Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Nein zur NATO - 60 Jahre sind mehr als genug

Teil 2 der Zeitungsbeilage zum NATO-Gipfel

Die Tageszeitung "Neues Deutschland" erschien am 28. März mit einer 16-Seiten starken Beilage, die den Protesten gegen den NATO-Gipfel gewidmet ist. Die Beilage soll ein paar Tage später auch in der taz erscheinen.
Wir dokumentieren daraus im Folgenden fünf Beiträge. (Die restlichen Beiträge sind wir hier dokumentiert: Teil 1).


Herausgegeber: Neues Deutschland und International Coordinating Committee "No to war - No to NATO"

Inhalt (Teil 2)

Die NATO wird 60 und rüstet sich zum Jubiläumsgipfel – wir auch

Von Reiner Braun

Die NATO führt Krieg – 2009 besonders in Afghanistan, 1999 zu ihrem 50. Jahrestag gegen Jugoslawien. Am 24. März jährte sich zum zehnten Mal der Beginn des Kosovo Krieges. Auf dem Höhepunkt des völkerrechtswidrigen Bombardements verabschiedete die NATO ihr neues strategisches Konzept, das mit Weiterentwicklungen vor allem durch den Bukarest Gipfel im April 2008 bis heute gültig ist.

Seitdem führt das einstige »Verteidigungsbündnis « auch Angriffskriege. Wäre es nach den selbst verbalisierten Ansprüchen des Bündnisses gegangen, hätte sich die NATO nach dem Warschauer Pakt 1991 auflösen müssen.

Das Ziel – die Eindämmung und Zerschlagung der Sowjetunion – war erreicht, »Marktwirtschaft und Demokratie« hatten 1990 triumphiert. Die NATO hatte »die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten« gehalten.

Der Militarismus wandelte sich – mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Die gewonnene westliche Hegemonie musste machtpolitisch abgesichert werden. Ressourcensicherung und »Freier Welthandel« sind die neuen Stichworte. Strategie dazu ist die weltweite Intervention und besonders die NATO-Osterweiterung.

2009 ist die Einkreisung Russlands fast erreicht. Frankreich kehrt in das Militärbündnis zurück. Neue strategische Zielsetzung ist die »Globalisierung der NATO«. Die NATO soll das Militärbündnis der Welt zur Sicherung der Hegemonie der »ersten Welt« werden. Japan, Australien, Südkorea, Usbekistan und Kasachstan heißen die neuen potentiellen Mitglieder. Scheinbar ohne Halt marschiert die NATO ostwärts.

Trotzdem ist das Militärbündnis in der Krise. Eine neue Strategie wird in Straßburg nicht verabschiedet. Der Widerstand in der Welt gegen die Militarisierung nimmt zu. Sarkozy muss zu dem Mittel der Vertrauensfrage greifen, da seine Parlamentsmehrheit wackelt. Anti-NATO-Bündnisse entstehen um die Schanghaier Kooperation und die asiatischen GUS-Staaten.

Schwächstes Glied in der »NATO-Kette« ist Afghanistan. Die NATO kann diesen Krieg, den sie zum Kern ihrer Existenzberechtigung hochstilisiert hat, nicht gewinnen. Keiner der bisherigen Militäreinsätze (z. B. auf dem Balkan) führte zu dem anvisierten Erfolg, der Irak-Krieg führte zu einem tiefen Zerwürfnis.

Alle politischen Strategien der Regierungen pro und contra NATO bewegen sich in Konzeptionen militaristischer Politik – dazu gehört sicher auch die Politik Chinas und Russlands, auch die von Brasilien und Venezuelas.

Die grundsätzliche Alternative der zivilen Konfliktlösung und des Friedens entwickelt sich erst langsam – in den Protesten der Friedensbewegung, in vielen Diskussionen um die »andere Sicherheit« ohne Krieg, Hunger und Unterdrückung.

