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Bush wirbt in der Ukraine für die NATO...

... und bei europäischen NATO-Staaten für die Ukraine

Von Manfred Schünemann *

Kurz vor dem NATO-Gipfel in Bukarest traf USA-Präsident George Bush am Montagabend im ukrainischen Kiew ein. Hauptziel des Besuches ist es, den Druck auf die europäischen NATO-Partner -- vor allem Deutschland und Frankreich -- zu verstärken, um der Ukraine und Georgien in Bukarest doch noch einen Aktionsplan zur Mitgliedschaft (Membership Action Plan) anbieten zu können.

Bushs Besuch in Kiew musste in den letzten Jahren immer wieder verschoben werden, da die innenpolitische Situation in der Ukraine zu unsicher war. Parlament und Regierung hatten sich zudem gegen einen NATO-Beitritt gestellt. An der innenpolitischen Unsicherheit und an der Bevölkerungsmeinung hat sich seither wenig geändert. 75 bis 80 Prozent der Bevölkerung und über die Hälfte der derzeitigen Parlamentsabgeordneten lehnen einen NATO-Beitritt nach wie vor ab. Doch die seit Dezember amtierende national-konservative Regierung betreibt unverhohlen eine Beitrittspolitik.

Bereits im Januar unterbreiteten Präsident Viktor Juschtschenko, Ministerpräsidentin Julia Timoschenko und Parlamentspräsident Arseni Jazenjuk dem NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer offiziell den Wunsch der Ukraine nach dem bewussten Aktionsplan, dem letzten Schritt vor der formalen Mitgliedschaft. Dieser Vorstoß, weder durch Volksbefragung noch durch Parlamentsbeschluss legitimiert, stieß auf den scharfen Protest der Partei der Regionen und der Kommunisten. Deren Abgeordnete blockierten über Wochen die Arbeit der Werchowna Rada und forderten die Rücknahme des Aufnahmegesuchs.

Die Forderung setzte sich zwar nicht durch, aber die Ablehnung der NATO-Beitrittspläne im Parlament bestärkte einige europäische Regierungen in ihrem Zweifel daran, dass ein Mitgliedschaftsangebot der Ukraine tatsächlich -- wie von den USA behauptet -- zu mehr Stabilität verhelfen würde. Deutschland, Frankreich und andere NATO-Staaten äußerten Vorbehalte gegen »vorschnelle Entscheidungen«, weil sie, wie Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte, »niemandem nutzen würden -- auch nicht der Ukraine, deren Bevölkerung bisher mehrheitlich skeptisch ist«. Ungeachtet dessen erklärte Präsident Juschtschenko die NATO-Mitgliedschaft zu einer Frage von »Sein oder Nichtsein der ukrainischen Souveränität«. Abzuwarten bleibt, was der demonstrative Bush-Besuch in Kiew bewirken wird.

Dort wird gerade die Bilanz von 100 Tagen Timoschenko-Regierung gezogen. Erste Maßnahmen zur Überprüfung früherer Privatisierungen und das angekündigte Vorgehen gegen Steuerhinterziehung durch Großkonzerne und deren Manager sind durchaus populär. Zugleich aber wächst das Misstrauen gegenüber Julia Timoschenko in Wirtschaftskreisen, und die Widersprüche innerhalb des Regierungslagers vertiefen sich. Als Erfolg kann die Timoschenko-Regierung das Ergebnis ihrer Verhandlungen über russische Erdgaslieferungen verbuchen. Selbst russische Experten bestätigen, dass Kiew den größten Teil seiner Forderungen durchgesetzt hat. Für das laufende Jahr wurde ein Preis von knapp 180 Dollar je 1000 Kubikmeter Gas vereinbart, der deutlich unter dem Lieferpreis für Westeuropa (270 -- 300 Dollar) liegt. Zudem setzte Julia Timoschenko eine ihrer Wahlkampfforderungen durch: Die Zwischenhändler RosUkrEnergo und UkrGazEnergo wurden ausgeschaltet, wodurch die Kontrolle des ukrainischen Pipelinesystems durch den russischen Konzern Gazprom wesentlich eingeschränkt wurde. Gazprom war zu diesen »Zugeständnissen« bereit, weil sich das Unternehmen durch Preisvereinbarungen mit den zentralasiatischen Lieferanten zuvor seine Monopolstellung auf dem ukrainischen Markt gesichert hatte. Außerdem musste sich die Ukraine verpflichten, künftig auf den Weiterexport russischen Gases zu verzichten. Nicht auszuschließen ist sicherlich auch ein außenpolitischer Aspekt -- die NATO-Frage.

Julia Timoschenko hat ihre Sympathiewerte in der Bevölkerung weiter verbessern können. In den westlichen Gebieten liegt die Zustimmung für sie bei über 50 Prozent, aber auch im Osten und im Süden ist ihr Ansehen in den letzten Wochen gewachsen. Gesunken ist dagegen das Ansehen Präsident Juschtschenkos und seines Wahlblocks Unsere Ukraine -- Selbstverteidigung des Volkes. Offen wird bereits über die Gründung einer neuen Präsidentenpartei diskutiert.

