Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Gibt es Alternativen zur NATO?

Reiner Braun über die Proteste zum 60. Jahrestag des Militärpakts *


Wie groß war die Resonanz der europäischen Friedensbewegung auf den Aufruf zur Vorbereitung von Anti-NATO-Protesten?

Vertreter aus 16 EU-Staaten beteiligten sich am internationalen Vorbereitungstreffen in Stuttgart und waren einstimmig der Meinung, dass man die Jubiläumsfeiern in Straßburg und Kehl im kommenden April zu Protesten nutzen muss. Denn 60 Jahre NATO sind wahrlich kein Grund zum Feiern. Um das zu unterstreichen, haben wir uns auf zwei Ziele geeinigt: Wir wollen versuchen, das kritische Bewusstsein gegenüber der NATO in der Bevölkerung zu stärken, und mit großen Aktionen soll so störend wie möglich auf die Feierlichkeiten eingewirkt werden.

Auf welche Aktionsformen haben Sie sich geeinigt?

Vier Elemente werden im Mittelpunkt stehen. Es wird sowohl ein internationales Widerstandscamp als auch einen internationalen Kongress geben, auf dem die Strategie der NATO analysiert und mögliche Alternativen aufgezeigt werden sollen. Aktionen des zivilen Ungehorsams an verschiedenen Stellen in Straßburg und möglicherweise auch in Kehl und eine große internationale Demonstration werden den Aktionsrahmen abrunden.

Wurde in Stuttgart auch über konkrete Alternativen zur NATO gesprochen?

Eine Möglichkeit für eine zukünftige Friedens- und Sicherheitsstruktur wäre die Wiederbelebung der europäischen Sicherheitskonferenz KSZE. Auch sollten regionale Strukturen zur Konfliktbewältigung in Krisengebieten aufgebaut werden, um die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen. Um aber über alternative Strukturen zur NATO zu streiten, muss zunächst kritisches Bewusstsein entstehen.

Könnte der Krieg der NATO in Afghanistan einen Ansatzpunkt dafür bilden?

Langsam setzt sich selbst in konservativen Kreisen die Erkenntnis durch, dass der Krieg in Afghanistan militärisch nicht zu gewinnen ist. Gleichzeitig verstärkt die NATO aber ihr Engagement. Sie sitzt in der Zwickmühle. Einerseits ist Afghanistan der Prüfstein für die aggressive NATOStrategie, andererseits aber auch ihr schwächstes Glied. Wozu brauchen wir eine NATO noch, wenn sie den Krieg nicht gewinnen kann? Diese Frage wird die Debatte über die Zukunft der NATO sicher beflügeln.

Wird die europäische Friedensbewegung stark genug sein, um die Proteste zu meistern?

Wir sollten die Friedensbewegung in Europa im Moment nicht überschätzen. Sie hat sicher nicht die Ausmaße wie zu Zeiten der Proteste gegen den Irakkrieg 2003. Das hat objektive Gründe, denn beispielsweise Sozialdemokraten und Grüne für die Auflösung der NATO zu gewinnen, ist mehr als schwierig. Aber das ist auch nicht der entscheidende Punkt. Viel wichtiger ist, dass wir mit den Protesten an einen diffusen Konsens in der Bevölkerung anknüpfen können, der besagt, dass die NATO ein Kriegsbündnis ist und nichts mit Frieden zu tun hat. Das wird auch Auswirkungen auf die Belebung der Zusammenarbeit innerhalb der europäischen Friedensbewegung haben. Denn erst die Vielfalt der Aktionsformen und die gemeinsame Überzeugung, dass die NATO abgeschafft werden muss, wird es ermöglichen, dass sich eine Vielzahl von Akteuren und Generationen angesprochen fühlt und sich in die Proteste einbinden lässt. Das wird der Schlüssel zum Erfolg sein. Die Friedensbewegung allein wird die Proteste nicht stemmen können, deshalb sind Bündnisse mit anderen sozialen Bewegungen, wie den Gruppen aus dem Anti-G8-Spektrum oder Attac, besonders wichtig.

Fragen: Patrick Widera

* Reiner Braun, IALANA, ist Mitorganisator der internationalen NATO-Konferenz in Stuttgart und des Vorbereitungskreises zum NATO-Gegengipfel 2009

Aus: Neues Deutschland, 16. Oktober 2008



Zurück zur NATO-Seite

Zur Sonderseite 60 Jahre NATO

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zurück zur Homepage