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Über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien darf weiterhin straffrei diskutiert werden

Ein problematisches Vorhaben der Bundesregierung ist vorläufig gescheitert

Vor einem Monat haben wir erstmals darüber berichtet: SPD und Grüne hatten Mitte Februar Gesetzentwürfe zur Änderung des Strafgesetzbuches vorgelegt, wonach das Leugnen von als "geschichtlich gesichert anerkannten Tatsachen" unter Strafe gestellt werden sollte, zum Beispiel ein "Leugnen des Völkermords im ehemaligen Jugoslawien" (siehe: Soll "Leugnen des Völkermords" in Jugoslawien unter Strafe gestellt werden?). Mittlerweile ist das Vorhaben zurückgestellt worden. Beide Male informierte die Internetzeitung www.ngo-online.de mit Hintergrundartikeln.

Das Vorhaben der Bundesregierung, kritische Meinungsäußerungen über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren zu bedrohen, ist vorläufig gescheitert. Das Bundesjustizministerium, SPD und Grüne hatten Mitte Februar Gesetzentwürfe zur Änderung des Strafgesetzbuches vorgelegt, wonach das Leugnen von als "geschichtlich gesichert anerkannten Tatsachen" unter Strafe gestellt werden sollte, zum Beispiel ein "Leugnen des Völkermords im ehemaligen Jugoslawien". Ebenso geräuschlos wie dieser Passus in die Gesetzentwürfe zur Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit aufgenommen worden war, verschwand er wieder. Als der Deutsche Bundestag am vergangenen Freitag [11. März] abstimmte, fehlte die Bestimmung.

Zwischenzeitlich hatten die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und der FDP-Abgeordnete Max Stadler interveniert. ngo-online liegt ein Schreiben von Stadler an den zuständigen SPD-Abgeordneten Dieter Wiefelspütz vor, in dem es heißt, dass in einer Demokratie "eine strittige und kritische Auseinandersetzung" über zeithistorische Ereignisse "möglich sein muss". In der Bundestagsdebatte am 11. März wandte sich Stadler gegen "einen Schritt weiter in Richtung Gesinnungsstrafrecht". Seine Befürchtung: "Dem ersten Schritt folgt dann leicht ein zweiter." Offiziell wurde die geplante Einschränkung der Meinungsfreiheit nur verschoben, nicht jedoch aufgehoben.

1999 führte die deutsche Bundesregierung ohne UN-Mandat im Rahmen der NATO einen Krieg gegen Jugoslawien. Als Grund für den Krieg wurde genannt, in Jugoslawien finde ein Völkermord statt. Diese Bewertung ist umstritten. Ein ehemaliger Bundeswehr-General und OSZE-Beobachter und andere wiesen wiederholt darauf hin, dass die internen Lageberichte des Auswärtigen Amtes und des Bundesverteidigungsministeriums im Vorfeld des Krieges keinen Völkermord festgestellt hatten. Auch das behauptete "Racak-Massaker" und der so genannte "Hufeisenplan" wurden vielfach - wiedergegeben auch in großen Medien - als "Kriegslügen" gebrandmarkt. Derartige Kritik hätte mit dem jetzt gescheiterten Gesetzesvorhaben leicht strafrechtliche Konsequenzen haben können.

Am 11. Februar 2005 stellte das Bundesjustizministerium in einer Pressemitteilung eine Gesetzesinitiative zur Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit vor. Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe sollte künftig nicht nur bestraft werden, wer Handlungen der "nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft" billigt, rechtfertigt, leugnet oder verharmlost. Das gleiche Strafmaß sollte künftig auch für das Leugnen von Handlungen einer "anderen Gewalt- und Willkürherrschaft" verhängt werden können. Richtete sich der Paragraph 130 des Strafgesetzbuches bislang nur gegen die Leugnung des Holocaust, so sollte nach Vorstellung der Bundesregierung künftig auch das Leugnen von als "geschichtlich gesichert anerkannten Tatsachen" unter Strafe gestellt werden, zum Beispiel ein "Leugnen des Völkermords im ehemaligen Jugoslawien".

Am 15. Februar brachten die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen einen entsprechenden Gesetzentwurf beim Deutschen Bundestag ein. Unter dem Titel "'Leugnen des Völkermords' in Jugoslawien soll unter Strafe gestellt werden" berichtete ngo-online an diesem Tag über das Vorhaben. Am 16. Februar folgte in "Heise online" ein Bericht mit dem Titel "Bundesregierung beabsichtigt bedenkliche Verschärfung des Straftatbestands der Volksverhetzung". Am 17. Februar rechtfertigte SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz das Gesetzesvorhaben im Interview mit Heise online. "Ich messe diesem Absatz aber keine überragende Bedeutung zu", so Wiefelspütz.