* Aus: Neues Deutschland, 1. April 2008

Auszüge aus einem Interview mit George Bush

Zum deutschen Militäreinsatz in Afghanistan:

(...) Ich möchte, dass Kanzlerin Merkel mit den Ergebnissen gut leben kann. Mit anderen Worten, ich möchte von anderen Staaten nichts fordern, wozu sie politisch nicht in der Lage sind. Ich habe klar gesagt, dass wir ein Militärbündnis sind und dass wir militärisch handeln müssen. Es wird uns auch gelingen, andere Nationen davon zu überzeugen, dass es sinnvoll ist, mehr Truppen nach Afghanistan zu entsenden.
Aber natürlich sehe ich, dass manche Staaten im Augenblick nicht in der Lage sind, bestimmte Verpflichtungen einzugehen. Ich bin also Deutschland gegenüber eher dankbar, als dass ich es kritisieren würde. Ich bin dankbar, dass die Kanzlerin und der Deutsche Bundestag unser Engagement mit Truppen im Norden Afghanistans unterstützen.

WELT ONLINE: Deutschland wird also nicht aufgefordert, Bodentruppen für den Einsatz im Süden des Landes zu stellen?

Bush: Nein, das wird nicht geschehen.

Zur NATO-Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine und zur ablehnenden Haltung Russlands in dieser Frage:

Bush: (...) Ich glaube, es ist in unserem Interesse, Georgien und der Ukraine hier eine klare Perspektive zu geben. Darüber werden wir auch auf dem Gipfel sprechen.

In Medwedjews Äußerungen schwingen die Gefühle und Empfindungen des noch im Amt befindlichen Präsidenten Putin mit. Als ich kürzlich mit Putin telefonierte, brachte er diese Argumente auch vor. Ich habe dazu eine klare Haltung: Wenn jemand vor seinen Grenzen Demokratien hat, ist das gut und nicht schlecht. Demokratien neigen dazu, friedlich zu sein. Demokratien, die dem Willen des Volkes Genüge tun, neigen nicht zum Krieg. Zweitens: Wir wollen in der Ukraine keinen ständigen Stützpunkt errichten.
Ich habe vielfach in aller Klarheit gesagt, dass keine Nato-Truppen dauerhaft in der Ukraine stationiert werden sollen. Und was schließlich die Meinung der ukrainischen Bevölkerung angeht: Man kann Meinungsumfragen heranziehen – Meinungen ändern sich aber auch. Worum geht es? Ganz einfach darum, der Ukraine die Chance zu eröffnen, bestimmte Bedingungen erfüllen zu können. Das Land soll die Möglichkeit haben, sein Militär, seine Wirtschaft und sein politisches System zu reformieren.

Zu Guantánamo:

Ich glaube, dass Guantánamo zu einem späteren Zeitpunkt geschlossen werden sollte. Zuerst aber geht es um etwas anderes: Wir müssen im Einklang mit unserem Rechtssystem einen Weg finden, diesen Leuten den Prozess zu machen – ohne dass die Interessen unserer Dienste gefährdet werden.
Wir sind überzeugt, dass wir dafür einen gangbaren Weg gefunden haben. Aber natürlich ist es so: Bei jedem Schritt, den wir unternehmen, erhebt jemand Klage, und die Gerichte müssen dann entscheiden, ob der Schritt legal ist oder nicht. Außerdem haben wir eine Reihe Internierte nach Hause geschickt.
Was wir aber nicht wollen: Wir wollen nicht Mörder und Killer aus dem Gefängnis entlassen – damit sie dann mit dem Morden fortfahren können. Würde so einer, gerade entlassen, einen Bürger unseres Staates ermorden – ich hätte dann wirklich große Probleme, der Mutter oder dem Vater des Getöteten in die Augen zu sehen.

Auf die Frage, wie es um die amerikanisch-deutschen Beziehungen stehe:

Bush: Sehr gut, unter anderem weil es in beiden Ländern eine Menge Leute gibt, die wissen: Unseren Ländern geht es besser, wenn sie kooperieren und zusammenstehen. Der transatlantische Handel läuft sehr gut. Und noch etwas: Unsere Beziehungen sind gut, weil das Verhältnis zwischen Ihrer Kanzlerin und mir gut ist. Das gilt auch für andere Mitglieder unserer Regierungen.
Angela Merkel ist erstens eine außergewöhnliche Person. Zweitens ist sie eine sehr smarte Frau. Drittens denkt sie strategisch. Viertens hat sie einen wunderbaren Sinn für Humor. Und schließlich hat sie überhaupt keine Angst vor Fürstenthronen. Ich mag das. Denn so einer bin ich auch.

Alle Zitate aus einem Exklusivinterview der Zeitung DIE WELT vom 31. März 2008




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