Auf den Straßen von Straßburg, in Baden-Baden und Kehl wird für diese Alternativen geworben, wie auch auf dem internationalen Kongress über die richtige Strategie beraten und im Camp darüber diskutiert werden wird.

Für unseren Protest und unsere Alternativen brauchen wir die Demokratie – wie die Luft zum Atmen. Diese wird uns in Straßburg und Baden- Baden von den Regierungen abgewürgt, wir sollen stranguliert werden.

Es bleibt bei der historischen Wahrheit, die Rosa Luxemburg formuliert hat: Militarismus ist immer ein Nein zur Demokratie. Wir sagen Ja zur Demokratie und auch deshalb demonstrieren wir für eine friedliche Welt ohne Krieg – in Straßburg, Baden-Baden und überall.

Reiner Braun ist Geschäftsführer der Deutschen Sektion der IALANA, der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms.


Die Logik der Null funktioniert nur mit Moskau

Von Kate Hudson

In den wenigen Monaten, seit US-Präsident Bush aus dem Amt ausgeschieden ist, haben sich die Rahmenbedingungen verbessert, um die nukleare Abrüstung voranzubringen. Die großen Hoffnungen, die viele auf Barack Obama setzen, werden sich auf einigen Feldern als utopisch erweisen. Es gibt aber keinen Zweifel daran, dass der neue Präsident einen deutlich anderen Kurs als Bush verfolgt – im Bereich der nuklearen Abrüstung hat die Veränderung bereits begonnen.

Die in den vergangenen Jahren stark gewandelte Haltung der USA gegenüber der nuklearen Abrüstung wirkt sich nun auf Europa und den Rest der Welt aus. Jene Stimmen, die US-amerikanische Initiativen für eine globale Ächtung nuklearer Waffen favorisieren, haben inzwischen das gesamte politische Spektrum erfasst. Zu den bekanntesten Befürwortern gehören Henry Kissinger und George Shultz. In der jüngsten Ausgabe des US-amerikanischen Politikmagazins »Foreign Affairs« unterstützen auch Ivo Daalder und Jan Lodal dieses Konzept. Sie vertreten einen Ansatz, den sie »Die Logik der Null« nennen. Die USA müssten diplomatische Anstrengungen unternehmen, um die Welt von dieser Abrüstungslogik und vom Beginn der notwendigen Schritte für ihre Umsetzung zu überzeugen.

Die Vision einer nuklearwaffenfreien Welt wurde von den Präsidentschaftskandidaten Barack Obama und John McCain unterstützt und in den USA überraschenderweise nicht kontrovers diskutiert. Obama sprach während des Wahlkampfes oft über Atomwaffen. Zum Beispiel sagte er, dass eine Welt ohne Nuklearwaffen ein grundlegendes Interesse der USA und aller Staaten sei und dass alle in der Pflicht ständen, diese Vision wahr zu machen.

Die große Frage ist, wie diese Aussagen in die Tat umgesetzt werden. Bisher gibt es durchaus positive Signale, aber zunehmend wird auch deutlich, dass in einer Ära der Abrüstung alle Pläne von der Erneuerung der Kooperation mit Russland abhängig sind. Als ein Schlüsselelement für die globale Abschaffung der Atomwaffen bezeichnet Obama die bilaterale Abrüstung zwischen Russland und den USA. Er plädiert mit Blick auf das START I-Abkommen zur Verringerung der strategischen Arsenale für eine Verlängerung oder einen Ersatz, bevor es im Dezember 2009 ausläuft. Obama erwägt auch eine Zusammenarbeit mit Russland, um ballistische Raketen aus dem Zustand der akuten Alarmbereitschaft zu nehmen.

Alle diese Bestrebungen sind zu begrüßen, doch gibt es derzeit ein Hindernis auf dem Weg zu verbesserten Beziehungen mit Moskau, den sogenannten Raketenabwehrschild der USA. Dieses Abwehrsystem, das Washington unter Präsident Bush wild entschlossen in Europa installieren wollte, würde den Vereinigten Staaten die Fähigkeit geben, eine anderen Staat anzugreifen, ohne Vergeltungsschläge befürchten zu müssen. Vor allem nachdem die Militärbasen für den Raketenabwehrschirm in Polen und Tschechien geplant sind, ist es nicht überraschend, dass sich Russland als potenzielles Ziel dieses Schildes sieht.

