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NATO-Jubiläumsgipfel 2009 in Kehl (Deutschland) und Strasbourg (Frankreich)

Der "Doppelgipfel" wird als "dritte Kraft" die Friedensbewegung auf den Plan rufen


Zuerst die Meldung

Kehl/Straßburg: Nato-Gipfel kommt 2009 Politisches und organisatorisches Großereignis: Mit einem "Doppelgipfel" in Kehl und Straßburg will die Nato im kommenden Jahr auf der deutschen und französischen Seite des Rheins ihr 60. Jubiläum feiern.

Offiziell solle dies von den 26 Staats- und Regierungschefs des Nordatlantischen Bündnisses bei deren am Mittwoch (2. April) in Bukarest beginnenden Nato-Gipfeltreffen beschlossen werden, sagten Nato-Diplomaten am Montag (31. März) in Brüssel.

Ein genaues Datum stehe noch nicht fest. Möglicherweise werde der Gipfel zum Thema "60 Jahre Nato" erst einige Wochen nach dem 4. April stattfinden. Am 4. April 1949 war der Vertrag zur Gründung der Nato von zwölf Staaten unterzeichnet worden.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hatte sich dem Vernehmen nach bemüht, den Nato-Gipfel 2009 auszurichten, weil Frankreich eine vollständige Rückkehr ins Bündnis plant. Das Land hatte 1966 durch Beschluss seines Präsidenten Charles de Gaulle die militärische Struktur der Nato verlassen.

Die zivile Nato-Zentrale und das militärische Hauptquartier wurden daraufhin nach Belgien verlegt. Derzeit wird in Paris an einer Neuorientierung der Verteidigungspolitik gearbeitet, die auch Frankreichs offizielle Rückkehr in die militärischen Strukturen der Nato bedeuten soll.

Die Bundesregierung sieht den Angaben von Nato-Diplomaten zufolge in den guten Beziehungen zwischen Kehl und Straßburg ein Beispiel für die enge Freundschaft zwischen den einstigen "Erbfeinden" Deutschland und Frankreich. Zudem sei das wiedervereinigte Deutschland auch ein Beispiel für den Erfolg der Bündnisidee. Deutschland war 1955 als 15. Mitglied der Nato beigetreten.

Kehls Oberbürgermeister Günther Petry (SPD) sagte, seine Stadt und Straßburg werden für ein Gipfeltreffen gute Gastgeber sein. Die Vergabe des Treffens an die beiden Städte sei ein wichtiges politisches Signal. "Es ist die Krönung unserer seit Jahren praktizierten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit", sagte Petry. "Kehl und Straßburg beweisen im täglichen Miteinander, dass die Grenze kein Hindernis mehr ist."

Nato-Gipfel sind nicht nur politische, sondern auch organisatorische Großereignisse. Zum Gipfel in Bukarest werden in dieser Woche rund 60 Staats- und Regierungschefs erwartet. Nicht nur Mitglieder sind eingeladen, sondern auch Staaten, mit denen die Nato in engem Kontakt steht. In Bukarest werden 3.000 Delegierte sowie 3.000 Medienvertreter erwartet. Zum Schutz des Gipfels hat Rumänien rund 10.000 Polizisten aus allen Teilen des Landes zusammengezogen. (dpa)

* Quelle: Badische Zeitung-online, 31. März 2008



Kommentar: 60 Jahre NATO sind 60 Jahre zu viel

"Nato-Gipfel kommt 2009" titelte die online-Ausgabe der Badischen Zeitung am 31. März 2008. Und das besondere daran: Es wird ein "Doppelgipfel", der auf deutscher (Kehl) und französischer Seite (Strasbourg) durchgeführt wird.

Die Vergabe des Gipfels aus Anlass des 60 jährigen Bestehens der NATO, der "größten Friedensbewegung" (so der ehemalige NATO-Generalsekretär Manfred Wörner), nach Europa hat zwei pikante Aspekte: Einmal wird damit der historische Schritt des konservativen französischen Präsidenten Sarkozy honoriert, die Armee der Grande Nation wieder in die militärischen Strukturen der NATO einzubringen. Zum anderen ist Straßburg Sitz des Europäischen Parlaments. Die NATO trägt mit dem Gipfelereignis wohl nicht nur der Tatsache Rechnung, dass mit Ausnahme von Kanada und den USA alle übrigen NATO-Mitglieder aus Europa kommen. Sondern es soll damit auch die Transformation der Europäischen Union von einer Zivilmacht in ein Militärbündnis gewürdigt werden - ein Bündnis, das fest an der Seite der NATO steht, ja, fast wie ein "kleiner Bruder" der größten Militärmacht in der Geschichte der Menschheit erscheint.

Die Friedens- und globalisierungskritische Bewegung wird die Kunde von der Wahl des Gipfelortes aufmerksam registriert haben. In Frankreich hält sich die Begeisterung über Sarkozys demonstrativen Schulterschluss mit den USA und der NATO in Grenzen. Der "Mouvement de la paix" wird sich bewegen - genauso wie der Bundesausschuss Friedensratschlag auf deutscher Seite, der über gute Beziehungen zur französischen Friedensbewegung verfügt. Das nächste Frühjahr könnte somit zu einer sehr bewegten Saison werden: Die im ganzen Land durchgeführten Ostermärsche als Vorübung auf das große Ereignis! 60 Jahre NATO, so wird es hier wahrgenommen, sind 60 Jahre zu viel. Insbesondere ist die NATO nach der Auflösung des Warschauer Vertrags und dem Ende der europäischen Bipolarität zu einem historischen Anachronismus geworden. Zur Verteidigung wird sie nicht mehr gebraucht, weil ihr der Gegner abhanden gekommen ist. Was ihr bleibt und was sie mit Elan voran treibt - auch jetzt auf dem NATO-Gipfel in Bukarest -, ist ihre territoriale Ausdehnung bis an die Grenzen Russlands und die Ausweitung ihrer militärischen "Zuständigkeit" über die ursprünglichen, im NATO-Vertrag definierten Grenzen hinaus. Die NATO wandelt sich in ein weltweites Interventionsbündnis.

Grund genug für die Friedensbewegung, den NATO-Akteuren mit entsprechenden Aktionen die Feierlaune beim Jubiläumsgipfel zu verderben.

Pst


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