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Bush hat sich durchgesetzt, nicht Merkel

Otfried Nassauer (BITS) bewertet den Nato-Gipfel in Budapest - Pressestimmen aus Russland ("Kommersant" und "Nesawissimaja Gaseta")



"Bush hat sich durchgesetzt"

Bush und Putin streiten in Sotschi weiter / Sicherheitsexperte Otfried Nassauer über den NATO-Gipfel *

Was hat der NATO-Gipfel in Bukarest gebracht? Otfried Nassauer analysiert die Entwicklung des Nordatlantik-Paktes seit Jahren. Mit dem Gründer und Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS) sprach für ND Jürgen Elsässer.

ND: Der NATO-Gipfel wird unterschiedlich bewertet – »Riesenerfolg« für Merkel, »Desaster« für Bush oder in der Frage der Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens ein Kompromiss, mit dem der USA-Präsident »gut leben« könne. Was stimmt denn nun?

Nassauer: Bush hat sich weitgehend durchgesetzt. Ein Teil der deutschen Journalisten ist den Sprüchen der deutschen Diplomaten auf den Leim gegangen, die den Gipfel als großen Erfolg der westeuropäischen Kritiker des NATO-Beitritts der beiden Staaten verkaufen wollen. Tatsächlich aber war das eher ein Pyrrhussieg, der sich schon bald als Niederlage für die Europäer erweisen kann.

Aber blieb es mit Blick auf Georgiens und die Ukraine nicht tatsächlich bei einer vagen Absichtserklärung?

Einen Fahrplan gibt es zwar nicht, aber der Beitritt wurde fest zugesichert. Schon im Dezember sollen die NATO-Außenminister erneut darüber beraten. Sie wurden ermächtigt, über den entsprechenden Aktionsplan zu entscheiden. Diesen Erfolg haben die Westeuropäer sich mit einem großen Zugeständnis erkauft: Sie haben ihre Skepsis gegenüber der geplanten USA-Raketenabwehr in Polen und Tschechien fallen gelassen und sich hinter dieses Projekt gestellt. Das verpflichtet über das Ende der Regierung Bush hinaus. Politisch kommt man davon genauso wenig herunter wie von der Zusage, dass Georgien und die Ukraine definitiv aufgenommen werden sollen. Wenn im Dezember weiter verhandelt wird, werden die USA erneut drängeln. Dann wird entweder ein Zeitplan beschlossen oder die europäischen Kritiker müssen erneut Zugeständnisse bei anderen Fragen machen. Bush hat sein Erbe gesichert. Nun wird auch seinem Nachfolger immer vorgehalten werden können, dass die europäischen Verbündeten hinter der NATO-Ostausdehnung und der Raketenabwehr stehen.

Und warum wäre der NATO-Beitritt der beiden Staaten eine »Niederlage« für die Westeuropäer?

Georgien wie auch die Ukraine haben interne Probleme. In der Ukraine ist die große Mehrheit der Bevölkerung gegen diesen Schritt. In Georgien gibt es Abspaltungstendenzen der Regionen Abchasien und Südossetien. Solche Fragen müssen vorab politisch gelöst werden. Sonst könnte ein NATO-Mitglied Georgien künftig die Verbündeten zu Hilfe rufen, wenn es mit seinen unbotmäßigen Regionen nicht mehr klarkommt. Da würde die NATO in Konflikte hineingezogen, die nicht die ihren sind und die sie auch nicht lösen kann.

Wurde mit dem Beschluss zu Georgien und der Ukraine die »rote Linie« überschritten, von der Moskau gesprochen hat?

