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"Anklage gegen Milosevic ist Teil des Kriegsarsenals der NATO"

Erklärung der Friedenskoordination Berlin - Und eine Stellungnahme aus Österreich

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Stellungnahmen zur Überstellung des von der NATO als Hauptkriegsverbrecher beschuldigten ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Milosevic an das Haager Kriegsverbrechertribunal. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass es in der Friedensbewegung ganz unterschiedliche Meinungen zur Person und Politik Milosevics gibt - und geben kann. Deutlich wird aber, dass - gegen den Mainstream der hiesigen politischen Klasse und der Medien - handfeste Kritik sowohl an der Art und Weise der Auslieferung geübt wird, als auch bedauert wird, dass die Verantwortlichen des völkerrechtswidrigen NATO-Kriegs nicht ebenfalls zur Rechenschaft gezogen werden. Einen ersten Kommentar aus dem Kreis des Bundesausschusses Friedensratschlag haben wir bereits direkt am Tag der Auslieferung abgegeben. Er deckt sich in mancherlei Hinsicht mit den folgenden Beiträgen.

FRIEDENSKOORDINATION BERLIN

PRESSEERKLÄRUNG (1. Juli 2001)

Unter Missachtung des Urteils des höchsten Gerichtes Jugoslawien - seines Verfassungsgerichtes - wurde Slobodan Milosevic am 28. Juni aus Belgrad vom Ministerpräsidenten Serbiens Zoran Djindjic gegen den Willen des jugoslawischen Staatsoberhauptes Kostunica nach Den Haag ausgeliefert.

Dazu erklären die Gruppen der Friedenskoordination Berlin:

Für 2,8 Milliarden DM Kopfgeld (und das nur als Darlehen!) hat der Ministerpräsident Serbiens, Zoran Djindjic, die Souveränität Jugoslawiens verkauft. Milosevic war die Gabe für die Konferenz der "Geber", die den Völkern Jugoslawiens ein Vielfaches des Kopfgeldes schuldet: als Entschädigung für die Verluste, die die Einmischung in die tragischen innerjugoslawischen Konflikte, die würgenden Sanktionen und der Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien verursacht haben.

Die Anklage gegen Milosevic ist Teil des Kriegsarsenals der NATO. Sie wurde formuliert im Mai 1999, als die NATO ihren völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien ein weiteres Mal auf zivile Ziele, einschließlich Krankenhäuser, ausdehnte. Der wachsende weltweite Protest veranlasste zu diesem Zeitpunkt auch einige europäische NATO-Regierungen nach Verhandlungswegen zu suchen, um den Krieg zu beenden. Um diese Verhandlungen unter der Teilnahme Rußlands zu behindern, forcierten die USA Anklageschriften gegen Milosevic und andere Mitglieder der jugoslawischen Regierung. Der Verhandlungsprozeß wurde erschwert, der Krieg verlängert.

Die Auslieferung Milosevics an das unter Druck der NATO vom UN-Sicherheitsrat eingesetzte Haager Tribunal ist ein Bruch geltender nationaler und internationaler Rechtsnormen. Kein Staat dieser Erde hat der UNO Strafhoheit übertragen und nach geltendem Völkerrecht ist der Sicherheitsrat in keiner Weise befugt, Verfassungen von Staaten außer Kraft zu setzen und internationale Gesetze zu erlassen, mit denen er sich diese Strafhoheit durch eigene Beschlüsse aneignet.

Das Haager Tribunal ist ein Instrument des Angreifers gegen den angegriffenen Staat. Zur Möglichkeit einer Anklage gegen die NATO-Aggressoren erklärte der damalige Sprecher des Paktes, Jamie Shea: "Die NATO ist die Freundin des Tribunals. (...) Es waren die NATO-Länder, die das Geld für die Einrichtung des Tribunals bezahlt haben, wir stellen die Mehrzahl der Geldgeber."