Die Beziehungen verschärften sich so weit, dass der russische Präsident Medwedjew im Falle der Installation des Systems drohte, Iskander-Raketen in Kaliningrad aufzustellen. Obamas Position in Sachen Raketenabwehr ist also entscheidend für Fortschritte in anderen Bereichen. Die Erklärung von Vizepräsident Joe Biden, die USA wollten einen Neuanfang in den Beziehungen zu Russland, schloss auch die Möglichkeit ein, vom Projekt der Raketenabwehr Abstand zu nehmen. Inzwischen hat Russland die Pläne zur Stationierung der Iskander-Raketen zurückgezogen.

Präsident Obama scheint verstanden zu haben, dass er mit Russland nur auf einen Nenner kommen wird, wenn er das kriegerische Verhalten seiner Vorgänger sowohl mit Blick auf den Raketenabwehrschirm als auch in Sachen nuklearer Abrüstung ablegt. Für die USA ist es an der Zeit zu begreifen, dass wir in einer multipolaren Welt leben. Wenn Barack Obama gegen diese Realität angeht, wird sein Traum der Veränderung an den Felsen eines andauernden Krieges zerschellen.

Kate Hudson ist Vorsitzende der britischen "Campaign for Nuclear Disarmament" (CND).


Iskander kontra Patriot

Gespräch mit Raschid Alimow

Wie steht die Bevölkerung in Russland zu der geplanten Osterweiterung der NATO und der vorgesehenen Stationierung von Raketen in Polen und Tschechien?

Hier in Russland, so meine Beobachtungen, ist die Bevölkerung in ihrer großen Mehrheit eindeutig gegen die geplante Osterweiterung der NATO und lehnt die Stationierung von Raketen vor der Haustür Russlands ab. Es ist traurig, dass die Osterweiterung der NATO und die geplante Stationierung von Patriot-Raketen dazu beitragen, dass wir uns vom Denken des Kalten Krieges nicht endlich verabschieden können. Erneut stehen wir uns militärisch gegenüber. Zwar reisen heute viele Menschen aus Russland nach Europa, das Verhältnis zum Westen ist lange nicht so ideologisch belastet wie es während des Kalten Krieges war. Doch gleichzeitig befürchte ich eine neue kalte Konfrontation, die auch massive Folgen für die innenpolitische Situation in Russland hat.

Welche Folgen meinen Sie?

Russlands Armee braucht dringend Reformen. Ich spreche nicht von technischen Erneuerungen, die die Armee effektiver machen würden. Ich meine vielmehr, dass dringend etwas getan werden muss, um die Gewalt in der Armee zu beenden. Im vergangenen Jahr sind nach Angaben des Verteidigungsministeriums 400 russische Soldaten umgekommen. Die bei Kriegseinsätzen getöteten Soldaten sind hier noch gar nicht mitgezählt. Organisationen, wie zum Beispiel die Soldatenmütter, gehen davon aus, dass sogar zwischen 2500 und 3000 Soldaten in nur einem Jahr ihr Leben verloren haben.

Solange der Westen Russland umzingelt, ist an eine echte Reform der Armee nicht zu denken. Und es ist auch nicht daran zu denken, dass derartige, dringend notwendige Armeereformen, gar in Zusammenarbeit mit westlichen Partnern, umgesetzt würden.

25 Millionen Menschen wohnen in »Monostädten«. Diese Städte hängen wirtschaftlich von einer einzigen Firma ab. Gerade angesichts der derzeitigen Wirtschaftskrise wird deutlich, wie wichtig eine Reform und Diversifizierung der Wirtschaft dieser Städte wäre. Häufig handelt es sich hier um Unternehmen aus dem militärisch- industriellen Komplex. Und solange die außenpolitische Lage, bedingt durch die geplante Aufstellung von USRaketen, so angespannt ist, ist eine dringend notwendige Reform dieser Monostädte nicht umsetzbar.

