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Helme wechseln

Im arabischen Raum wird die NATO skeptisch gesehen. Hintergrund ist deren Strategie, Rohstoffe zu sichern

Von Karin Leukefeld *

Kurz vor dem Strasbourg-Gipfel und ihrem 60. Gründungstag hat die NATO einen Schwenk vollzogen. Nach 30 Jahren Funkstille kam es vor der internationalen Afghanistan-Konferenz vom Dienstag in Den Haag erstmals wieder zu einer Begegnung zwischen hochrangigen NATO-Militärs und Vertretern des Iran in Brüssel. Seit die Nachschubwege des Bündnisses über Pakistan immer unsicherer geworden sind – US-General David Petraeus bezeichnete am vergangenen Mittwoch vor einem Senatsausschuß in Washington Afghanistan und Pakistan als »ein und denselben Schauplatz« – hat man bei der NATO offenbar größtes Interesse am Iran, der über enge historische und kulturelle Verbindungen in Afghanistan verfügt. Der stellvertretende iranische Außenminister Mohammad Mehdi Akhond­zadeh bestätigte in Den Haag die Bereitschaft seines Landes beim Kampf gegen Drogen, bei Entwicklung und Wiederaufbau Afghanistans behilflich zu sein. Die ausländischen Truppen blieben allerdings ein Sicherheitsrisiko, so der Minister weiter, je mehr dort stationiert seien, desto »ineffektiver« seien sie.

Schon zwei Wochen vor dem Treffen in Den Haag hatte man in der NATO-Zentrale in Brüssel Irans EU-Botschafter Ali-Asghar Khaji empfangen. Man könne Iran den Weg zurück »in die internationale Gemeinschaft ebnen«, meinte der stellvertretende Generalsekretär Martin Erdmann, der bei der NATO für den Kontakt zu Nichtbündnisstaaten und internationalen Organisationen zuständig ist. Die Kooperation in Afghanistan sei dafür ein Anfang. Gegenüber der iranischen Nachrichtenagentur IRNA bestätigte ein Bundeswehrsprecher inzwischen, daß deutsche Firmen den Transport von »nichtmilitärischen Gütern« für die deutschen Truppen in Afghanistan durch Iran organisieren wollten. Dabei gehe es um »Lebensmittel und Treibstoff«, so der Sprecher, der anonym bleiben wollte. Allerdings hätten weder die Bundesregierung noch die NATO mit den Verhandlungen dieser privaten Firmen etwas zu tun.

Im Mittleren Osten wird die NATO mit Skepsis gesehen, mehrfach haben die Arabische Liga und der Golfkooperationsrat die scheinbar ungebremste Ausweitung des Paktes nach Osten als »Gefährdung für den Frieden in der Region« kritisiert. Überdies unterhält das Bündnis enge Kontakte zu Israel, das wie Marokko und Ägypten einen Beobachterstatus bei der Parlamentarischen Versammlung der NATO hat. Durch enge bilaterale Beziehungen mit den Mitgliedsstaaten USA, Großbritannien und Deutschland hat Is­rael Zugriff auf Strukturen der Allianz und Informationen. Die Aufnahme des Landes in das Programm »Partnership for Peace« wird diskutiert, und israelische Offiziere werden in NATO-Staaten, auch in Deutschland, ausgebildet. Über den »Mittelmeerdialog« hat die NATO seit 1994 diese Region strategisch eingebunden und ein spezielles Sicherheitsinformationssystem installiert, zu dem Teilnehmerstaaten des Dialogprogramms Zugriff haben. Dazu gehören heute neben Israel auch Marokko, Tunesien, Ägypten, Jordanien, Mauretanien und Algerien. Ägypten, Jordanien und Marokko beteiligen sich an Manövern und stellen Soldaten für den Einsatz in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo. Beim NATO-Gipfel 2004 in Istanbul war das Dialogprogramm auf die Staaten der Golfregion erweitert worden. NATO-Strukturen waren bei der Invasion des Irak 2003 involviert, und im September 2004 schickte der Pakt 300 Offiziere zur Ausbildung einer neuen Armee nach Bagdad. Das Engagement im Irak soll demnächst mit einem Kooperationsabkommen ausgeweitet werden.

Der NATO geht es im Mittleren Osten erklärtermaßen um die Sicherung von Rohstoffen, also um Öl und Gas. Rund um die zentralen Förderstätten der Region im Iran, Irak und den Golfstaaten ist die NATO zu Land, Luft und Wasser gut aufgestellt. Der jüngst im Schnellverfahren beschlossene ATLANTA-Einsatz – angeblich gegen Piraten vor der somalischen Küste gerichtet – soll Transportwege für das Militär und Rohstoffe sichern und Flüchtlingsströme kontrollieren. Eine neue Vereinbarung über engere Zusammenarbeit der NATO und der Vereinten Nationen hat insbesondere im Libanon die Alarmglocken läuten lassen. Man fürchtet, daß die UNIFIL-Truppen, die seit 2006 den Waffenstillstand zwischen Israel und Libanon sichern sollen, im Krisenfall über Nacht ihre Helme wechseln könnten. Anstelle von UN-Friedenstruppen hätte man dann NATO-Truppen im Land.

* Aus: junge Welt, 3. April 2009


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