Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Pakt der Privilegierten

"Nein zur NATO – Nein zum Krieg". Mit Zielen und Strategien der Militärallianz befaßte sich am Wochenende in Berlin das Europäische Friedensforum

Von Arnold Schölzel *

Am 12. März 1999 traten Polen, Tschechien und Ungarn der NATO bei. Am 24. März 1999 begann das »Verteidigungsbündnis« seinen Angriffskrieg gegen Jugoslawien. Die sogenannte Osterweiterung der Militärallianz und die »humanitäre Intervention« vor zehn Jahren waren Hauptthemen der Tagung des Europäischen Friedensforums (epf) am Wochenende in Berlin.

Der illegale Luftkrieg kostete seinerzeit 3500 Menschenleben in Jugoslawien, zwei Drittel der Toten waren Zivilisten. Zehntausende wurden verletzt und verstümmelt, abgereichertes Uran verseucht noch auf unabsehbare Zeit das Land. Der damalige Außenminister und heutige Sprecher des »Belgrad-Forums – Für eine Welt der Gleichen« Zivadin Jovanovic erinnerte vor den mehr als 150 Teilnehmern an diese Tatbestände und faßte sie so zusammen: »Der Angriff richtete sich direkt gegen Jugoslawien. Er tötete den Staat.« Jovanovic rief dazu auf, in den kommenden Tagen an den Aktionen zur Erinnerung an den Kriegsbeginn teilzunehmen.

Die Zäsur, die dieser selbstmandatierte Feldzug für die Zerstörung des Völkerrechts setzte, war Gegenstand auch anderer Referate. So nannte Peter Strutynski (Kassel) ihn eine »neue Stufe« im Prozeß der »Neuerfindung« der NATO nach der Auflösung des Warschauer Vertrages 1991. Er wies darauf hin, daß der Pakt bereits bei seiner Gründung ein irreales Feindbild aufbaute: Nach 1945 bestand angesichts der sowjetischen Verluste im Zweiten Weltkrieg und der Truppendemobilisierung keinerlei Gefahr eines sowjetischen Angriffs auf Westeuropa.

Entscheidend sei, so hatte der amtierende epf-Präsident Wolfgang Richter in seinem Eröffnungsbeitrag ausgeführt, über den sozialen Charakter der NATO nachzudenken: Sie sei ein Instrument der US-Nachkriegsstrategie, mit allen Mitteln den Lebensstandard des American way of life zu sichern. Richter zitierte u.a. den ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, der proklamierte hatte, die »Lebenssituation einer privilegierten Minderheit« müsse bewahrt werden.

Ideologie, Politik und militärische Planung der NATO analysierten neben zahlreichen ausländischen Referenten unter diesem Gesichtspunkt u.a. jW-Autor Rainer Rupp, ehemals NATO-Mitarbeiter und DDR-Aufklärer, DDR-Generalmajor a.D. Hans-Werner Deim sowie Flottillenadmiral a.D. Elmar Schmähling, 1982/83 Chef des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) der Bundeswehr. Sie hoben gemeinsam die strategische Ausrichtung des Bündnisses hervor: Rußland, Zentralasien, China. Deim erläuterte an Hand der durch die Osterweiterung bereits vollzogenen Schwerpunktverlagerung, daß hier »ohne Korrektur« die Pläne der Hitlerwehrmacht weitergedacht werden. Neu sei im Vergleich zur Zeit des Kalten Krieges: Die NATO kann heute jedes Ziel in der Russischen Föderation mit konventionellen Waffen erreichen. Rupp wies darauf hin, daß die »Blaupause« für eine neue NATO-Strategie vorliege. Kernpunkte: Globale »Aufstandsbekämpfung« und Abschaffung des Konsensprinzips in der Allianz. Er verglich den Pakt vor diesem Hintergrund mit der Heiligen Allianz des Wiener Kongresses 1815 und der Berliner Konferenz zur Aufteilung Afrikas 1884. Ähnlich analysierte Schmähling einen programmatischen Artikel von Verteidigungsminister Franz Josef Jung vom 9. März in der FAZ: Mit Vokabeln wie »Stabilitätstransfer«, d.h. Intervention bei Unwilligen, und »Krisenmanagement« werde verhüllt, daß es darum gehe, »an vielen Orten gleichzeitig Krieg führen zu können«.

Einig waren sich in- und ausländische Redner, darunter der Vorsitzende der KP Böhmens und Mährens Vojtech Filip, mit der Forderung nach Auflösung des Paktes. Am Sonntag (15. März) wurde die Konferenz fortgesetzt. Ihre Materialien erscheinen als Reader.

* Aus: junge Welt, 16. März 2009

Buchvorstellung: Zivilisation in der NATO

Drei Anti-NATO-Konferenzen an einem Tag in Berlin – abends noch die Vorstellung eines Buches mit dem Titel »Stopp NATO!« in der jW-Ladengalerie. Es kamen mehr als 50 Interessierte und sorgten mit ihren Fragen für informative und unterhaltende Antworten. Der Band wurde in kurzer Frist zusammengestellt und von Konstantin Brandt, Karl Rehbaum, Rainer Rupp und der Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung (GRH) e.V. herausgegeben. Die (hier unvollständig wiedergegebene) Autorenliste reicht von Egon Krenz, Peter Strutynski, Elmar Schmähling, Ralph Hartmann und Gabriele Senft bis zu Tobias Pflüger, Eberhard Panitz, Gotthold Schramm, Peter Michel, Horst Männchen, Wolfgang Schwanitz und Fritz Streletz. Zwei Autoren, die mit jeweils mehreren Beiträgen vertreten sind, saßen mit auf dem Podium: Rainer Rupp, der für die DDR-Auslandsaufklärung in der NATO arbeitete, und Oberst a.D. Karl Rehbaum, der im DDR-Ministerium für Staatssicherheit den Kontakt zu ihm hielt.

Rehbaum erläuterte u.a. sehr plastisch, »weshalb die Bundesrepublik Deutschland für die NATO so überaus wichtig ist« – so auch der Titel eines seiner Artikel. Das werde deutlich, wenn man allein die US-Hauptquartiere und Kommandozentralen in Deutschland näher betrachte. Er nannte sieben. Verleger Wiljo Heinen, der den Abend moderierte, und das Publikum wollten von Rupp wissen: »Arbeiten in der NATO viele Dr. Seltsams?« Der Gefragte meinte, das seien hochgebildete, häufig kunstinteressierte Menschen, die »von einem anderen Planeten kommen«. Die Verbreitung von Menschenrechten rechtfertige in ihren Augen einen Angriffsbefehl, was Rupp als »zivilisatorischen Fortschritt« bezeichnete: Krieg führten sie nicht hemmungslos.
(asc)




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