Welche Gegenmaßnahmen ergreift das offizielle Russland gegen die Umzingelungspläne der NATO?

Der Militärblock NATO rückt immer näher an unsere Grenzen vor. Im Gegenzug bemüht sich Russland verstärkt um eine engere militärische Zusammenarbeit mit Ländern, die nicht in der NATO sind. Russland arbeitet an einer Intensivierung der militärischen Zusammenarbeit in der GUS, versucht die militärische Zusammenarbeit mit Ländern wie Syrien auszubauen, wirbt weltweit um politische Unterstützung für seine Positionen. Und Russland droht mit einer Stationierung von Iskander- Raketen im Gebiet Kaliningrad für den Fall, dass die USA in Tschechien und Polen Raketen aufstellen werden. Ich hoffe sehr, dass es nicht zur Stationierung von Patriot- und Iskander-Raketen kommt.

Raschid Alimow ist Co-Vorsitzender von "Öko-Perestroika" und Umwelt- und Friedensaktivist in St. Petersburg. Er sprach auf der Bremer Friedenskonferenz im Februar 2009 und will sich auch an den Protesten anlässlich des 60. Geburtstages der NATO in Straßburg beteiligen.
Fragen: Bernhard Clasen



Die NATO ist der Widerspruch zu einer friedlichen Welt

Gespräch mit Arielle Denis

Die französische Nationalversammlung hat die Rückkehr Frankreichs in den militärischen Verbund der NATO beschlossen. Welche Probleme sieht die französische Friedensbewegung in diesem Schritt?

Die Frage, die am 17. März im Parlament zur Abstimmung gestellt wurde, hieß nicht: »Wollen Sie, dass Frankreich in den militärischen Verbund der NATO zurückkehrt?«, sondern »Unterstützen Sie die Außenpolitik der Regierung?« Das ist ein gewaltiger Unterschied. Es war eine Vertrauensfrage, und wenn die Mehrheit mit Nein gestimmt hätte, wäre die Regierung gestürzt worden. Sie können sich vorstellen, dass das keine leichte Entscheidung war für die Abgeordneten der Regierungsmehrheit. Es hat keinerlei demokratische Debatte auf irgendeinem Niveau über diese Entscheidung gegeben, auch nicht im Parlament.

Eines von Präsident Sarkozys Argumenten lautete: »Es ist nur eine Formalität«, weil Frankreich bereits Mitglied der NATO ist. Aber das ist so nicht wahr. Es handelt sich um einen großen Bruch in der französischen Außenpolitik. Hier wurde ein Konsens gebrochen, der seit 43 Jahren bestand, nachdem De Gaulle entschieden hatte, den militärischen Verbund der NATO zu verlassen und die US-Stützpunkte aus dem Land zu werfen.

Es gab Widerspruch gegen diesen Schritt bis weit in die Regierungskoalition hinein. Wie diskutieren die französischen Bürgerinnen und Bürger die Regierungsentscheidung für die Rückkehr in den militärischen Verbund der NATO?

In Frankreich wissen die Menschen nicht so sehr viel über die NATO. Wofür soll sie gut sein? Was ist der Unterschied zur UNO? Das sind häufig gestellte Fragen. Hier Informationen zu geben und eine politische Debatte unter den Bürgerinnen und Bürgern zu entwickeln, das ist unsere monatelange Aufgabe, die wir mit 43 Organisationen gemeinsam im »Kollektiv NATO-Afghanistan « angehen, das gegenwärtig überall in Frankreich lokale Gruppen bildet.

