EU.[6] Entsprechende Pipelineprojekte sollen die zukünftige Versorgung der europäischen Kernstaaten mit Rohstoffen aus Zentralasien [7] und dem Iran [8] sicherstellen - unter planerischer, logistischer und hoheitlicher Aufsicht Deutschlands sowie der übrigen Unionsstaaten. Die Einwohner der betroffenen Transitländer haben ein weiteres Nachsehen: Von den finanziellen Umverteilungseffekten, die das milliardenschwere Energiegeschäft im EU-Gebiet zur Folge hat, bleiben sie ausgeschlossen - Outcasts, da Nicht-Mitglieder der EU.

Fußnoten
  1. Teile von Serbien und Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Albanien und Griechenland waren wegen des Krieges am 26. September 1991 vom westeuropäischen Stromnetz getrennt worden. Rumänien wurde 1994, Bulgarien 1996 wieder angeschlossen; der vollständige Zusammenschluss erfolgte am 10. Oktober 2004. Vgl. Wiederanschluß Süd-Ost-Europas - einheitliches Stromgebiet für 450 Millionen Menschen; www.verbund.at/at/apg/aktuelles/20041018_ucte_synch.htm
  2. Von Minderheiten zu Mehrheiten; www.eon.com/de/unternehmen/2082.jsp
  3. s. dazu "Brückenkopf" (Siehe unten im Anhang)
  4. Interview mit Rolf Günnewig, Chairman des Koordinierungsausschusses Südosteuropa; Energie Wasser Praxis 06/2003
  5. Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland: Ein Stabilitätspakt für Südosteuropa. Fassung vom 09.04.1999
  6. EU and South East Europe countries create a new Energy Community; europa.eu.int/comm/external_relations/see/news/2004/ip04_1473.htm
  7. s. dazu "Transportkorridor" (Siehe unten im Anhang)
  8. s. dazu "Attraktiv" (Siehe unten im Anhang)
Quelle: www.german-foreign-policy.com

Anhang

Brückenkopf
11.11.2004

Die deutsche Eon AG übernimmt einen Großteil der ungarischen Gasversorgung. Der Konzern hat zuvor bereits in den angrenzenden Ländern Slowakei, Rumänien und Bulgarien Energieversorgungsunternehmen übernommen. Mit dem Erwerb in Ungarn verfügt das deutsche Unternehmen nun über einen "Brückenkopf" für die geplante Erschließung des gesamten Balkan. In Deutschland sorgt unterdessen die enge personelle Verflechtung zwischen dem Energiekonzern und der rot-grünen Bundesregierung für Unmut unter Wirtschaftsberatern. Sie werfen der Regierung vor, einseitig zu Gunsten von Eon zu intervenieren.
Eon ist in Ungarn bereits an drei der insgesamt sechs regionalen Gasverteiler und an drei Stromverteilern beteiligt. Der deutsche Energieriese kauft nun den größten Erdgas-Lieferanten des Landes. Der Preis für die schrittweise Übernahme der kompletten Gassparte des ungarischen Energiekonzerns Mol durch die Essener Eon Ruhrgas AG erreicht ein Volumen bis zu 2,1 Milliarden Euro. Inbegriffen ist eine fünfzigprozentige Beteiligung an der Gasimportgesellschaft Panrusgaz, einem Gemeinschaftsunternehmen mit der russischen Gazprom, das Gas aus Russland bezieht. "Ungarn kommt strategische Bedeutung als gaswirtschaftliche Drehscheibe in der Region zu" , begründete Eon-Chef Bernotat die Milliardeninvestition.

Quelle: www.german-foreign-policy.com/de

Transportkorridor
BERLIN/KIEW/BAKU (Eigener Bericht) - Berliner think tanks debattieren über die ,,Zukunft des postsowjetischen Raums" und mögliche neue Umstürze in weiteren GUS-Staaten. Wie es bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) heißt, berühren bereits die jüngsten Machtwechsel in der Ukraine und in Kirgistan wichtige Teile des russischen Bündnissystems (u.a. den ,,Einheitlichen Wirtschaftsraum" und die ,,Shanghai Cooperation Organisation") und könnten es schwer beschädigen. Auf einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) hieß es, selbst der GUS-Zusammenschluss sei praktisch bereits ,,tot". Während die neue ukrainische Regierung sich anschickt, eine deutschen Planungen zuträgliche Bündnisalternative zur GUS ohne Russland aufzubauen (GUUAM), erreichen die Umsturzdrohungen a la Kiew inzwischen Moskau.

Quelle: www.german-foreign-policy.com/de

Attraktiv
01.06.2005

Die Eon AG strebt als erster deutscher Energieversorger den Einstieg in das Gasgeschäft mit Iran an, um die Abhängigkeit von Lieferungen aus Russland zu mildern.
Erste Delegationen der Eon-Tochter Ruhrgas verhandelten bereits mit Vertretern des Iran, der - nach Russland - über die zweitgrößten Reserven der Welt verfügt, bislang aber kaum etwas davon exportiert. Die Teheraner Regierung hat erst kürzlich angekündigt, sie werde den Gasexport massiv ausweiten, und hat dabei neben Indien und China vor allem auch Europa als Märkte im Visier. "Iran wirbt derzeit in der ganzen deutschen Energiebranche um Investitionen," heißt es bei Eon-Konkurrenten. Iran gilt als attraktive Bezugsquelle sowohl für verflüssigtes Erdgas (LNG) als auch für Pipeline-Gas. Bei der Erschließung von Feldern und beim Import von Flüssig-Erdgas gilt der französische Ölkonzern Total, der an der iranischen Golfküste bereits an einer LNG-Anlage beteiligt ist, als potenzieller Kooperationspartner für ein Iran-Engagement der deutschen Konzerne. Für den Import auf dem Landweg ist Eon im Gespräch mit dem österreichischen Öl- und Gaskonzern OMV, der eine Pipeline von der iranischen Grenze durch die Türkei nach Westeuropa bauen will. Sorgen bereitet deutschen Wirtschaftskreisen allerdings der brisante Machtpoker um den Iran. Umfassende Wirtschaftssanktionen oder gar eine militärische Lösung könnten die Geschäfte gefährden: "Für größere Geschäfte im Energiebereich wäre dann kein Raum mehr."

Quelle: www.german-foreign-policy.com/de


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