Es geht nicht um Schuld oder Unschuld des ehemaligen serbischen und jugoslawischen Präsidenten, es geht nicht um die Person Milosevic, es geht um den "Fall Milosevic". Slobodan Milosevic soll ein Schauprozess gemacht werden. "Beweise" wird die NATO finden, genau so, wie sie mit Lügen die Vorwände für die barbarischen Luftschläge geschaffen hat. Dieser Schauprozess soll die NATO weißwaschen und ihren Aggressionskrieg im nachhinein legitimieren. Er soll ein Zeichen setzen: Wer sich seiner Rolle in der "neuen Weltordnung" nicht fügt, der wird es auch mit ihrer Justiz zu tun bekommen. Das Recht der Gleichberechtigten, das die UNO Charta vorsieht, soll vom Unrecht der Stärkeren abgelöst werden.

Wie einzelne auch immer zur Person Milosevic stehen mögen, diesem widerrechtlichen Akt und der gefährlichen Entwicklung hin zu internationaler Rechtlosigkeit muss entschieden entgegengetreten werden.

Wir fordern daher die Rückführung Slobodan Milosevics, die Auflösung des Haager Tribunals, die Rückführung aller dort Einsitzenden, die Beendigung der erpresserischen Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten und den völkerrechtlichen Schutz nationaler Souveränität.

Als Gruppen in der Friedenskoordination Berlin, die vor allem in der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland wirken, verurteilen wir mit besonderer Schärfe das völkerrechtswidrige Vorgehen der deutschen Regierung, die sich neben den USA erneut als Vorreiter der schamlosen erpresserischen Politik gegenüber Jugoslawien erwiesen hat und sich dessen noch rühmt. Mit Nachdruck fordern wir deshalb die Bundesrepublik Deutschland auf, diese völkerrechtswidrige Einmischungs- und Erpressungspolitik sofort zu beenden, Jugoslawien Entschädigung für die zugefügten Kriegszerstörungen und den Opfern umgehend Schadensersatz zu leisten.

Wir fordern, in Übereinstimmung mit den Ergebnissen des Internationalen Europäischen Tribunals über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien, das vom 2. bis 3. Juni 2000 in Berlin tagte, die juristische Untersuchung der bundesdeutschen Beteiligung am völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien und den dabei verübten Kriegsverbrechen.

Diese Erklärung wurde auf dem Plenum der Berliner Friedenskoordination am 1. Juli 2001 diskutiert und verabschiedet.


KARL FISCHBACHER LABOURNET-AUSTRIA-REDAKTION
Wien

KEINERLEI POLITISCHE UNTERSTÜTZUNG FÜR MILOSEVIC -
ABER GEGEN SEINE AUSLIEFERUNG AN DIE IMPERIALE SIEGERJUSTIZ DES HAAGER TRIBUNALS


Bei der Auslieferung Milosevics nach Den Haag konnte auch die jetzigeMedienwalze über diesen "Kriegsverbrecher" und die "friedenstiftenden" NATO- EU eines nicht vertuschen: Es handelt sich um offene Erpressung! Djindjiczog seinen Putsch gegen Verfassungsgericht und jugoslawische Regierung exakteinen Tag vor der heutigen "Geberkonferenz" in Brüssel durch, wo 1,25 Mrd. $ ultimatistisch auf dem Spiel standen. Die jugoslawische Regierung bleibtgespalten zurück, ja das restjugoslawische Konstrukt mit Montenegro ist nun offenbar endgültig zerbrochen.

Milosevic

Natürlich ist Milosevic einer der hauptsächlichen Kriegschauvinisten und Zerstörer Jugoslawiens gewesen. Er setzte Mitte der 80er Jahre machtbesessen auf die serbisch-nationalistische Karte, wo aber gleichzeitig auch Zagreb unter Tudjman seine nationalistische Machtpolitik betrieb. Anfang der 90er-Jahre ist Jugoslawien dann voll von dieser Machtpolitik erfasst, dieTudjman nur mit Bonn (und Wien) im Hintergrund betreiben konnte. Nach derSchuldenpolitik von IWF und EU, die Jugoslawien in den 80er Jahren in einetiefe ökonomische und soziale Krise stürzte, musste die aggressive nationale"Selbstbestimmungs"- und diplomatische Anerkennungspolitik der Genscher Mock und schließlich der EU Jugoslawien in den Bürgerkrieg reißen! Zagreb und der Westen wollten das "Selbstbestimmungsrecht der Nationen" - mitten durch Kroatien und Bosnien (und bosnische Schlafzimmer ...) hindurch. Bosnien wurde mit Bonns und Wiens Kroatienpolitik regelrecht in den nationalistischen Krieg hineingetrieben. Milosevic wollte hingegen das "Selbstbestimmungsrecht für die Völker", also auch für das serbische Volk in Kroatien und Bosnien! Beide "Selbstbestimmungsrechte" waren reaktionär! Aber nun steht Milosevic alleine vor dem Tribunal - wo sind die Genscher Mocku.a.?