Unsere Bürgerinnen und Bürger sind sehr angetan von der Idee der Unabhängigkeit und sehr gegen irgendein Zusammengehen mit der US-amerikanischen Außenpolitik. Nicolas Sarkozy erfand das Konzept der »westlichen Familie«. Aber was heißt das? Die Position Frankreichs, die eindeutig gegen den Krieg in Irak und für den UNO-Sicherheitsrat stand, war ein breiter Konsens von der politischen Rechten bis zur radikalen Linken. Aber Präsident Sarkozy hat sich bewusst mit Beratern umgeben, die sich für den Krieg in Irak ausgesprochen hatten. Er versucht, Frankreich und die Europäische Union fest an die USA zu binden. Er ist ein Militarist. Er erwähnt in seinen Reden nie die UNO. Er hat den Rüstungsetat um 5,4 Prozent erhöht und er bedroht die Demokratie auf vielerlei Weise.

Die französische Friedensbewegung fordert ein Referendum über die Regierungsentscheidung zur Rückkehr in die NATO. Welche Chancen bestehen, ein solches Referendum durchzusetzen und – wenn das gelingt – auch für sich zu entscheiden?

Ja, wir haben uns für ein Referendum über diese Frage ausgesprochen, um die Bedeutung dieses Bruchs in der französischen Außenpolitik in das Bewusstsein der Bevölkerung zu bringen. Viele Politiker aus unterschiedlichen Lagern sprachen ebenfalls über ein Referendum. Wir werden eine Kampagne entfalten und jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um über die NATO zu diskutieren. Die bevorstehenden Europawahlen bilden dafür ebenfalls einen guten Rahmen, weil der Lissabon-Vertrag die Beziehungen zwischen EU und NATO verstärkt, so wie wir das in unseren gemeinsamen Erklärungen mit den Friedensbewegungen in Europa und der Welt zum Ausdruck bringen. Die NATO ist der Widerspruch zu einer friedlichen Welt. Als eine Allianz der Großmächte ist sie einzig und allein dazu da, ihre Interessen zu verteidigen, Kriege und Spannungen zu schüren, die Militärausgaben zu erhöhen und einen neuen Rüstungswettlauf zu starten.

Deshalb hoffen wir, dass wir mit so vielen Menschen in Straßburg bei den Aktionen gegen den NATO-Gipfel dabei sind, dass alle Menschen auf der Welt unsere Botschaft gegen die NATO und für den Frieden in der Welt hören und sich unserer Kampagne anschließen, die sagt: »60 Jahre sind genug – Lasst uns die Welt von der NATO befreien«.

Arielle Denis ist Co-Vorsitzende des Mouvement de la Paix (Frankreich).
Fragen: Otmar Steinbicker



Auch US-Präsident Obama setzt auf die NATO

Von Joseph Gerson

Während sich eine große Welle der Erleichterung über das Ende der Bush-Cheney-Ära verbreitete, haben zu viele Menschen vergessen, dass Barack Obama ein Politiker und nicht Martin Luther King oder Mahatma Gandhi ist. Trotz stark steigender Arbeitslosenzahlen, trotz Millionen Familien, die ihr Heim verloren haben, und einer Staatsverschuldung, die ins Unvorstellbare steigt, will dieser Präsident den nationalen Militäretat erhöhen -- und das, obwohl er schon jetzt so groß ist wie die restlichen weltweiten Militärausgaben zusammen. Noch bevor das neue Afghanistan-Gutachten seiner Administration vorliegt, schickt Obama weitere 17 000 Krieger und drängt die NATO zu mehr Soldaten.