Es wurde jedenfalls viel weiteres Konfliktpotenzial im Verhältnis zu Russland angehäuft. Russland will keinesfalls, dass Georgien und die Ukraine der NATO beitreten. Es befürchtet sogar eine Einkreisung. Und mit der Raketenabwehr, der Nicht-Ratifizierung des AKSE-Vertrages über konventionelle Rüstungsbeschränkungen in Europa, einer versteckten Abwertung des NATO-Russland-Kooperationsrates und der westlichen Anerkennung der Kosovo-Abspaltung gibt es noch etliche weitere Entscheidungen, die Moskau als Provokation wahrnimmt. Da Russland mit Dmitri Medwedjew bald einen neuen Präsidenten bekommt, sind zwei Entwicklungen möglich: Entweder schluckt Putin die Kröten jetzt, damit Medwedjew sie später nicht verantworten muss. Oder die westlichen Zumutungen führen dazu, dass Medwedjews Präsidentschaft im Voraus negativ vorbelastet wird und er deshalb einen stärker nationalistischen Kurs fahren muss, also keinen Neuanfang mit dem Westen wagen kann. Die Bukarester Beschlüsse wirken nicht konstruktiv.

Zu Afghanistan: Wurde wirklich erstmals über eine Exit-Strategie nachgedacht, wie oft zu hören ist?

Die detaillierten Beschlüsse sind geheim. Das, was öffentlich wurde, lässt vermuten, dass es um eine ähnliche Art von Exit-Strategie geht, wie die USA sie vor zwei Jahren für Irak verkündet haben. Erst werden die Bemühungen verstärkt, die Aufständischen militärisch zu schlagen und die Sicherheitskräfte Afghanistans zu stärken. Dann soll der Wiederaufbau gestärkt werden, damit man gehen kann. Damit würde es auch in Afghanistan auf absehbare Zeit keinen Vorrang für den zivilen Wiederaufbau oder auch nur ein Gleichgewicht von Militäreinsatz und zivilem Aufbau geben.

* Aus: Neues Deutschland, 5. April 2008


Der NATO-Gipfel im Spiegel der russischen Presse

„Kommersant“: Nato-Gipfel in Bukarest - Niederlage für Russland

Trotz der Absage der Nato an die Beitrittsbewerber Ukraine und Georgien, die von vielen Experten als Triumph des Kreml gewertet wird, bedeutet der Nato-Gipfel in Bukarest für Russland eher eine Niederlage, schreibt die russische Tageszeitung „Kommersant“ in ihrer Freitagsausgabe.

Die Nato-Zustimmung zum US-Raketenschild in Europa hat für Moskau nämlich größere Konsequenzen als die vorläufige Niederlage für Georgien und die Ukraine.

Laut Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer regten die USA eine gemeinsame „Raketenabwehr-Architektur“ an, um jene Staaten zu schützen, die vom US-amerikanischen System nicht abgedeckt werden. Das bedeutet im Grunde, dass das in Russland kritisierte ABM-Projekt nicht mehr amerikanisch ist, sondern zu einem Nato-Projekt wird. Russland wird es nun schwieriger haben, sich gegen die ABM-Pläne zu sperren, weil es nicht nur mit Washington, sondern mit dem ganzen Nordatlantik-Bündnis zu tun haben wird.

Nach der Ankündigung des Nato-Generalsekretärs kamen viele Experten zu dem Schluss, dass die Nato mit der Absage an Georgien und die Ukraine die ABM-Entscheidung ausgleichen wollte. „Das Thema des Anschlusses Georgiens und der Ukraine ab den Aktionsplan für die Nato-Mitgliedschaft (MAP) war offenbar vorsätzlich aufgebauscht worden, um auf Moskau Druck auszuüben“, urteilt Dmitri Saweljew, Direktor des Instituts für effektives Management. Man habe Russland zuerst die schlimmste Variante in Aussicht gestellt, im Vergleich zu der der ABM-Beschluss harmlos scheint: Moskau müsse zufrieden sein, dass Georgien und die Ukraine vorerst in seinem Einflussgebiet bleiben.