Siegerjustiz

Alles das riecht schon stark nach Siegerjustiz. Doch bereits im Haager Gesetzeswerk ist diese Einseitigkeit verankert, wo keine Bestrafung für Staatsterrorismus im Sinne von Embargos und Sanktionen vorgesehen ist und bekanntlich Hundertausende von Hunger und Tod betroffen sind; ebenso werden im Haager Regelwerk Bombenangriffe aus der Luft nicht geahndet. So war eskeine Überraschung, dass das Haager Tribunal die Anzeige von Amnesty International gegen Kriegsverbrechen der NATO nicht einmal behandelnwollte, dass der NATO-Krieg ja ohne UNO-Sicherheitsratsbeschluss losschlug, dass zivile Projekte mit hunderten Opfern bombardiert wurden etc.1) Mit dem serbischen "Massaker" von Racak im Jänner 1999, das, wie man heute weiß, offenbar konstruiert war 2) und nach Rambouillet im Februar, wo Serbien ein "Frieden" diktiert wurde, den Belgrad nicht unterzeichnen konnte 3), wurde schließlich der NATO-Krieg gegen Serbien bewusst herbeigelogen!

Chefanklägerin Del Ponte verlangte dann auch von der NATO (!) das Beweismaterial über im Kosovo begangene Verbrechen. Das Haager Tribunal ist mit Millionen Dollar von der US-Regierung, der Rockefeller-Foundation oderauch von George Soros finanziert. Wer kann da noch von gerechter Justizsprechen? Eine solche kann es unter imperialer Herrschaft auch niemalsgeben.

Ein weiterer Sieg der imperialen Ordnung

Milosevic war ein korrupter bis mafioser Machtpolitiker, der halb bonapartistisch (mit Parlament) über Serbien herrschte. In den Fragen der Beherrschung des Balkan stand er jedoch immer wieder in Konflikt mit derEU und den USA. Die westliche Balkanpolitik hatte bis 2001 dazu geführt,dass bis auf Serbien alle ehemaligen jugoslawischen Bundesstaaten undProvinzen unter direktem Einbezug der EU

stehen bzw. offene Kolonien sind.Die Überstellung Milosevics nach Den Haag ist die Vollendung dieser Politikjetzt auch in Belgrad, wo mit dem Djindjic-Flügel des DOS-Regierungsbündnisses endlich eine willfährige Machtclique gebildet wurde, die Serbien dem westlichen Bankenkapital und IWF ausliefert. Wie gesagt, die heutigen Machtcliquen in Serbien sind noch nicht geeint, eine Regierungskrise steht an. Uns geht es nicht um Milosevic, sondern um die serbischen und internationalen Machtverschiebungen, die mit Milosevics Auslieferung zum Ausdruck kommen. Sie stellen einen weiteren Sieg der imperialen Ordnung dar...

Fußnoten
  1. "Die Bombardierung der Zentrale des serbischen Staatsrundfunks vom 23.April 1999, bei der 16 Zivilisten getötet wurden, war ein absichtlicherAngriff auf ein ziviles Ziel und stellt daher ein Kriegsverbrechen dar. (AI, Juni 2000)
  2. In diesem Dorf im Kosovo sollen 45 albanische ZivilistInnen massakriertworden sein. "Natürlich war die Episode in Racak entscheidend für dieBombardierungen." (William Walker, Chef der OSZE-Mission im Kosovo). Doch:"Für das angebliche Massaker im Kosovo-Dorf Racak vom 15. Januar 1999 findensich auch in einem wissenschaftlichen Abschlussbericht finnischerGerichtsmediziner keinerlei Beweise." (Berliner Zeitung)
  3. Die US-Delegation unter Madeleine Albright setzte in Ramboillet voll auf eine Zustimmung der albanischen Seite und eine Ablehnung durch dieserbische: Baldige Wahlen und permanente NATO-Stationierung im Kosovo (inkl.Appendix B).


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