Am 18. Februar sagte die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit ngo-online, das Gesetzesvorhaben gehe "an die konsitutionellen Grundlagen unserer Demokratie". Sie habe "erhebliche Bedenken", ob die Einschränkung der Meinungsfreiheit mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Falls mit der Gesetzesinitiative auch Meinungsäußerungen zum Krieg der NATO gegen Jugoslawien unter Strafe gestellt werden sollten, fände sie das "erschreckend und verheerend". Die Diskussion über den Jugoslawienkrieg "mit einem Straftatbestand aus der Welt schaffen zu wollen" bezeichnete Leutheusser-Schnarrenberger als unerträglich. "Ich bin wirklich entsetzt darüber", sagte sie. Die Menschen sollten jetzt "auf die Straße gehen und die Demokratie verteidigen". Niemand ging wegen des Gesetzesvorhabens auf die Straße. Die großen Medien, die im Vorfeld des Jugoslawien-Krieges breit von Massakern und Völkermord berichteten, schwiegen zu dem Thema.

Am 24. Februar wandte sich der FDP-Bundestagsabgeordnete Max Stadler schriftlich an seinen "Lieben Herrn Kollegen Wiefelspütz" von der SPD. Bezugnehmend auf die Debatte am 23. Februar meldete Stadler "grundsätzliche Bedenken" gegen das Vorhaben an, "die Billigung, Rechtfertigung, Leugnung oder gröbliche Verharmlosung von Völkermord, der unter einer anderen als der Naziherrschaft begangen wurde, strafrechtlich zu sanktionieren". Leider ereigneten sich in aller Welt immer wieder schreckliche Vorgänge, so Stadler, die zur gezielten Tötung vieler Menschen führen. "Solche Vorgänge werden je nach Standpunkt des Betrachters oft von der einen Seite als Völkermord qualifiziert, von der anderen Seite als legitimer Waffeneinsatz." Ein aktuelles Beispiel sei etwa der Vorwurf gegen den früheren Präsidenten Boliviens, der sich in den USA im Exil aufhalte, dem nun wegen Völkermordes der Prozess gemacht werden solle.

"Jedenfalls", so Stadler, "geht es oft um zeithistorische Ereignisse, über deren Bewertung in einer Demokratie eine strittige und kritische Auseinandersetzung möglich sein muss. Es ist meiner Meinung nach sehr bedenklich, wenn eine solche Auseinandersetzung wie sie beispielsweise unter Politikern, Journalisten oder Wissenschaftlern geführt wird, in § 130 Abs. 3 Nr. 2 StGB für einen Teil der Diskutanten unter Strafe gestellt wird."

Bezogen auf den Passus im Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen, wonach von der Vorschrift nur Fälle erfasst werden sollen, bei denen ein internationales Gericht einen Völkermord festgestellt habe, schrieb Stadler: "Die Vorgänge, die sich wie gesagt leider in aller Welt zutragen, sind eben häufig historisch noch nicht ein für allemal in ihrer Einordnung geklärt, selbst wenn in einem Strafprozess der Tatbestand des Völkermordes bejaht wird. Man sollte der Diskussion hierüber weiterhin Raum lassen und zwar straffreien Raum." Man solle die freie Debatte unter Zeithistorikern zulassen.

Am 8. März brachten SPD und Grüne einen Änderungsantrag in den Deutschen Bundestag ein. Mit dem Antrag zur Änderung des ursprünglichen Gesetzesvorhabens wurde der geplante § 130 Abs. 3 Nr. 2 StGB - ohne öffentliche Diskussionen - wieder gestrichen. Allerdings, so heißt es in der Begründung des Änderungsantrages, werde das Vorhaben nur "zurückgestellt, da der luxemburgische EU-Vorsitz die Beratungen zu dem Entwurf eines EU-Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wieder aufgenommen" habe.

Auch Stadler hat sich in seinem Schreiben an Wiefelspütz nicht kategorisch gegen eine weitere Einschränkung der Meinungsfreiheit gewandt: "Man könnte daher diese Frage bei anderer Gelegenheit wieder aufrufen, wenn mehr Zeit für eine gründliche Erwägung des Pro und Contra besteht." In der Bundestagsdebatte am 11. März erkärte Stadler dann, es sei "richtig, den Anfängen zu wehren".

Aus: Internetzeitung www.ngo-online.de vom 16. März 2005


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