Trotz seines Wahlslogans vom »Wandel« hat der Aufstieg Obamas das System nicht wesentlich verändert. Dass Bushs Kriegsminister Robert Gates seine Position behalten hat und der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber General Jones Nationaler Sicherheitsberater wurde, ist ein Paradebeispiel für die Kontinuität der Politik Obamas. Die USA ziehen ihre geschätzten 400 nuklearen Sprengköpfe aus Europa nicht ab und geben ihre Pläne zur Errichtung von Militärbasen für einen offensiven Raketenabwehrschirm in Tschechien und in Polen nicht auf. Sie errichten weiterhin Stützpunkte auf dem Territorium der neuen NATO-Staaten entlang der Peripherie Russlands und wollen noch immer Georgien und die Ukraine in die Militärallianz bringen. An den gescheiterten Kriegen in Irak und in Afghanistan, am Zusammenbruch des Casinokapitalismus, dem wachsenden Schuldenberg und am »Aufstieg der Anderen « -- vor allem Chinas -- zeigt sich, dass das Amerikanische Imperium den Zenit überschritten hat. Machtvolle Sektoren der US-Eliten unterstützten Obama, weil sie glaubten, er könne die Überbleibsel der Hegemonie konsolidieren und die »Führungsrolle « der USA wieder legitimieren. Dies erklärt auch Washingtons Besessenheit, die NATO zu erhalten.

Die andere konzeptionelle Säule des restauratorischen Projekts bildet die Arbeit von Joseph Nye, schon unter Bill Clinton Sicherheitsexperte. Er hatte sich früh beschwert, dass Bushs Kriege Washingtons globale Macht und seinen Einfluss untergraben. Er drängte darauf, dass die USA sowohl auf die »sanfte Gewalt« der Diplomatie als auch auf militärischen Zwang setzen. Im Wahlkampf betonten Obama wie Hillary Clinton diese »sanfte Gewalt«, die wir jetzt in ihren Annäherungen an Russland, Iran und China umgesetzt sehen.

Wie passt die NATO in dieses Bild? Sie wurde nicht nur geschaffen, um Moskau militärisch einzudämmen, sondern auch, um sich eine Stellung an der Peripherie des geopolitischen Herzstücks der globalen Macht -- Eurasien -- zu sichern. Daher wurde sie nach Zusammenbruch der Sowjetunion nicht etwa aufgelöst, sondern mit neuen Prinzipien versehen. Washington brach sein Versprechen, für Moskaus Einwilligung zur Integration Ostdeutschlands in die feindliche Allianz die NATO nicht Richtung Russland auszudehnen. So sorgte man auch für die Wiederbelebung des militarisierten russischen Nationalismus.

Nach Beendigung des Kalten Krieges erhielt die NATO weitere, nicht-defensive Aufgaben. Afghanistan ist ein klassisches Beispiel dieser »Out of area«-Operationen. Weniger bekannt ist die Schutzfunktion, die der Pakt bei AFRICOM, dem Einsatzkommando des Pentagon für Afrika mit Zentrale in Stuttgart, leistet. Es wurde eingerichtet, um den USA einen privilegierten Zugang zum afrikanischen Öl (momentan 24 Prozent der US-Importe) und zu anderen Ressourcen zu gewährleisten.

In Afghanistan verstärkt Obama sowohl die »sanfte« als auch die »harte« Gewalt. Während er »Teile und Herrsche« spielt, indem man Spielräume für Verhandlungen mit den Taliban eruiert, werden tausende zusätzliche Soldaten entsandt, fallen immer mehr Bomben, die die Bevölkerung in Afghanistan wie in Pakistan nur noch weiter entfremden. Dieser Krieg, so hat Obama verdeutlicht, ist zur existenziellen Bewährungsprobe für die Allianz mutiert.

Gibt es eine Alternative zur NATO? Natürlich! In den dunkelsten und gefährlichsten Momenten des Kalten Krieges schlug der schwedische Ministerpräsident Olaf Palme das Konzept der Gemeinsamen Sicherheit vor. Angesichts der globalen Finanz- und ökologischen Krise ist es allerhöchste Zeit, dass sich die Staaten nicht mehr auf ihre militärischen Kapazitäten konzentrieren, sondern all unsere begrenzten humanitären und materiellen Ressourcen in die Schaffung eines solchen gemeinsamen Sicherheitsraumes investieren.

Dr. Joseph Gerson ist Programmdirektor des American Friends Service Committee in Neuengland (USA).

Quelle: Beilage der Tageszeitung "neues Deutschland" vom 28. März 2009


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