Andrej Serenko vom Zentrum für moderne Afghanistan-Studien verbindet das Zugeständnis der Nato in Sachen Georgien und Ukraine mit dem andauernden Einsatz in Afghanistan. „Für Anfang Sommer plant Bush eine Bodenoperation im südlichen Afghanistan, das unter Kontrolle der Taliban steht“, sagt Serenko. Um einen Erfolg zu erzielen, müssten die westlichen Staaten nicht nur ihr Truppenkontingent in Afghanistan aufstocken, sondern auch es mit Lebensmitteln, Munition und allem Notwendigen auszustatten. „Und der Nachschub ist nur über russisches Gebiet möglich.“

Den Taliban ein Ende zu setzen, ist für Bush gegenwärtig viel wichtiger, als Georgien und der Ukraine den MAP-Status zu gewähren. Das um so mehr, diese beiden Sowjetrepubliken den MAP-Status über kurz oder lang ohnehin bekommen werden.


„Nesawissimaja Gaseta“: Nato-Absage an Ukraine und Georgien nicht auf Druck Russlands geschehen

Trotz der Unterstützung von Seiten der USA, Kanadas und osteuropäischer Staaten hat die Nato auf ihrem Gipfel in Bukarest die Beitrittsanträge Georgiens und der Ukraine zum Aktionsplan für die Mitgliedschaft abgelehnt, berichtet am Freitag die russische Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“.

Als Trost versprach das Nordatlantik-Bündnis, auf die Frage im Dezember zurückzukommen.

Die Entscheidung der Nato ist laut Experten kein Erfolg für Moskau. Dennoch soll sie beiden Seiten helfen, die Kontroversen in anderen wichtigen Fragen abzumildern.

Am Donnerstag veranstalteten die Nato-Gegner in der Ukraine Protestaktionen, während in Georgien Enttäuschung herrschte. Sowohl Politiker als auch Beobachter führen den Beschluss der Nato darauf zurück, dass der Westen die Beziehungen mit Moskau nicht belasten will.

„Dieser Standpunkt ist grundsätzlich falsch“, sagte der deutsche Politologe Aschot Manutscharjan. „Die westeuropäischen Staaten wurden sowohl von Washington als auch von Moskau unter starken Druck gesetzt und trafen eine Wahl, die ihnen selbst passt.“ Russland bilde sich viel ein, wenn es glaube, dass sich Deutschland bei der Ablehnung der Anträge Georgiens und der Ukraine von der Meinung des Kreml leiten ließ, sagte Manutscharjan. Diese Meinung sei zwar berücksichtigt worden, doch in diesem konkreten Fall handle es sich um ein Zusammenfallen von Interessen. Moskau hätte laut Manutscharjan nur dann einen Sieg feiern können, wenn Kiew und Tiflis auf den Nato-Beitritt überhaupt verzichtet hätten.

Alexej Malaschenko vom Moskauer Carnegie-Zentrum schließt nicht aus, dass die Absage an Georgien und die Ukraine indirekt zur Lösung weiterer Streitfragen verhelfen könne. Bei dem anstehenden Treffen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit US-Staatschef George W. Bush in Sotschi seien Zugeständnisse im ABM-Streit möglich. „Hätte es keine Hoffnung darauf gegeben, wäre dieses Treffen nicht organisiert worden.“

Laut Malaschenko bringt Moskau die Idee einer Gas-OPEC, die den Westen in Wut versetzt, in der letzten Zeit nicht zur Sprache, im Energiesektor bahnen sich konstruktive Beziehungen an. Auch der Reizfaktor Kosovo scheint in den Hintergrund zu geraten. „Russlands ist diesbezüglich sehr loyal. Seine Drohungen, Abchasien und Südossetien anzuerkennen, sind bei Worten geblieben“, konstatierte Malaschenko. Nach seinen Worten ist demnächst mit Fortschritten im Verhältnis zwischen Russland und dem Westen zu rechnen.

Quelle: RIA Novosti, 4. April 2008; http://de.rian.ru ("Im Spiegel der Presse")


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